23: Flammen und Sturzflug

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Wäre es nicht für Keir würde ich nicht auf dem schwarzen Monster Platz nehmen. Doch ohne erneuten Protest tue ich es trotzdem nicht.

Als es zum Trab ansetzt, verkrampft mein Körper und Keirs Griff wird fester. Azarias versichert mir noch einmal, dass er mit Talib nachkommt. Doch mein Herz lässt sich den Schmerz nicht nehmen.

Die Strecke zum angrenzenden Wald, unserem Treffpunkt, ist schier ewig. Dabei bleibt der Palast ein Monstrum, vor dem die Pferde zu erkennen sind.

Im Schatten bleiben wir stehen; abseits der Blicke der Wächter und Palastwachen, doch nah genug, um für meinen Bruder zurückzukehren. Ich rutsche vom Pferd, um nicht noch weiter gezwungen zu werden.

Weiter als bis hier werde ich nicht ohne Talib gehen.

„Er hat es dir versprochen, kleiner Drache."

Ich wende mich zu Keir und kralle mich an seine Brust. Ich habe Talib zurückgelassen. Es spielt keine Rolle, dass wir jetzt hier warten. Er hätte das niemals getan.

Mein Bruder ist im Palast und ich hier.

Eine Erinnerung aus den Tagen vor dem Tod meiner Mutter kämpft sich an die Oberfläche.

„Talib mein kleiner starker Junge. Du trägst immer die ganze Welt auf deinen Schultern. Du musst nicht jede Bürde tragen. Nicht jeden Kampf kämpfen. Zu viel Regen erschafft einen Sumpf, mein Kleiner."

Meine Mutter, die mich im Arm hält, wendet sich zu mir. Etwas in ihren Augen blitzt. Als wüsste sie, dass in nur wenigen Tag ihr Abschied ewig ist.

„Du, mein kleines Glühwürmchen, klammerst zu stark an deinem Lächeln. Ein wunderbares Lächeln, das du nie verlieren darfst. Aber nur Sonnenschein erschafft eine Wüste."

Sie reicht mich zu Talib, der mich an sich drückt. Sie wollte zum Markt. Was ich damals nicht wusste, war, dass Wächter im Dorf waren und die Gefahr, die damit verbunden war, kannte ich noch nicht.

„Ihr beide seid wie Tag und Nacht. Beide unglaublich wichtig, aber in einer Balance. Erlaubt den Regen und die Sonne in ihren Zeiten und erzwingt sie nicht in anderen. Gemeinsam seid ihr unbesiegbar."

Kopfschüttelnd verjage ich die Erinnerung, die mich in die Knie zwingen will. Talib braucht meinen Sonnenschein, wie ich seine Regenwolken.

„Ich hatte solche Angst um euch", schluchze ich und ignoriere all das Erlebte und Erfahrene der letzten Wochen. Mein Leid ist unwichtig, solange mein Bruder noch in den Fängen des Monsters ruht.

„Was ist passiert? Geht es dir gut? Haben sie dir etwas getan? Wer ist der Junge? Wieso hilft er uns? Was will der König von dir? Was haben sie dir angetan?"

Die Fragen sprudeln aus Keir und stoppen erst, als er Luftholen muss.

„Amaya, wie geht es dir?"

Keir, wie auch Talib, benutzen meinen Namen nur, wenn es ihnen ernst ist. Mir ist nicht unentdeckt geblieben, dass er seine Arme lediglich auf meine Schultern legt.

Die Folgen der Folter besitzen meinen Körper, aber meine Gedanken werden von der Sorge um meinen Bruder beherrscht.

„Jetzt besser und gut, wenn Talib bei uns ist." Mein Blick bleibt steif in der Richtung, aus der wir gekommen sind. Hofft, dass jede Bewegung mein Bruder ist. Bis er nicht bei uns ist, kann ich nicht aufatmen.

„Was haben sie mit dir gemacht?" Eine Träne löst sich beim Blinzeln und ich halte den Atem. Kann er sehen, was die Folter in mir angerichtet hat? Dass ich meinen Sonnenschein verliere?

„Er hatte es geschafft", gebe ich wispernd zu. Die Erkenntnis, ein erneuter Schlag. „Der König hatte mich gebrochen."

Der Gedanke, dass ich mich dem Willen des Königs gebeugt hätte; ein Kind für ihn getragen hätte; das unschuldige Wesen ihm überlassen hätte und Drachen für die Schlachtbank erschaffen wollte - lässt mich beinah zusammenbrechen. Der König hat mit seiner Folter erreicht, was er wollte. Ohne Azarias wäre ich ...

