15.

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Angeekelt zog Jule ihre Sachen aus. Seit zwei Tagen war sie nicht mehr duschen gewesen und das machte sich bemerkbar.
"Soll ich deine Sachen kurz in die Waschmaschine schmeißen?", rief Gabriele von draußen und Jule überreichte ihm die Sachen bereitwillig.
Sie verbrachte zu viel Zeit unter der Dusche, dass wusste sie. Wenn sie nicht noch warmes Wasser für die anderen beiden hätte übrig lassen müssen, wäre es vermutlich noch länger gewesen.
Im zu großen Bademantel und mit nassen Haaren, saß sie schließlich am Frühstückstisch. Gestern hatten sie natürlich keine Sachen mehr gefunden, wäre ja auch zu schön gewesen. Also hatten sie beschlossen, sich aufzuteilen. Jaron würde nach eine geeigneten Kopie des Rings suchen, während sie mit Gabriele shoppen ging. Leider hatte Jaron ihr verboten, seine Sachen rauszusuchen.
Als sie heute morgen aufgestanden war, hatte Jaron schon die Biege gemacht. Gabriele war der Meinung, dass sie beiden es nicht so schnell angehen mussten wie Jaron und hatte beim Bäcker Brötchen für ein gemütliches Frühstück geholt.
Fast zwei Stunden später, es war schon fast wieder Mittagszeit, machten sich die beiden auf den Weg in die Stadt. Jetzt, mit Sachen die frisch aus dem Trockner kamen, fühlte sich Jule schon fast wie neugeboren.
Gabriele neben ihr summte vergnügt "Eine kleine Nachtmusik", wie er ihr erklärt hatte, mit. Jules Laune war gut und so ertrug sie sogar die Klassik. 
"Schon ne' Idee was du haben willst?", fragte Gabriele neugierig,
"Ein Kleid schätze ich mal", antwortete Jule Schulterzuckend.
"Sehr kreativ", schnaubte Gabriele belustigt und fuhr in einem Zug in eine Parklücke. Jule war jedes mal aufs neue von seinen Fahrkünsten beeindruckt. Sie hätte daraus wahrscheinlich eine 'ich-fahre-in-20-Zügen-in-die-Lücke' Wissenschaft gemacht. Ihr nächster Gedanke ließ sie aufstöhnen.
"Was ist los?", fragte Gabriele besorgt.
"Ich hab meinen Autoschlüssel bei Kian liegen lassen", murrte Jule genervt und stieg aus, während Gabriele leise lachte. Momentan hatten sie wesentlich größere Probleme.
Sie standen in einer Altstadt mit vielen kleinen Läden. Gabriele setzte sie bei einer kleine Abendkleider Boutique aus, während er weiter zum Herrenaustatter ging.
Drinnen fand Jule keinen einzigen Menschen vor. Das war ihr aber lieber, als eine nervige Verkäuferin, die die ganze Zeit hinter ihr herwuselte. Andererseits fühlte Jule sich mit den ganzen Kleidern etwas überfordert. Sie beschloss das offensichtliche zu wählen und begann die ausgestellten Fensterpuppen, die ironischerweise gar nicht im Fenster standen, zu inspizieren. Keines der Kleider gefiel ihr richtig. Die meisten waren ihr zu durchsichtig oder auffällig. Insgeheim trauert sie dem Kleid ihrer Freundin Lena hinterher. Obwohl es ihrer Meinung nach zu kurz gewesen war, hatte es ihr doch gute Dienste geleistet. Nur die mürrische alte Dame im Restaurant, in dem sie Kian das erste mal getroffen hatte, schien es nicht so toll zu finden. Bei diesem Gedanken musste Jule leise lachen, während sie anfing die Kleiderbügel zu durchforsten.
Auch nach einem Haufen Kleider, die sie alle anprobiert hatte, fand sie immer noch keins, was sie ansprach. Mittlerweile war eine Verkäuferin mittleren Alters aufgetaucht, doch die widmete sich liebe ihrem Handy als ihrer ei zigen Kundin. Sollte Jule recht sein.
Die kleine Glocke über dem Eingang schellte und kurz darauf stand Gabriele neben ihr.
"Schon was gefunden?", fragte er und Jule verneinte. Seufzend stellte Gabriele seine Tüte ab und grub sich durch die Kleiderständer.
"Was ist mit dem?", fragte er und zog ein langes dunkelblaues Kleid mit tiefen Ausschnitt hervor.
"Eher nicht", lachte Jule. "Aber die Farbe ist ganz cool."
"Die Farbe ist ganz cool", murmelte Gabriele leise und suchte weiter. Nach drei weiteren abgelehnten Kleidern, landete er endlich einen Treffer.
"Probiers an", meinte Gabriele aufgeregt und scheuchte sie in eine Kabiene.
"Was sagst du?", fragte Jule, als sie wieder aus der Kabine kam.
"Ich liebe es!", rief Gabriele begeistert und Jule verschwand grinsend zurück in die Umkleide, um sich das Kleid anzuschauen. Es reichte bis zu ihren Knien und war an der Taille mit einem angenähten Band aufgeteilt. Während die untere Hälfte locker fiel, war es oben enger. Die Besonderheit waren allerdings die, irgendwie nicht und irgendwie schon, vorhandenen Ärmel. Das Kleid hatte keine Schultern oder lange Ärmel, wurde dafür aber von breiten Trägern gehalten, die seitlich am Kleid anlagen.
Jule grinste sich selbst im Spiegel an. Das hier übertraf Lenas Kleid eindeutig.

Gelangweilt starte Kian die Decke an. Die Rohre dort oben hatte er schon unzählige Mal gezählt. Sieben Stück.
Seit dem gestrigen Essen mit Vagin lag er nun auf dem kleinen Bett. Immerhin gab es ein Klo. Er hatte keine Ahnung, was Vagin mit dem Ball bezwecken wollte. Oder woher er von Jule wusste. Kian hoffte inständig, dass sie nicht auch in einem dieser fensterlosen Räume festsaß. 
Eine Klappe am unteren Ende der Tür ging auf und ein Tablett wurde hereingeschoben. Toast und Kaffe. Also war es Frühstückszeit. Kian vermutete das Nio draußen vor der Tür stand. Jedes mal, wenn er um etwas bat, öffnete sich kurz darauf die Klappe. Manchaml auch nicht.
Aber auch Nios Anwesenheit brachte ihm nichts. Seit er ihr gesagt hatte, dass er Schuld an Taios Tod trug, hatte sie kein Wort mit ihm gesprochen. Kian respektierte das, auch wenn etwas Gesellschaft sehr angenehm wäre.
Langsam rollte Kian sich aus dem harten Bett und holte sich sein Frühstück.
Lustlos knabbert er an dem Toast und verbrannte sich die Zunge am heißen Kaffe. Leise fluchte er und schüttete sich prompt den Inhalt der Kaffetasse über den Anzug.
"'Tschuldigung?", fragte er in Richtung Tür. "Auf meinem Anzug ist Kaffe", teilte er der Tür mit. Ein Klicken ertönte und Nio stand im Türrahmen. Mit einem Vorwurfsvollen Blick schaute sie auf den Dunkeln Fleck auf seiner Hose.
"Klo da", sagte sie und zeigte auf die angrenzende Tür.
"Ich weiß aber-", setzte Kian verwirrt an.
"Das aussehen wie kein Klo", erklärte Nio und zeigte auf den Fleck.
"Achso", sagte Kian und kratzte sich beschämt am Hinterkopf. Der Felck sah wirklich so aus, als wäre er nicht rechtzeitig aufs Klo gegangen.
"Ausziehen", sagte Nio und zeigte abermals auf seine Hose.
"Jetzt? Hier?", fragte Kian perplex und Nio nickte Bestätigend.
"Na gut", sagte Kian verlegen. "Kann ich wenigstens auf die Toilette gehen?" Nio grinste belustigt und entblößte eine Reihe weißer Zähne, nickte aber dann.
"Hier", meinte Kian und steckte seine dreckige Hose durch die Tür.
"Schämen?", fragte Nio amüsiert.
"Ja. Sehr", gab Kian verlegen zu.
"Ich weg", rief Nio und schloss die Tür nach draußen wieder. Erleichtert kam Kian aus dem kleinen Bad und kroch unter die bisher unbenutzte Bettdecke. Das war ihm doch sehr unangenehm.

"Sitzt alles?", fragte Jule nervös und Strich ihr Kleid glatt.
"Alles perfekt", bestätigte Gabriele und tätschelte beruhigend ihren Rücken.
"Schatz?", rief Jaron da. "Ich hab' eine kleine Auseinandersetzung mit der Fliege."
"Komme!", rief Gabriele und verdrehte die Augen.
Jule lachte leise in sich hinein, bis sie an ihre High-Heels dachte. Sie hatte absolut keine Lust einen ganzen Abend in den Dingern zu laufen. Vor ein paar Jahren hatte sie sich aus Spaß das rennen auf High-Heels beigebracht. Nicht unbedingt eine angenehme Tätigkeit und da man auf einem Ball bekanntlich tanzt, was auch irgendwie Sport war, graute es Jule vor dem Abend.
"Hast du den Ring?", rief Gabriele zu ihr herunter.
"Ja!", rief Jule genervt zurück. Das hatte er sie bestimmt schon zwanzig mal gefragt. Die Fälschung sah nahezu zu perfekt aus.
"Nimm den anderen auch mit", meinte Jaron und Jule lief ins Gästezimmer um das Schmuckstück zu holen. An ihrem Finger war kein Platz mehr und da ihr Kleid keine Taschen hatte, schob sie ihn kurzerhand in ihren BH. Da würde ihn hoffentlich niemand klauen.
"Fertig?", rief Gabriele sie.
"Noch die Schuhe", antwortete Jule und hastete wieder aus dem Zimmer.
Den kleinen Edelstein auf dem Nachttisch sah sie nicht.

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