Kapitel 30

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ALBA

"Was hast du an meiner Warnung, dass du dich nicht mit diesem Castle abgeben solltest, eigentlich nicht verstanden, Alba?", feuerte Jayden ihr sofort entgegen, als sie das Apartment betrat.

Ihr bester Freund war nicht besonders begeistert davon, dass sie zu Frank gefahren und vor allem so lange bei ihm geblieben war. Ihr war klar, dass er sich um sie sorgte, aber sein abschätziger Tonfall missfiel Alba.

"Jay, er hat mir geholfen. Denkst du wirklich, Frank würde mir etwas antun?", erwiderte sie matt und ging hinüber zum Kühlschrank, um sich eine Wasserflasche zu holen.

"Er ist ein Psychopath!", krächzte ihr Freund und schüttelte verständnislos seinen blonden Kopf.

"Er hat nur seine Möglichkeiten genutzt, weil ihm keiner beistand." Okay, das war zugegeben keine besonders vernünftige Erklärung, aber es war die Wahrheit. Das System hat ihn fallen gelassen, so wie mich, dachte Alba.

"Und dank dieser Möglichkeiten, derer er sich ungehindert weiter bedient, sind deine Möglichkeiten gerade massiv geschrumpft", rief Jayden ihr ins Gedächtnis zurück und hielt dabei mahnend einen Finger in die Höhe. "Er hat Vargas umgelegt, ohne ihn kommst du nicht weiter."

Erschöpft ließ Alba sich auf die große, graue Couch mit der breiten Sitzfläche im Wohnzimmer fallen und rieb sich mit den Händen das Gesicht. Die Ereignisse der letzten Tage, und vor allem der letzten Stunden, hatten sie ziemlich ausgelaugt.

Dass Jayden ihr zu allem Übel noch begann Vorwürfe zu machen und ins Gewissen zu reden, war nur schwer zu ertragen. Alba wusste, mit was er als nächstes um die Ecke kommen würde, immerhin kannte sie ihn schon ihr ganzes Leben.

Die beiden gingen zusammen in den Kindergarten, zur Schule und arbeiteten am Ende im gleichen Berufsfeld, obwohl Jayden auf einer anderen Uni studiert hatte und gar nicht klar war, ob er je wieder nach New York kommen würde. Doch das tat er und so stand er später als Trauzeuge neben ihr, als Alba Marc heiratete. Sogar das erste Ultraschallbild von Theo hatten die beiden miteinander begutachtet, als hätten sie darauf das achte Weltwunder entdeckt.

Jayden war immer schon da, damals wie heute, und er wünschte ihr alles Glück der Welt. Keiner von beiden hätte sich träumen lassen, dass einem alles Glück der Welt so leicht genommen werden könnte. Doch selbst dann sorgte er für sie, so gut er es als bester Freund konnte.

"Komm mit mir zurück nach Washington", flehte er sie an. "Wir können sie nicht zurückbringen! Du musst nicht hier sein und du musst schon gar nicht an dieser irrsinnigen Vorstellung festhalten, dass du alleine gegen das Böse ankämpfen kannst oder solltest."

"Ich weiß, dass es neben dem Guten immer auch das Böse geben wird, Jay. Aber ich muss das Böse zumindest aus meinem Leben schaffen, sonst kann ich es nicht mehr führen", flüsterte Alba leise und starrte dabei nach oben an die weiße Zimmerdecke, die sich vom Grau der Wände abhob.

"Aber Rache ist der falsche Weg", dementierte Jayden hilflos. "Das bist nicht du, Alba. Bitte, du verlierst dich an den Hass. Willst du das?" Er kniete sich vor sie und legte die Hände auf ihre Knie, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Alba wusste nicht, was sie wollte. Sie hatte nicht viel darüber nachgedacht, was passieren würde und wie gefährlich es sein könnte, sich Leuten wie Vargas oder den anderen, die in diese Sache verwickelt waren, in den Weg zu stellen. Dass sie überhaupt noch lebte, war ein riesiges Glück, und sie verdankte es allein Frank.

"Willst du etwa so werden wie er?" Autsch! Jaydens Worte trafen sie sehr, denn er hatte keine Ahnung, wer Frank war. In seinen Augen war dieser Ex-Marine einfach nur der furchteinflößende Punisher, den die Presse den Leuten präsentierte, und er rieb es ihr immer wieder unter die Nase.

"Wenn du noch ein schlechtes Wort über diesen Mann sagst, dann kannst du dieses Apartment umgehend verlassen, Jay. Bei aller Freundschaft, und du weißt, ich liebe dich wie meinen Bruder, aber wenn du Frank noch einmal vorschieben willst, um mich zu beeinflussen, dann geh bitte." Ihre Stimme klang merkwürdig fremd, wesentlich bissiger als üblich.

"Warum nimmst du ihn nur so in Schutz?", fragte Jayden verzweifelt und runzelte die Stirn.

"Weil er mir helfen kann", erklärte sie ohne zu zögern. Und weil ich nicht aufhören möchte, das zu fühlen, was ich fühle, wenn ich bei ihm bin, aber diesen Gedanken sprach Alba nicht aus.




soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt