Jael

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„Adonai, lo gavha libi", summte Tabitha leise und beobachtete dabei ihre Tochter, die mit leicht geschlossenen Augen neben ihr in einem aus Weiden geflochtenen Körbchen ruhte. Tabitha war mittlerweile am Ende all der Psalmen angelangt, die sie auswendig konnte, und überlegte, ob sie noch einmal von vorne beginnen sollte. Die kleine Jael jedenfalls schien den Gesang der Mutter nicht zum Schlafen zu benötigen. Und doch gefiel es Tabitha, für die Kleine zu singen, denn sie fühlte sich mit ihr auf diese Weise umso mehr verbunden. Zugleich war es tatsächlich eine Art Gebet, so als würde sie das Kind dem Schutz Gottes anvertrauen. Auch genoss es Tabitha, endlich einmal mit ihrer Tochter allein zu sein. Denn die Fürsorglichkeit Mirjams war nach den Strapazen der Geburt sogar noch größer geworden, und da es nun Mutter und Kind zu versorgen galt, waren sie und Martha praktisch immer an ihrer Seite. Zumindest hatte Tabitha erfolgreich durchgesetzt, dass für Jael keine Amme angestellt wurde, sondern sie ihr Kind selbst stillte.

Sie lehnte sich ein wenig zurück, freute sich an der Ruhe und daran, dass es für sie gerade nichts zu tun gab, als zu beobachten, wie die Zeit verstrich. Seit Eleazar vor ein paar Tagen vorgeschlagen hatte, Frau und Kind mit nach Kallirohe zu nehmen, damit sie dort die warmen Heilbäder genießen konnten, während er den Verhandlungen zwischen Gabinius und Aristobolus beiwohnen würde, hatten Mirjam und Martha alle Hände voll zu tun, die Reise vorzubereiten. Denn natürlich hätten sie am Liebsten den ganzen Haushalt mitgenommen. Zum Glück bremste Meschach den Eifer der beiden, sodass diese Aufgabe nicht an Tabitha hängen blieb. Der Arme, dachte sie mit einem Schmunzeln, er handelt sich den ganzen Ärger meiner beiden energischen Mägde ein. Denn gerade war es ihr, als hörte sie draußen im Gang Mirjam schimpfen. Kallirohe war eigentlich nur einen Tagesmarsch von Jericho entfernt, doch damit die Reise für die kleine Jael nicht zu anstrengend sein würde, sollte der Weg in zwei Etappen zurückgelegt werden.

Tabitha kam der Plan ihres Mannes sehr gelegen. Denn zum einen verschaffte er ihr nun ein paar Tage, in denen sie nicht rund um die Uhr von ihren Dienerinnen umgeben war, zum anderen liebte sie die kleine Ortschaft am Ostufer des Asphaltsees und hatte sich insgeheim schon oft danach gesehnt, wieder einmal zu den Thermen zurückzukehren, die sie in ihrer Jugend das eine oder andere Mal gemeinsam mit ihrer Mutter besuchen hatte dürfen. In Kallirohe hatten nämlich schon zur Zeit ihrer Großeltern eine ganze Reihe von Kureinrichtungen bestanden, denn das warme Quellwasser galt als heilsam für Knochen- und Gelenkserkrankungen. Als dann die Römer das Land erobert hatten, war rasch eine großzügige Badeanlage gebaut worden, in der die römischen Damen und die reichen Familien des Jerusalemer Adels oft Tage und Wochen damit zubrachten, sich zu pflegen und zu erholen.

Seit Tabitha nach Jericho gezogen war, hatte sich ihr noch keine Gelegenheit für eine Reise zu den Thermalquellen geboten. Die politische Lage war zu unruhig. Doch nun schien sich mit der Ankündigung der Verhandlungen die Lage im Land zu verändern. Wenn Tabitha draußen in der Stadt Erledigungen machte, kam es ihr manchmal vor, als ob die Worte ihres Vaters tatsächlich zutreffen und ein Hauch von Frieden über Judäa liegen würde, wie er es ihr vor ein paar Tagen gesagt hatte, als er sie und das Kind wieder einmal besucht hatte. Jedenfalls freute sie sich auf die Reise und es freute sie ganz besonders, dass Eleazar ihr gestanden hatte, dass er diese Entscheidung nicht nur getroffen hatte, damit Mutter und Kind zu Kräften kommen konnten, sondern weil er sie und ihren Rat bei den bevorstehenden politischen Debatten gerne in seiner Nähe wissen wollte.

Während Tabitha ihren Gedanken nachging, begann sich Jael ein wenig zu räkeln, schlief aber gleich wieder weiter, als sie die beruhigende Hand ihrer Mutter auf ihrem Bäuchlein spürte. Da wurde leise die Tür geöffnet und Eleazar trat ein. Tabitha lächelte. Sie hatte ihren Mann in den letzten Wochen nur wenig gesehen. Denn als die Anzahl der Rebellenangriffe gegen die militärischen Konvois der Römer sowie gegen die Händlerkarawanen zugenommen hatte, war Eleazar in seine alte Rolle geschlüpft und begleitete seine Männer nun ungeachtet der fehlenden rechten Hand wieder persönlich.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt