Im Wandel der Zeiten

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„Die Männer, die mir gesagt haben, dass du in Bethel bist," fuhr Schlomo nach einer Weile fort. „Kennst du sie?"

Jonathan schwieg. Denn er wusste nicht, was er antworten sollte. Einerseits kam es ihm vor, als ob sich der Vater in den letzten drei Jahren verändert hätte. Immerhin hatte er den Posten als Verwalter des Tempelschatzes aufgegeben, wie Jonathan noch in Megiddo von Alexander erfahren hatte. Doch er wusste nicht weshalb, und auch seine Mutter hatte ihm keine überzeugende Erklärung geben können. Als er Jerusalem verlassen hatte, war sein Vater ein treuer Anhänger des Hyrkans und stand klar auf der Seite von Antipater. Insofern hätte Jonathan ihm durchaus von seiner Abmachung mit Herodes erzählen können. Immerhin traf ihn dafür, dass die Mission im Sand verlaufen und Ptolomäus samt seinem Hofstaat noch immer in Griechenland blockiert war, keine Schuld. Möglicherweise wäre Schlomo sogar stolz auf ihn gewesen.

Andererseits hatte der sich gerade kritisch über Hyrkan geäußert. Vielleicht sympathisierte er insgeheim mit Aristobolus. Oder aber es war eine Art Prüfung, die dem Vater helfen sollte herauszufinden, ob Jonathan aus der Sukkot-Nacht gelernt hatte und nunmehr ein guter, Rom treuer Bürger geworden war.

„Jonathan, ich will dir etwas sagen." Schlomo blieb stehen, hielt Jonathan ein wenig am Stoff seiner Tunika fest und sah ihm tief in die Augen. Scheinbar trägt er mir nicht nach, dass ich so respektlos war, ihm nicht zu antworten, überlegte Jonathan. „Du bist jetzt ein Mann und schuldest mir keinen Gehorsam mehr. Du schuldest ihn einzig und allein dem ewigen Gott, gelobt sei sein Name."

„Ich weiß", stellte Jonathan fest und ärgerte sich dabei, dass es ihm nicht gelungen war, seiner Stimme einen selbstbewussten Klang zu verleihen. Doch Schlomo schien auf seiner Reaktion ohnehin nicht besonders zu achten.

„Josephus hat mir regelmäßige Berichte aus Rom geschickt", fuhr er fort. „Er war sehr zufrieden mit dir." Er machte eine kleine Pause und klopfte seinem Sohn gönnerhaft auf die Schulter. „Genau genommen hat er dich in den höchsten Tönen gelobt. Nun, er wird auch ein wenig übertrieben haben. Immerhin ist es nicht so, dass ich dich nicht kennen würde." Jonathan lachte bitter. Es war die Selbstgefälligkeit in seinen Worten, die Art und Weise, wie er auf ihn herabblickte, worunter Jonathan viele Jahre gelitten hatte und was nun nur noch Verachtung in ihm auslöste. Er richtete sich ein wenig auf und tat einen Schritt nach hinten, sodass der Vater die Berührung aufgeben musste.

„Wenn ich dir keinen Gehorsam mehr schulde", sagte er scharf, „dann bin ich wohl auch nicht gezwungen, dieses Gespräch zu führen."

Eine Weile blieb es still. Jonathan wartete, dass der Vater ihn schlagen würde. Nicht so sehr allerdings wegen dem, was er gesagt hatte, sondern weil er ihn zum ersten Mal in seinem Leben nicht in der Höflichkeitsform angesprochen hatte. Doch Schlomo kam noch näher auf ihn zu und griff nach seinen Händen. Jonathan wehrte die Geste ab. Er schüttelte den Kopf und starrte Schlomo ungläubig an.

„Josephus hat mir auch geschrieben, dass du dich mit Herodes getroffen hast und dass ihr im Einvernehmen auseinander gegangen seid." Jonathan zuckte abweisend mit den Schultern. Das ist alles, was ihn interessiert, dachte er. Die Politik. Er ist ganz der Alte. „Aber die Männer, die bei mir waren und mir erzählt haben, dass sie dir eine wichtige Position am Tempel verschaffen wollen..." Er unterbrach sich, wirkte einen Augenblick lang unsicher. „Das waren keine Hyrkan-Treuen." Er zögerte. „Ist das möglich?"

„Es ist vieles möglich", gab Jonathan schroff zurück und wollte sich schon abwenden, doch das breite Grinsen, das seine letzten Worte dem Vater ins Gesicht gezaubert hatten, hinderte ihn daran.

„Ich wusste es", entgegnete Schlomo zufrieden. „Ich wusste, dass mein Sohn sich nicht von einem Herodes kaufen lässt oder gar mit einem Antipater gemeinsame Sachen macht."

Jonathan war verwirrt, er hätte etwas Trotziges erwidern wollen, aber das wäre ihm unreif vorgekommen. In erster Linie ärgerte es ihn, dass der Vater ihn trotz seiner vagen Antwort sofort durchschaut hatte. Auch wusste er nicht, wie er ihn einschätzen sollte. War auch Schlomo mittlerweile einer von denen, die lieber wieder Aristobolus am Königsthron sehen wollten?

„Wie dem auch sei", hörte er Schlomo sagen. Alles, was gerade geschah, erschien Jonathan unwirklich, wie in einem eigenartigen Traum. „Sei vorsichtig, mein Sohn. Diese Männer sind gefährlich." Er öffnete vorsichtig die Arme, doch Jonathan ignorierte die Geste. Innerlich jedoch rang er mit seiner Fassung. Wie oft hatte er sich als Kind danach gesehnt, vom Vater in die Arme genommen zu werden? Wie oft hatte er sich gesagt, dass es an ihm liegen musste, dass Schlomo ihn nicht lieben konnte? Weil er nicht gut genug war als Sohn, ganz gleich, wie sehr er sich auch Mühe gab.

„Ist dieses Gespräch beendet, Vater?", erkundigte er sich kühl und war ein wenig erleichtert, weil es ihm gelungen war, dass seine Stimme nicht zitterte.

Schlomo nickte, die Züge seines Gesichtes wirkten müde und traurig. „Es liegt an dir", antwortete er leise, beinahe tonlos.

Jonathan deutete einen Gruß an, denn er wollte zumindest nicht unhöflich sein. Doch dann drehte er sich, bereits im Gehen, wieder nach dem Vater um.

„Eine Frage habe ich noch", begann er. Schlomo reagierte zunächst mit einem freundlichen Lächeln, das allerdings nicht von langer Dauer war. „Wie ist es, sein Kind zu schlagen", begann Jonathan. Seine Stimme war hart und ohne jedes Gefühl. „Wie ist es, zu spüren, wie sich sein kleiner Körper verzweifelt unter der Rute windet?" Er wartete kurz. Und da Schlomo nicht gleich reagierte, fügte er zynisch hinzu. „Ist es ein gutes Gefühl?" Dann standen sie einander gegenüber. Sie waren ungefähr gleich groß, von der gleichen kräftigen Statur, zwei Männer, aufgewachsen in der gehobenen Gesellschaft, gewohnt, Befehle zu erteilen.

„Ich habe dich zu einem guten und rechtschaffenen Mann erzogen", gab Schlomo irgendwann zurück. Seine Worte klangen sachlich und waren frei von jener Selbstgefälligkeit, die Jonathan am meisten am Vater verabscheute. Trotzdem gab er sich mit der Antwort nicht zufrieden.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt