21: Kapitulation

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„Hört auf!", ruft eine Männerstimme, die an das Brüllen eines Löwen erinnern. Es bedarf der bekannten Aura, um den jungen Mann zu erkennen, der auf mich zu eilt. Schmerz. Angst. Verzweiflung in der Stimme. „Wer hat euch dazu befugt?"

Jemand macht sich an den Fesseln zu schaffen. Das Metall, das seit Tagen in meine Handgelenke schneidend. Oder sind es Wochen? Es fühlt sich an wie Monate und wird für Jahre weiter gehen. Wieso spiele ich ein Spiel, dass nicht dazu bestimmt ist, dass ich es gewinne?

Ich hänge zu fest im Metall, um es zu öffnen und werde in den Arm des jungen Mannes gehoben. Der Schmerz an meinem Rücken explodiert; der an meinen Armen und Gelenken schwillt jedoch ab. Feuer auf meiner Haut, das mich nicht verbrennen sollte, scheint sich nun bis zu meinen Knochen vorzuarbeiten. Raubt mir den Atem, bekämpft meinen Herzschlag; doch die erhoffte Bewusstlosigkeit bleibt mir fern, als verspotte sie mich. Wieso werde ich selbst von meinem eigenen Körper gefoltert?

Als die Fesseln endlich gelöst werden, sacken meine Arme, wie der Rest meines Körpers, zusammen. Wäre ich nicht bei Bewusstsein, könnte ich nicht einmal versichern, dass ich noch atme.

„Wer. Hat. Euch. Dazu. Befugt?", schreit Azarias erneut. Es bleibt still. Doch er kennt die Antwort.

Sein Vater. Ziehvater. Der König.

Die Bewusstlosigkeit muss mich letzten Endes doch geholt habe. Denn ich tauche langsam aus einem betäubenden Nebel und blinzle einem grellen Licht entgegen. Jeder Winkel meines Körpers schmerzt, jede Faser schreit gequält. Ich kann die Folter noch schmecken. Der metallische Geschmack, der beißende von Galle, die sie mir irgendwann ausgetrieben haben. Ein leichter salzige Nachgeschmack von Schweiß und Tränen. Alles wird mit der Duftnote des kalten feuchten Kerkers und den stinkenden Henkermeistern untermalt. Es ist jedoch der Geruch von Leder, der mich erneut würgen lässt und ein Stück weiter aus der Bewusstlosigkeit zwingt.

„Wie geht es Euch?" Azarias' Stimme dröhnt viel zu laut in meinem Kopf. Sie lässt mich erneut stöhnen und die Lider schließen.

Er streicht mir behutsam über die Wange. Selbst die sachte Berührung weckt Schmerzen. Qualen, die mich meines Atems berauben wollen. Stille Tränen rollen meine Wange hinab. Keuchend und röchelnd schnappe ich nach Luft.

Mein Körper bebt bei der Vorstellung zurück an den Ort unter dem Palast zu müssen. Ich erstarre bei dem Gedanken mein geschwächter Bruder oder Keir müssen es ertragen. Zumal sie nicht lebend gebraucht werden. Er wird sie töten.

„Ich gebe auf", wispere ich und kämpfe um Atemzüge, die schmerzen. „Darf ich zu Keir? - Bitte." Meine Stimme, die kaum ein Flüstern ist, wird vom Zittern noch undeutlicher.

Azarias streicht mir weiter behutsam über die Wange. Obwohl es schmerzt, wird es mit jeder Liebkosung etwas besser. Die Wärme seiner Berührung, dringt jedes Mal tiefer in mich; scheint den Schmerz zu verjagen und meiner kleinen Flamme Leben einzuhauchen.

Was es ist, das Azarias sieht; meiner Drachenseele ablesen kann, den mich umgebenden roten Flammen, kann ich nicht sagen. Das Bild meines geschundenen Körpers ist vermutlich schlimmer, als ich es mir ausmalen kann.

Als der junge Mann so schmerzlich wie ich keucht, schlage ich die Lider auf. Die Sorge, die Männer kommen mich erneut holen, bringt meine Lebensfunktionen aus ihrem Rhythmus. Mein Herz. Meine Atmung. Mein Lebenswillen.

„Er hat mir versichert, Euch nichts zu tun. Er hat mir geschworen, Euch mir zu überlassen. Mich die Überzeugungsarbeit tun zu lassen. Ich wusste nichts von seinem Plan ... von ... ich würde mich Euch nicht aufzwingen. Würde nicht mit mir leben können, wenn er es täte." Der junge Mann zieht die Luft zittrig ein. Er kämpft darum, dass seine Stimme nicht bricht. „Ich habe Euch versprochen, dass Ihr bei mir sicher seid. Das war keine Lüge. Aber ich habe mein Versprechen gebrochen. Es tut mir leid." Seine Augen funkeln im Meer der Tränen, die drohen sich zu lösen. „Ich wusste nicht, dass er so weit gehen würde. Ich wusste nicht, dass Eure Mutter am Tod seines Vaters Schuld trug. Dass sie die Drachenstimme seines Vaters stahl und er sie zurückerlangen musste. Ich war ein Kind. Eines Tages war sie weg, der Prinz, der König und ... mein Leben nahm eine gute Wendung. Ich wusste nicht, dass seine verzweifelte Suche nach Euch mehr als nur den Drachen galt. Ich wurde aufgezogen, keine Fragen zu stellen." Beim letzten Satz bricht Azarias' Stimme. Meine eigene Kehle bekommt keinen Ton heraus.

