Kapitel 31

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ALBA

Jayden nahm sich ihre Worte zu Herzen und wagte es nicht noch einmal, ein schlechtes Wort über Frank zu sagen, genau genommen verlor er kein einziges mehr über ihn, während er bei ihr blieb. Die restliche Woche verging ohne irgendwelche außergewöhnlichen Vorkommnisse, was zum Großteil daran lag, dass Alba noch immer dabei war, die Stichverletzung und den furchtbaren Schlag auf den Hinterkopf aus zu kurieren, wobei ihr Freund ihr Gesellschaft leistete.

Es gab immer mal Momente, in denen sie ihm anmerkte, wie bemüht Jayden unterschwellig war, sie doch noch davon zu überzeugen mit ihm zurück nach Washington zu gehen. Aber Alba fand immer einen Weg, die Sache zu umgehen, genau genommen ignorierte sie jeden seiner Versuche konsequent. Vielleicht gingen ihr alle Möglichkeiten auf Rache mit Vargas Tod verloren, doch zurückgehen wollte sie trotzdem nicht.

D.C. war nicht ihre Heimat, sie wollte dort nicht sein. Sie konnte sich nicht länger vormachen, Elena Parker zu sein, die ihr Leben in den Griff bekommen hätte, nur weil sie eine ausgedachte Person war. Es hatte nicht funktioniert und das wusste sie. In dem Moment, da sie zurück nach New York kam, wurde ihr klar, dass es nur Alba Corneth geben konnte. Die gebrochene Frau, deren Mann und Sohn grundlos, kaltblütig erschossen wurden.

Jayden war es nicht recht, allein zurück zu fahren, aber er hatte einen Job in Washington angenommen und die Stadt unerklärlicherweise liebgewonnen. Man konnte ihm ansehen, dass er sich in einem Dilemma befand, denn auf der einen Seite wollte er Alba nicht allein in ihrer Heimat zurücklassen, aber auf der anderen Seite hatte er das Bedürfnis, sein eigenes Leben zu führen.

Drei Jahre lang lebte er neben dem Schatten ihrer Selbst und tat alles Erdenkliche, um Alba vor sich selbst zu bewahren und wieder auf die Beine zu bringen. Jetzt, da sie im, übertragenen Sinne gesprochen, wieder eigenständig laufen konnte, schmerzte es Jayden, dass Alba nichts Besseres zu tun hatte, als ihre ganze Kraft in blinde Rache stecken zu wollen.

Nichtsdestotrotz nahmen die beiden Freitagabend Abschied voneinander, wobei Alba Jayden versprechen musste, weniger intuitiv zu handeln, sondern sich ihre nächsten Schritte genau zu überlegen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie tatsächlich gar nicht weiter darüber nachgedacht, was das weitere Vorgehen wäre. Im Stillen hatte sie mehrere Mal in Erwägung gezogen, Franks Angebot anzunehmen und seine Hilfe anzufordern, sobald Jayden die Stadt verlassen hätte.

Den Samstag verschlief Alba dann außerordentlich und holte damit alles an Erholungszeit nach, was sie in den letzten drei Wochen nicht geschafft hatte. Erst als es draußen bereits begann dunkel zu werden, verließ sie das Bett und fand sich komplett leeren Kühlschrankfächern gegenüber, deren gähnende Leere ihren Hunger nicht stillen konnten. Mit einem tiefen Seufzer schloss sie die Tür der Kühleinheit, um sich auf den Weg zum Supermarkt zu machen.

Gedankenverloren lief sie hinüber zu Wandschrank im Flur, griff nach einem dünnen, hellbraunen Trenchcoat und zog ihn sich über. In einer fließenden Bewegung löschte sie das Licht im Apartment, öffnete die Tür und trat nach draußen auf den Flur. Alba hätte nicht sagen können, woran es lag, doch sie spürte instinktiv, dass etwas nicht stimmte.

Vielleicht entging es ihren Augen, weil sie das Licht gelöscht und sich auf die Tür konzentriert hatte, doch sie roch etwas Metallisches, noch bevor sie ihre Lage begreifen konnte. Im nächsten Augenblick klickte der Sporn einer Handfeuerwaffe, während die kalte Mündung des Laufs gegen ihren Hinterkopf drückte. Fuck! Sofort begann Adrenalin durch Albas Organismus zu strömen, dass ihr Herz förmlich raste.

"Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du zurückgekommen bist", flüsterte eine unbekannte Männerstimme dicht an ihrem Ohr. Alba lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. "Geh wieder rein!", forderte der Mann auf und drückte die Waffe noch härter gegen ihren Kopf.

Alba tat, wozu man sie aufgefordert hatte, und bemühte sich den Schlüssel mit zittrigen Fingern ins Schloss zu stecken, um die Apartmenttür zu öffnen. "Wird's bald!", maulte die raue Männerstimme hinter ihr.

Fast wollte sich schon Erleichterung in ihr ausbreiten, als die Waffe von ihrem Hinterkopf genommen wurde, doch gleich darauf wanderte diese weiter nach unten bis der Druck sich am unteren Rücken neu platzierte.

"Besagtes Vögelchen ist nicht gerade erfreut darüber, was du mit Vargas gemacht hast." Der Fremde schob sie vor sich her durch die Küche hinüber in den Wohnbereich und zog mit der freien Hand einen der Stühle vom Esstisch mit. Mit einem widerlichen Knirschen schliffen die Stuhlbeine über das Parkett.

"Ich habe gar nichts mit Vargas gemacht ... das war jemand anderes!", stammelte Alba entsetzt.

"Schnauze! Setzen!", blaffte der Mann und drückte sie unsanft mit einer Hand auf der Schulter nach unten, dass sie hart auf der blanken Sitzfläche landete. Gleich darauf machte er sich daran, Albas Arme hinter die Lehne zu nehmen und dort an den Händen mit einem Kabelbinder zu verschnüren.

"Du warst dort, daran besteht kein Zweifel, also red' dich nicht raus. Oh, Fräulein, du pisst den falschen Leuten ans Bein, das weißt du doch oder?" Das Gesicht des Fremden kam endlich in ihr Blickfeld, doch Alba hatte keinen blassen Schimmer, wer da vor ihr stand.

Es war ein älterer Typ, irgendwo zwischen 40 und 50, mit auffällig wenig Haar, einem verlotterten Bart und einer großen Narbe auf der linken Hälfte seines Gesichts, dessen kleine, dunkle Augen sie boshaft fixierten.

"Ich weiß gar nichts, du Arsch!", fauchte sie wütend und kassierte dafür eine ordentliche Schelle, dass ein furchtbarer Schmerz ihre rechte Gesichtshälfte überzog.

"Dein nichtsnutziger Ehemann war schon so dämlich, sich mit meinem Boss anzulegen, und jetzt bist du so wahnsinnig, es ihm gleich zu tun? Ich hätte dich damals schon erschießen sollen." Erschrocken schnappte Alba nach Luft. Ihr Herz setzte einen Sprung aus, als sie begriff, was sie da gerade gehört hatte.



soulache | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt