Ausgeträumt

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Ich rannte eine menschenlehre Straße entlang. Jeder meiner Atemzüge klang röchelnd wie das schaurige Pfeifen des Winterwindes. Mein Herz donnerte mir gegen die Brust und meine Beine sackten beinahe unter mir zusammen. Keuchend drehte ich mich um. Mein Verfolger kam mir immer näher, bald würde er mich erreicht haben, und was dann geschehen würde, wollte ich mir lieber gar nicht erst ausmalen. Ich bog in irgendeine Richtung ein und befand mich nun in einer engen, dunklen Gasse. In meinem Kopf ratterten tausende Gedanken und tausende Fragen ließen meinen Schädel fast zerspringen. Geistesgegenwärtig blieb ich stehen. Vor mir streckte sich eine mit Efeu bewachsene Hauswand in die Höhe. Ich war in eine Sackgasse gelaufen. Meine Beine sackten nun in sich zusammen und ich sank an der Hauswand nieder. Doch mir blieb keine Zeit mehr, um mich in Sicherheit zu bringen, denn in diesem Moment hatte mein Verfolger mich eingeholt. Im Schatten der alten Häuser war nur der pechschwarze Umriss des Mannes zu erkennen. Dann zog er ein im Mondlicht glänzendes Messer aus der Tasche und kam immer näher auf mich zu. Meine Kehle schnürte sich zusammen und sämtliche Muskeln in meinem Körper spannten sich an. Das letzte, was ich im Schein einer flackernden Straßenlaterne sah war das Gesicht des Mörders, dass mir den Atem raubte. Es war das Gesicht meines Mathelehrers. Dann wurde alles schwarz.

„Letty, Letty!", wisperte eine leise Stimme, die meilenweit von mir entfernt schien, „Wach doch endlich auf". Jemand rüttelte mich heftig. Langsam und blinzelnd öffnete ich die Augen. Grelles Licht kam mir entgegen. Langsam kam ich wieder zu mich und meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Helligkeit. Vor mir war eine vollgekritzelte, dunkelgrüne Tafel und die großen Fenster ließen den Raum mit Licht durchströmen. Miri, meine beste Freundin, rüttelte mich noch immer. „Pass nur auf, dass der olle Raffi nichts merkt sonst kriegst du eine riesige Portion Strafarbeiten aufgetischt", flüsterte sie mir zu und hörte endlich auf mich wie eine blöde zu schütteln. Langsam begann ich zu verstehen. Das alles war nur ein Traum gewesen! Womöglich war ich von den todlangweiligen Formeln der Mathematik eingeschlafen. Die im Anzug gekleidete Person, die bis jetzt still am Pult gesessen hatte, richtete sich nun auf. Herrn Raffsos schwarze Augenbrauen, die viel zu groß waren, zogen sich langsam zusammen. Seine Lippen kräuselten sich und seine riesige Gestalt ließ mir einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Er sah tatsächlich genauso aus, wie der Mörder meines Traumes. Er schritt mit langen und bedachten Schritten durch den Klassenraum und erzählte uns irgendetwas aus der „höheren Mathematik", wie er es selbst stolz zu nennen pflegte. Wir bevorzugten eher den Ausdruck „langweiliges Geplänkel", aber das ist wohl Geschmacksache. Langsam nahm der Unterricht wieder seinen Lauf, und ich hätte mich schon fast wieder entspannt und meinen Traum unbeachtet gelassen, wäre da nicht dieses glänzende Messer, dass aus Herrn Raffso schwarzer Aktentasche lugte.

„Miri, ich muss dringend mit dir reden", ich packte meine Freundin am Arm und zog sie in eine Rumpelkammer, die mit alten Heften und Arbeitsmaterial nur so überquoll. „Was gibt's?", fragte Miri gespannt. „Ich hatte eine unangenehme Begegnung mit unserem Mathelehrer", begann ich und erzählte meinen Traum so schnell, wie möglich. „Tja, da gibt es nur eine Möglichkeit, um diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen", meinte meine Freundin aufgeregt. Ihre Augen sprühten nur so vor Tatendrang und sie war sofort Feuer und Flamme, sobald es um etwas geheimnisvolles, ja gespenstisches ging. „Wir müssen ihm nachspionieren, um herauszufinden, ob er wirklich ein Mörder ist. Am besten schleichen wir ihm nach der Schule hinterer. Dann wird die Wahrheit schon früh genug ans Licht kommen".
„Aber wenn er wirklich ein Mörder ist, wird er uns umbringen, genau wie in meinem Traum", zweifelte ich, „Wir sollten uns lieber von Herrn Raffso fernhalten".
„Quatsch, wir treffen uns heute nach der Schule an der Bushaltestelle"
Ich wollte Miri widersprechen, doch in dem Moment klingelte die Pausenglocke, und so mussten wir wieder in den Unterricht gehen.