Der Gedanke weckt die Wut.

„Der König hat meine Mutter getötet", knurre ich wütend. Er hat mich beinah getötet und was er mit Talib und Keir getan hätte, will ich mir nicht ausmalen. Und all das, weil er Drachen erwecken will. Für einen Krieg. Für mehr Macht. Für mehr Tote.

Gewitterwolken ziehen in mir auf.

Keine des Trübsal oder die bekannten von Talib. Nein, Blitze und Donner, die die Wut antreiben und Hass wecken. Ein Sturm. Reißender Wind, peitschende Regentropfen und verehrende Folgen für alles was im Weg steht. Der Zorn und Kampfgeist, mit dem ich den Mann erneut erdrosseln will, kocht auf.

Meine Haut wird wärmer, mein Drachenflüstern greifbarer und der Geruch von Rauch mischt sich zum Geruch des Waldes. Beherrsche die Wut! Kein Feuer!

Ich brauche eine Ablenkung.

Ich zwinge meinen Blick auf Keir, um die Flammen zu kontrollieren, die nicht länger von den Manschetten aufgehalten werden. Verzweifelt klammere ich mich an den jungen Mann, den ich liebe und nicht verletzten will. Nehme tiefe Atemzüge und erkenne, dass ich das Feuer vor dem Ausbruch bewahren kann.

Das Buch, das Keir inzwischen umhängen hat, wird in mein Bewusstsein geholt und ich ziehe es hervor. Ein in Ledergebundener alter Wälzer. Die Seiten sind angegilbt und abgetragen. Die Kanten und der Buchrücken sind beschädigt, als wäre es viele Male vom Tisch gefallen. Ein Drache hebt sich unter dem Leder ab und ich glaube, dass es sich unter meiner Berührung erwärmt.

Ich schlage es in der Mitte auf. Betrachte die kunstvollen Zeichnungen, die einen Drachen zeigen und sein Ei. Obwohl es eine Kohlezeichnung ist, scheint das Ei zu schimmern und trägt wie die Kreatur Schuppen. Ich überfliege die Erklärungen der Beschaffenheit eines Drachen und frage mich, weshalb Azarias mir das Buch ohne Erklärung in die Hand gedrückt hat. Wie soll ein Buch unserer Flucht helfen? Das Gewicht zieht uns eher herunter.

„Sieht aus, als habe ein Kind versucht eine neue Sprache zu erfinden", merkt Keir an, der mir über die Schulter schaut. Ich höre den Schmerz meines Anblickes in seiner Stimme. Höre die Sorge um meinen Bruder, die er versucht meinetwegen zu verbergen. Ich höre Angst. Aber über allem höre ich die Liebe zu mir.

Ich schließe die Lider einen Herzschlag, bekämpfe die Tränen und klammere mich an die Ablenkung, um nicht die Kontrolle über das Feuer zu verlieren, das an der Oberfläche kratz.

„Du kannst das nicht lesen?"

„Du etwas?" Ich nicke und lese noch einmal die ersten Zeilen. Die Buchstaben formen Worte, welche Sätze bilden und einen Sinn ergeben.

„Drachenbuch", höre ich Azarias aus einer Erinnerung und blättere durch die Seiten. Überfliege die der blauen Drachenseele und ihrer Erschaffung. Vorbei an der Geburt einer roten und finde die Aufzeichnung über das Erwecken von Drachen.

Wieso würde er mir das Buch geben? Will er das ich Drachen erwecke? Aber ohne eine blaue Seele geht es nicht? Oder will er nur, dass der König es nicht länger besitzt? Was soll ...?

Ein Brüllen, das ich von der Lichtung wiedererkenne, reißt mich aus der Konzentration.

In einer Bewegung verstaut Keir das Buch und schiebt mich hinter sich. Die Sonne taucht den Himmel noch immer blutrot und so ist der Drache, der durch die Luft stürzt, deutlich zu sehen.

Ich erkenne das Jungtier sofort. Aber etwas hat sich geändert. Er zieht einen dunklen Rauch hinter sich. Einen Nebel, den ich vom König kenne. Seine Augen haben das Gold verloren - und sind schwarz. Das angenehme Flüstern ist einer Kälte und Furcht gewichen, die ich von den Wächtern kenne.

Mit diesem veränderten Sein stürzt die schwarze Kreatur auf zwei Gestalten, die aus dem Palast flüchten. Mein Herz versagt, meine Atmung stockt und jeder Gedanke verlässt meinen Kopf.

Talib und Azarias.


Wortzahl: 1236

***schmückt den Nachthimmel und lasst mir gerne ein paar Sterne da***

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