Er macht eine Pause, um einen zittrigen Atemzug zu nehmen. Eine Träne funkelt, wie ein Regenbogen, in seinem Augenwinkel.

„Ich wusste nicht, wie ich für Euch fühlen würde. Nicht, dass ich Euch lieben würde, Amaya. Ich wusste nicht, dass mein eigener Tod keine solche Angst und Qual in mir verursacht, wie Euer Leid zu sehen. Dass Euer Atemzug wichtiger, als mein eigener sein könnte. Mein Herzschlag stoppt, wenn Ihr die Augen schließt. Meine Stimme versagt, wenn Euch der Atem geraubt wird. Ich kann nicht dabei zusehen, wie Euer Feuerfunke erlischt. Nicht der Grund sein, dass Ihr aufgebt." Tränen lösen sich. Von ihm. Von mir.

Seine Hand bleibt auf meiner Wange ruhen. Unsere Blicke verflechten sich und alles andere verschwimmt. Ich sehe ihm an, wie seine Welt zusammenstürzt, er selbst zusammenfällt; seine Seele schreit.

Azarias beugt sich tiefer zu mir. Sein Atem streicht meine Lippen, seine Augen funkeln, wie gebrochenes Glas. Unser Drachenflüstern verschmilzt.

„Amaya, ich liebe Euch." Mein Atem bleibt stehen. „Und weil ich Euch liebe, sehe ich Euch lieber an der Seite eines anderen ... unerreichbar, für immer auf der Flucht - als an meiner Seite in Qualen."

Eine Träne fällt auf meine Wange. Ich ziehe scharf die Luft ein, als die Eiseskälte dieser durch meinen Körper schießt. Ich wehre mich nicht gegen den Kuss. Es ist kaum ein zartes Streicheln seiner Lippen über meinen. Eine Frühlingsbrise, die abebbt, bevor sie Blüten aufwühlen kann.

Eine weitere kalte Träne lässt mich die Augen öffnen.

„Ich hätte Euch niemals zum Palast bringen dürfen."

Ich weiß nicht, welches Bild sich ihm zeigt. Was die Schläge auf meiner Haut hinterlassen haben. Aber ich sehe dem jungen Mann an, dass er kaum den Blick auf mir halten kann, obwohl er nichts sehnlicher will.

„Zuerst tat ich es für den Mann, der mich aufzog. Der nicht immer jähzornig war. Mir ein gutes zu Hause geboten hat - und Brüder gab. Dann, weil ich Euch an meiner Seite wissen wollte. Weil ich hoffte, Ihr könnt so fühlen wie ich. Eine Liebe, von der ich nicht wusste, dass sie möglich ist. Die einem Teil meiner Seele Leben einhauchte, die erstarrt war. Aber jetzt sehe ich ... wie blind ich all die Zeit war. Wie egoistisch."

Die blauen Wirbel um seinen Körper wühlen weiter auf, hetzten mein Feuer an und gemeinsam lodern sie verzweifelt. Ich spüre seinen Schmerz, als wäre es meiner. Fühle, welcher Krieg in seinem Inneren herrscht. Die Zerrissenheit, die in seinen Augen regiert.

Aber meine Gedanken können seinen Worten nicht folgen. Nicht verstehen, weshalb sich jedes Wort wie ein Abschied anhört.

Seine Hände streichen über meine Schultern, meine Arme entlang bis zu meinen Handgelenken und dann zu meinen Fingerspitzen. Er hinterlässt eine Feuerspur, die beruhigend auf meinem gequälten Körper ist.

Sein rechter Mundwinkel zuckt und ein Schmerz zieht durch seine glühend blauen Augen. Als ziehe er an einem Faden, wird ein Teil meines körperlichen Leid aus mir geholt.

„Niemand darf meinen Feuerfunken einsperren. - Auch nicht ich."

Etwas fällt zu Boden und mein Blick trifft auf die Manschetten, die die letzten Wochen meine Handgelenke aufgeschürft haben. Das Metallledergeflecht, das Clipper mich warnte nicht abzunehmen, wenn mir mein Bruder und Keir wichtig sind.

Mein Drachenflüstern gewinnt an Kraft.

Die Flammen an Stärke.

Der Schleier, der zuvor durchsichtig war, wird intensiver. So auch das seine - zumindest in meinem Blick.

Der Schmerz der Folter nimmt ab, während die Qual in dem glühenden Blau zunimmt.

Azarias küsst meine Stirn, zieht die Decke höher und streicht ein letztes Mal Haarsträhnen aus meinem Gesicht.

„Schlaft jetzt, Amaya. Die Spielregeln haben sich geändert. - Heute Abend flüchtet Ihr und triumphiert das Spiel."

DrachenflüsternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt