Der ewige Turm

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Kalte Sonne schien auf verbrannte Erde, verbrannte Erde, die das Land endlos überdeckte. Und obwohl der einsame Wanderer kaum noch den Weg vor sich sah, setzte er anhaltend einen Fuß vor den anderen. Am Körper trug er nichts als eine Bandage, die er sich um die Füße gewickelt hatte, damit der heiße Sand seine Füße nicht verbrannte, und einen Lendenschutz, der nur das Nötigste vor den unerbittlichen Strahlen schützte. Und wie er durch diese einsame Welt wanderte, wunderte er sich, denn obgleich er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, seitdem ihm am gestrigen Tage das Wasser ausgegangen war, durchströmte ihn tiefes Glück, das nun den Schmerz und das Leid der Vergangenheit überdeckte. Als er gen Horizont blickte, sah er nicht nur in die Ferne, die weiten Sandhaufen, die sich vor ihm erstreckten, waren für ihn, als blicke er in eine andere Welt zu einer anderen Zeit. Es spielte keine Rolle wie er hierher gelangt war, noch ob hinter den Dünen das Ziel seiner Reise zu finden war. Gefangen in diesem Moment zu sein gab ihm die Kraft zu vergessen und die Gefangenschaft befreite ihn.

Noch immer setze er gewissenhaft den Lauf seiner Füße fort, auch wenn seine Beine langsam schwach zu werden schienen. Das Verlangen nach Wasser brannte tief in seiner Kehle und das Ende seiner Reise kündigte sich an als seine Sicht verschwamm. Ob er hier starb in den ewigen Weiten der Baro-Gro-Asta, wie sie in der alten Sprache genannt wurde, der Wüste der Vergänglichkeit oder auf den Straßen einer verlorenen Welt, war bedeutungslos. Der Tod lebte in den Straßen der Menschen und er lebte auf den Meeren, wie er es auch getan hatte in den weiten Wäldern, die er nur aus den Geschichten der Alten kannte. Jetzt war dort nur noch Ödland, Ödland noch weiter als die Wüste. Sein Blick schnellte sprunghaft an der Stelle entlang, an der sich der gelbe Sand und das Blau des Himmels trafen. Sie verschmolzen miteinander und es war wunderschön ihr Farbenspiel zu beobachten, als er auf die Knie sackte. Wenn die Schönheit das letzte war, das ihm zu erblicken bestimmt war, so war sein Tod gerecht. Der Tod würde dann auch hier Einzug halten und die Baro-Gro-Asta von seinem Leben reinigen. Es schien ihm ein gerechter Handel zu sein, hatte er zuvor noch nie wahre Schönheit gesehen, denn außerhalb dieser Dünen war dieses Wort lange vergessen. Der einsame Wanderer hatte diese Reise angetreten, wissend dass er sein Ziel wohl nie erreichen würde. Er hatte nach Schönheit gesucht, die er zuvor nur auf den Seiten eines Buches gefunden hatte, da die Welt nur noch ein kahler Abriss derer war, die sie einst gewesen sein musste. Nur wenige Bücher hatte er im Lauf seines Lebens gesehen, denn die meisten waren in der Glut der Sonne verbrannt, doch die alten Geschichten erzählten von einem Ort der Wörter, einem ewigen Türm inmitten verbrannter Erde, der die Schönheit und alles Wissen der Welt von einst bewahrte.

Und als das Blau und das Gelb dem Schwarz wich, das seine Sicht nun einnahm, verschwand auch das Brennen in seiner Kehle. Er fiel auf auf die Seite und sein Körper empfing den warmen Sand mit Genugtuung. Er spürte nicht wie der heiße Sand seine Haut verbrannte und er spürte nicht wie er selbst Teil der Dünen wurde. Verbrannte Erde sollte auch er werden, doch die Schönheit würde seinem Tod Bedeutung geben in der Wüste der Vergänglichkeit. Es sollte hier enden doch als er in völliger geistiger Umnachtung auf das Ende allen Seins wartete, trat es nicht ein.

Als er die Augen wieder öffnete, lag er nicht mehr in dieser endlosen Weite; er lag auf einer dünnen Polsterung aus Schafsfellen neben ihm eine Flasche aus Wasser stehend. Er trug nicht mehr die Lumpen, die das Letzte an Besitz waren, den er auf seiner Reise noch mit sich führte. Stattdessen war er nackt aber zugedeckt mit einem weiteren Fell. Sein Körper schmerzte, aber seine Seele war frei. Er blickte sich in dem Raum um, der nur spärlich beleuchtet war, es war feucht und der Raum glich einer Grotte. An den Wänden hingen Pflanzen, die aussahen wie Quallen und fahl in der Dunkelheit leuchteten. Es viel ihm schwer in Worte zu fassen, was vor ihm lag, denn es war als sei er nun in dieser anderen Welt zu einer anderen Zeit, die er vor sich sah, als er in der Wüste lag. Kein Mensch war zu sehen nur ein kleiner See, der sich in einiger Entfernung zu ihm befand. Kreisrund erstreckten sich um ihn Wände die mit ebenjenen Quallenpflanzen eine Art Kuppel bildeten. Die seltsame Illumination, die von ihnen ausging, ließ die Szenerie unwirklich erscheinen, doch als er in ihre Spiegelbilder blickte, die sich auf dem Wasser abzeichneten, empfand er dieselbe Schönheit, die er schon empfunden hatte, als er das Farbenspiel zwischen Himmel und Wüste beobachtete. Er setzte sich auf, setzte beide Beine nebeneinander auf den Boden neben den Fellen und stütze sich zu beiden Seiten mit den Handinnenflächen darauf ab. Das Fell, das ihn bedeckt hatte, streifte er ab und stand auf. Langsam stand er auf, da seine Beine noch immer von der weiten Wanderung schmerzten. Es kam ihm vor, als wäre er endlos gewandert, Zeit seines Lebens etwas suchend, dass so unnahbar und so fern schien. Er streckte sich und als seine Arme zur Decke zeigten, schüttelte er all den Schmerz der Vergangenheit von sich. Als er einige Meter nach vorne schritt, stand er direkt vor dem klaren Wasser des Sees und seine Silhouette zeichnete sich auf der Wasserfläche ab. Er blickte tief in seine wiesengrünen Augen, zumindest glaubte er, dass sie dasselbe Grün haben mussten, dass auch das Gras in alter Zeit gehabt haben musste. Die wenigen Flächen der Erde, die noch begrast waren, waren nur von braun-gelben wiesen überdeckt, die all ihren Glanz und ihre Schönheit eingebüßt hatten. Sein Spiegelbild war in zwei hälften geteilt, die eine zeigte das Antlitz eines jungen Mannes mit langem prächtigem Haar, die andere, was die Wüste davon übriggelassen hatte. Schwärze überdeckte die Haut, die überall verbrannt war und das Haar war gebrochen, nichts war mehr von der Schönheit übrig, die er einst hatte. Er ging auf die Knie, wie er es schon zuvor in der Wüste getan hatte und ihn durchströmte dasselbe Verlangen nach Wasser, dass ihn zuvor erfüllt hatte. Mit den Handflächen schöpfte er etwas davon ab und trank es, wusch dann sein Gesicht und seinen Körper und es war Katharsis. Nicht nur sein Körper streifte die Leiden der alten Welt ab, denn er glänzte wieder in alter Schönheit, nein auch seine Seele tat selbiges. Was er hatte erdulden müssen, war vergessen, denn befreit war er nun von allen Lastern; seine Seele illuminiert durch das unwirkliche Licht seiner Umgebung. Er hatte das Ziel seiner Reise nicht erreicht, doch statt den Worten der Schönheit zu begegnen im ewigen Turm, hatte er sie doch im wahren Leben gefunden. Weisheit und Liebe und Hoffnung und Wissen durchdrang ihn als er von den Wassern trank, dann wurde alles Dunkel.

Der Turm stand ewig während da, mit stillem Blick über die verlorene Welt in einer Wüste der Vergänglichkeit. Und als sein Blick in weite Ferne sah, blickte er auf all die verkohlten Körper verlorener Seelen, die nach ihm gesucht hatten.

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⏰ Last updated: Apr 19, 2022 ⏰

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