Ich schnürte meinen Schal enger und versuchte nicht von der Winterkälte zu bibbern. Die Sonne schien zwar unaufhaltbar, aber in der Luft lag eine Kälte, die den Atem in der Luft gefrieren ließ. Ich wartete auf meine Freundin und bereute wieder einmal, mich auf derartiges eingelassen zu haben. Schon öfters hatte Miri uns sämtliche Strafpredigten an den Hals gebunden mit ihrer unbändigen Abenteuerlust. Die alten Häuser in der Straße erinnerten mich an meinen Albtraum und ließen mein Herz schneller klopfen. Da kam endlich Miri. Ihre Wangen glühten vor Vorfreude und sie hatte vor lauter Aufregung ihre Jacke in der Schule vergessen. Darauf wollte ich sie gerade hinweisen, als sie mich mit einem lauten „Psst" zum Schweigen brachte, denn in diesem Moment kam eine staksige Gestalt um die Straßenecke gebogen, die einen langen, schwarzen Wintermantel trug. Wir stürzten uns kurzerhand in das nächstgelegenste Gebüsch und beobachteten unseren Lehrer, wie er laut pfeifend den Gehsteig entlangschritt. Dabei sah er so äußerst normal aus, dass ich mir sehr dumm vorkam, nur wegen einem ungewöhnlichen Albtraum einen harmlosen Lehrer zu verfolgen, doch meine Freundin riss mich gewaltvoll aus meinen Gedanken und wir huschten hinter den nächsten Busch und verfolgten so die schwarze Gestalt. Her Raffso führte uns immer weiter und die Straßen wurden immer leerer, bis wir schließlich in ein verrufenes Viertel unserer Stadt gelangten. Ein Rabe krähte und der Wind pfiff über die Häuserdächer. Die Fensterläden waren geschlossen und eine gespenstische Stille lag in der Luft. Nur eine alte Dame mit einem riesigen, spitzzulaufenden Hut saß aus einer uralten Holzbank. Langsam begann auch Miri an unserer Idee zu zweifeln. Mir war nicht wohl in meiner Haut, denn ich hatte zudem keine Ahnung, wie wir von hier her wieder nach Hause kämen. Herr Raffso schien uns noch immer nicht bemerkt zu haben. Jetzt schaute er sich zu allen Seiten um, um sicherzugehen, dass ihn niemand beobachtete. Wir standen hinter einer Säule und hielten die Luft an. Dann holte die dunkle Gestalt einen Zettel aus der Aktentasche und verschwand in einer Telefonzelle. Die Aktentasche blieb noch immer geöffnet mitten auf der Straße stehen. „Das ist unsere Chance", wisperte Miri, „Mal sehen, ob wirklich ein Messer in seiner Tasche steckt". Also schlichen wir uns langsam immer näher an die Tasche heran. Zum Glück schien Herr Raffso ein langes Gespräch zu führen. Vorsichtig und voller Anspannung lugte ich in die Tasche: Ein Block, ein Federmäppchen, ein Ordner, aber weit und breit kein blitzendes, großes Messer und dabei hätte ich schwören können, es heute Vormittag in seiner Tasche gesehen zu haben. „Was suchst du denn da?", eine eiskalte Stimme ließ mich aufschrecken und ich brauchte meinen Kopf gar nicht erst zu heben, um zu sehen, wer das sagte. Die Stimme sagte mir bereits, dass wir entlarvt waren. „Suchst du etwa mein Messer? Keine Sorge, dass habe ich nicht verloren. Es liegt hier nämlich in meiner Hand. Du solltest deinen Träumen besser trauen, Leticia. Nur schade, dass dieser Traum auch dein letzter war". Ich senkte meinen Kopf noch tiefer und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. „Oh, und deine kleine Freundin, wird auch nicht mehr lange leben", sagte eine krächzende Stimme, die mich an einen Raben erinnerte, von hinten. Ich drehte mich um und sah die alte Dame, die zuvor noch auf der Bank gesessen hatte, wie sie Miri den Mundverbunden hatte und sie festhielt. „Danke, Armiralda für deine Hilfe", fuhr Herr Raffso fort, „Es wird Zeit diesem Fluch der Kinder ein Ende zu bereiten". Ich biss mir auf die Lippen. Ich musst dringend meine Freundin aus den Klauen dieser Hexe befreien, damit wir fliehen konnten. Aber wie sollte ich das anstellen? Da fiel mir ein Feuerzeug in der Tasche des Mathelehrers auf, die noch immer geöffnet vor mir stand. Natürlich, Feuer! Ich musste die Hexe verbrennen! Unauffällig ließ ich das Feuerzeug in meine Hosentasche gleiten und verkündete dann lautstark. „Haltet ein, tötet uns nicht, denn das werdet ihr noch bereuen! Wir besitzen etwas, was ihr unbedingt haben möchtet, womit ihr die Kinder der ganzen Welt töten könnt und dieser grausamen Übermacht ein Ende bereiten könnt. Alles, was ihr tun müsst, ist mich nun diesen Gegenstand holen zu lassen, dann wird sich alles so erfüllen, wie ich euch prophezeit habe". Ohne auf eine Antwort zu warten, rannte ich fort, zu der nächstbesten Tankstelle und besorgte etwas Benzin. Mit einem Eimer gefüllt mit der brennbaren Flüssigkeit, kam ich wieder zurück. Die alte Dame, die einer Hexe verteufelt stark glich, hatte Miri derweil an einen Baum gefesselt und kam nun neugierig auf mich zu, um in den Eimer zu schauen, als ich ihr blitzschnell das Benzin über den Kopf schüttete, mein Feuerzeig herausholte und die grausame, alte Dame anzündete. Ehe Her Raffso noch begreifen konnte was geschehen war, entfesselte ich meine Freundin und rannte los. „Armiralda", hörte ich Herrn Raffso hinter mir rufen, „Meine engste Verbündete, das werdet ihr bitter bereuen!" Als ich einen Blick hinter mich warf, sah ich unseren Mathelehrer, der die Verfolgung aufgenommen hatte. Die menschenleeren Straßen, das Pfeifen des Windes, die verfrorene Kälte, dies alles erinnerte mich an meinen Traum, den ich noch heute Morgen im Unterricht gehabt hatte. Das alles schien jetzt so weit entfernt. Dieser Traum hatte mich erst in diese verfahrene Situation gebracht. Falls ich das irgendwie überleben sollte, schwor ich mir, nie wieder im Unterricht einzuschlafen. Doch im Moment sah es nicht gerade so aus, als würden wir hier heil wiederraus kommen, denn Herr Raffso kam immer näher. Gerade wollte ich voller Angst die Hand meiner Freundin fassen, als ein ohrenbetäubendes Piepen in meinen Ohren erklang. Dann vernebelte alles und ich öffnete langsam meine Augen. Vor mir stand ein gepackter Schulranzen, mein Regal vollgestopft mit Büchern stand an der Wand. Ich lag in meinem Bett, und der Wecker piepste. Ich rieb mir die Augen. Von unten rief meine Mutter, wann ich denn endlich zum Frühstück kommen würde. Beinahe hätte ich geglaubt, dass alles nur ein Traum gewesen war, wäre da nicht dieses zerknitterte Papier in meiner Hand, auf dem mit blutroter Farbe „Rache" geschrieben stand.

So das wars mit meiner Kurzgeschichte, denn wie der Name schon sagt ist sie leider nur kurz. Aber vielleicht schreibe ich ja demnächst mal wieder etwas längeres, mir fehlen nur noch ein paar Ideen... Habt ihr welche? Dann schreibt sie mir doch einfach! Ich freue mich über jede noch so kleine Idee :)


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⏰ Letzte Aktualisierung: May 11, 2022 ⏰

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