1. Nach dem Sturm

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Nach fast drei Monaten trauten wir uns langsam und benommen wieder aus unseren unansehnlichen Häusern. Nach dem Sturm der letzten zwei Wochen, hätten die fragilen Bauten dringend unsere Aufmerksamkeit bedurft, um die Schäden zu beheben, die Güter trocken zu legen, den Schimmel zu beseitigen. Der Regen hatte gegen die Lehmwände gepeitscht und die Weidengitter freigelegt. Die Strohdächer waren eingedrückt und die unteren Zimmer überflutet. Doch es war niemand mehr übrig, der sich um solche Dinge kümmern konnte. Oder vielleicht doch?

Wir wussten es nicht, wir hatten uns nicht getraut nachzusehen. Doch nun, nach drei Monaten Seuche und zwei Wochen Sturm, trieb uns der Hunger auf die völlig verschlammte Straße. Wir wollten sehen, wer noch da war.

Und sobald sich die ersten heraus getraut hatten und wir in unseren kaputten Häusern die Stimmen der anderen hörten, Tag ein Tag aus, ohne dass diese mutigen Wesen wieder verstummten, war es als hätte man in ein Bienennest gestochen. Und plötzlich purzelten wir in den nächsten Tagen alle heraus und sahen und hörten und fühlten einander wieder.

Einmal heraußen schlossen wir uns den anderen an und riefen noch einige weitere Tage auf den Straßen. Riefen nach denen die noch nicht den Mut gefunden hatten, um aus dem Haus zu kommen. Nach denen zu suchen, die nicht mehr antworteten, trauten wir uns jedoch nicht. Deren Türen würden für immer verschlossen bleiben.

Mehr und mehr von uns suchten dann, nach einer Weile Schutz in der Abgabenhalle, dem einzigen großen Gebäude, das nach dem Sturm noch stand. Und so fanden wir uns alle zusammen. Der klägliche Rest der von unserem Dorf übrig geblieben war, hätte wohl auch in einen einzigen kleinen Raum gepasst.


Meralin war eine gigantische Metropole unserer Zeit. Mit zwölfhundert Einwohnern, war die Stadt unseres Königs die größte der bekannten Welt. Viele Völker waren zu uns gepilgerten, um den Abbau unserer Erze zu erlernen, die Art wie wir unsere Häuser bauten und unsere Kleidung färbten. Den größten Reichtum erlangten wir durch den Bergbau und der Entdeckung des Feuermetalls. Die Nirin nannten dieses Metall auch Bronze und sie Gaben uns viel Sonnenmetall dafür, oder von ihnen auch Gold genannt. Wir kauften das Blutmetall, das die Preti Kupfer nannten, mit Mondmetall oder auch Silber und mengten Erdmetall bei, zu dem alle anderen Zinn sagten. Damit machten wir seit Generationen schon das Blutmetall der Preti härter und widerstandsfähiger.

Es drehte sich bei uns also alles um den Bergnau und die Legierungen, die unsere Gelehrten stetig verbesserten. Und so nannten wir uns das Volk der Feuerschmieder.

Unser Dorf hatte sich um eine Erdmetallmiene gebildet und war nie so groß gewesen, wie Meralin. Doch es versorgte die Hauptstadt unter uns im Tal, mit einem stetigen Strom an Roherz und dadurch war es uns vergleichsweise gut gegangen.

Aciele, eine der vielen Frauen unseres Königs, hatte sich bei uns niedergelassen und die große Abgabenhalle erbaut, in die wir uns nun zurück zogen. Anciele war nicht mehr anwesend. Manche wollten gesehen haben, wie sie bei Ausbruch der Seuche in die Hauptstadt geflohen war. Andere waren überzeugt, dass sie geblieben war und man unsere Schamanin Lamana Ohna zu ihr gerufen hatte, doch diese nichts mehr für die Königin tun hatte können. Es war nicht zu beweisen, was geschehen war, denn auch Lamana Ohna weilte nicht mehr unter uns.

Es waren sich alle sicher, dass sie eine der ersten gewesen war, welche die Götter zu sich gerufen hatten, schließlich hatte sie als die Heilerin des Dorfes, als erste mit den Kranken Kontakt gehabt.

Wir wussten nicht was wir ohne Lamana Ohna machen sollten. Was wenn die schreckliche Seuche zurück kehren würde? Mit ihrem kalten Stadium, das einige Tage Schüttelfrost, Schmerzen in Kopf, Hals und Beinen brachte und dann die höchst schmerzhafte heiße Phase, die übermäßig Schweiß, Herzrasen, Magenschmerzen, Fieber und großen Durst verursachte. Nach einer Woche war man tot, vielleicht sogar schneller ohne Heilerin.

Doch um die ungewisse Zukunft konnten wir uns im Moment nicht kümmern. Das Hier und Jetzt war der einzige Zeitraum, der unserer Aufmerksamkeit bedurfte, denn hungrig fragten wir uns, wer noch Vorräte übrig hatte. Wer überhaupt wusste, wie wir an Essen heran kämen, wenn auch das letzte Körnchen Weizen aufgebraucht war.

Die meisten Männer und Frauen unseres Dorfes, waren Bergarbeiter gewesen. So auch ich.
Wir wussten nicht recht mit der Sichel umzugehen, oder wie man Hafer richtig lagerte.

Die Götter hatten uns einen einzigen Bauern gelassen – Fasari. Dieser machte gleich klar, dass er alleine gar nichts bewerkstelligen konnte.
Wir Bergarbeiter waren es gewohnt hart, ungedankt und unter dem Kommando eines grinsenden Faulpelzes zu arbeiten. Also stimmten wir zu, ihm uneingeschränkt zu helfen, um die Gemeinschaft zu versorgen.

Das Ehepaar Nátasar war mit seinen zwei jungen Töchtern ebenso verschont geblieben. Beide Stofffärber und von allen gut gelitten. Die kleine Familie hatte viel Sonnenmetall, doch sonst leider nichts anzubieten.

Ein paar Soldaten, auf Heimaturlaub waren auch noch am Leben. Sie garantierten uns Schutz vor Plünderungen, auch wenn wir uns nicht sicher waren, ob da draußen in den anderen Bergarbeiterdörfern, überhaupt noch jemand am Leben war, der uns überfallen könnte.

Von uns Bergarbeitern hatten eine handvoll überlebt. Wir konnten uns im Normalfall keine eigenen Häuser leisten und hatten bis jetzt immer in engen, überfüllten Baracken gelebt. Selbst wenn wir bereist Familien hatten. Doch nach drei Monaten Seuche und zwei Wochen Sturm, hatte ich plötzlich unglaublich viel Platz in meiner Baracke gehabt. Und zwar so viel, dass ich mich Mutterseelen alleine gefühlt hatte.

Ich war mir nicht sicher gewesen, ob ich jemals wieder einen anderen Feuerschmied zu Gesicht bekommen, oder wie all meine Kameraden vor mir, in den nächsten Tagen entschlafen würde, bis ich diese Stimme draußen gehört hatte. Ich dachte, dass es Loely war, die mich gerufen hatte. Ich konnte es nicht mit absoluter Sicherheit sagen, doch sie befand sich hier mit uns in der Abgabenhalle und war die Einzige, deren Gesicht nicht eingefallen aussah. Deren Augen nicht leer vor sich hin starrten und deren Stimme nicht monoton klang. Sie schwirrte vital und voller Tatendrang durch die Halle, rieb die Weihsenkinder trocken und wies jedem Neuankömmling einen Platz am Feuer zu.

Ja ich denke, dass Loely es gewesen war, die mich aus der Baracke gelockt und mir das Leben gerettet hatte.

Loely trotzt den GötternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt