Bonbonmontag

8 3 0
                                    

Huhu,
das hier ist eine Art Tagebuch-Eintrag-Kurzgeschichte und liest sich auch so.
Ein etwas älteres Projekt, das ich durch Zufall vor Kurzem wieder entdeckt habe.
Sagt bzw. schreibt mir gerne was ihr denkt.
Viel Spaß beim Lesen
xSaschax

Achtung! Triggerwarnung!
Diese Geschichte enthält Szenen, die das Thema Suizid behandeln.

___________________________________________


Wenn mich jemand nur verstehen könnte....
Wenn jemand diese Einsamkeit verstehen würde, sie teilen könnte, wenn sie ihm vertraut wäre...

Ich glaube, dann wäre alles besser.
Und wenn er mich ansehen würde...

Wir treffen uns in der Mitte des Niemandslandes, wissend, suchend, fühlend...
Bis die Suche aufhört.
Bis es vorbei ist.

Ich habe Bonbons gegessen. Zu viele....
Schoko-Milchremé.
Okay, sie waren echt lecker.
Was soll ich sonst schon tun in den Pausen. Alleine rumsitzen?
Alleine. Das Wort an sich tut schon weh. Wer will schon allein sein, ehrlich?
Naja, einige wenige Freunde habe ich. Aber keiner von ihnen geht auf meine Schule. In meiner Klasse bleibe ich außen stehen. Ich traue mich einfach nicht, auf die anderen zu zugehen.

Es fühlt sich an, als wäre ich ein Alien, das sein Mutterschiff verloren hat. Alle anderen sind menschlich- aber ich verstehe ihre Sprache nicht. Ich weiß nur, dass sie gute Bonbons machen.

Wenn ich keine Bonbons habe, beobachte ich die Subkulturen, die sich bei uns auf dem Pausenhof tummeln. Er ist einer von ihnen. Einer von den Typen, die immer um den Baumstamm, der quer umgekippt auf einer grünen Baum-Insel liegt, herumstehen.
Schwarze Röhrenjeans, knallige T-Shirts und schwarze, fransige Haare.

Emos.

Ich sitze nur blöd rum und glotze. Oder esse Bonbons. Ich bin allein.
Eigentlich würdigt mich nie jemand eines Blickes. Die meisten tun so, als wäre ich gar nicht da. Früher dachte ich oft, Emos sind Menschen, die allein sind und das Gefühl verstehen. Aber die stehen dort in Gruppen, lachen, scherzen miteinander...
und ich sitze hier, ohne alles, wie ein richtiger Außenseiter.
Ob die anderen wohl denken, dass ich gleich eine Waffe ziehe und schieße?
Sicher.
Vielleicht denken sie auch, dass ich zu arrogant bin, um mich mit anderen abzugeben.
Aber das stimmt nicht.
Wie soll man eine Barriere überwinden, wenn man nicht weiß, was man sagen soll?

Den Strom meiner Gedanken unterbricht oft die Pausenklingel. Trödeln gehört dann zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Hauptsache, ich sitze nicht schon überpünktlich auf meinem Platz. Denn dann sehen alle wie allein ich bin.

Schokobonbons sind meine täglichen Begleiter. Sie hören mir zu, bevor sie sich cremig-zart um meinen Gaumen legen, damit ich nicht wieder rumheule. Sie bringen mich zum Schweigen. Schweigen ist gut. Man sagt nichts Blödes. Man schweigt einfach. Cool.

Es gibt Zeiten, da wünsche ich mir, dazu zugehören. Ich will die Aufmerksamkeit von allen. Ich will seine Aufmerksamkeit.
Ich will angeschossen am Boden liegen und er kümmert sich um mich. Aber es ist zu spät.
Ich sterbe.
Meine Rache ist das ,,Zu spät".
Die nächsten Stunden Unterricht werden lang dauern, bis ich endlich nach Hause kann, zurück in meine kleine Welt. Und er?
In welche Welt wird er zurückkehren?

Verdammt. Verkackt. Eine mündliche Leistungskontrolle in Politik. Und ich konnte nichts. Ausgerechnet er saß ganz vorne....
Zu meiner Nervosität kam Körperwärme. Ich schämte mich so.
Bloßgestellt vor demjenigen, den ich beeindrucken wollte.
Vielleicht gebe ich mir lieber gleich die Kugel.
Ein Knall.
Ein Schuss.
Kopf-Kino.
Irgendwie erleichtert es mich, mir vorzustellen, wie es wäre.
Wieder würde es allein leid tun, dass ich immer so allein war.
In mir steigt Übelkeit hoch. Und Wut. Auf mich selbst. Auf mein Denken.

In der Aula warte ich auf meinen Bus. Solange bis alle kleinen Kinder verschwunden sind. Die Grundstufen...
Dann kommt die 727.

Im Bus träume ich von dem Badezimmer zuhause. Dieser vertraute Duft...
Er erinnert mich an ein schönes Gefühl. Ein vertrautes, zartes Heimgefühl. Luft, die man endlos einsaugen will, um den Duft nie zu verlieren.

Er heißt Jonas. Lange, schwarze, durchgestufte Haare, immer schräg ins Gesicht gekämmt. Chucks, Skinny Jeans und Nieten. Kantiges, schönes Gesicht, stechend grüne Augen.
Wie kann jemand nur so gut aussehen?
Er ist perfekter als die glänzend-braune Schicht der Bonbons.
Äußerlich zumindest.
Ich habe keine Ahnung wie er innerlich aussieht.
Ich sehe uns vor dem Spiegel im Badezimmer stehen. Endloses Glück durchströmt mich bei dieser Vorstellung.
Wir.
Wenn er mich endlich sehen würde...
Die Illusion ist mir egal, ich sehe nur das Glück.

Ich sehe, was du sehen könntest, Jonas.

___________________________________________

Heute gabs Schokoriegel. Klingt ziemlich ungesund, geb ich zu. Ich weiß, dass meine Beine zu dick sind. Das sagt niemand, aber alle gucken so. Ich höre das Raunen, wenn ich an meinen Platz im Klassenzimmer gehe. Sie reden über mich und lachen...
Und Jonas dreht sich nicht um.

,,JONAS!" rufe ich....
in Gedanken....
,,Hilf mir, Jonas!"
,,Bist du doof?" sagt er, während er sich zu mir umdreht.
Ich sterbe.

Irgendwann muss ich mit ihm reden!
Sonst ist es zu spät. Wo ist mein Mut?
Wo ist mein blöder Mut?
Feigling, er versteckt sich.
Ich esse weiter Schokoriegel, um nichts sagen zu müssen. Stück für Stück verschwindet in meinem Mund.

Ich bin nicht perfekt wie diese dürren Mädchen. Mit Wuschelmähne und Bohnenbeinen in Schlabbertshirts, damit sie noch schmaler wirken. Ohne ein Gramm Fett, ohne Hintern oder Hüfte, wie ein Gerippe. Ob Jonas die mag?
So eine bin ich nicht.
Sollte ich darüber froh sein?

Wie gewinnt man die Aufmerksamkeit eines Menschen?
Oder kann man überhaupt nichts tun?
Nach dem Motto: ,,Er steht einfach nicht auf dich?"
Er ist NICHT INTERESSIERT.

Lass mich fliegen.
Lass meine Träume fliegen.
Alles ist mir egal.
Alles!

Dreh dich um, Jonas!
Bitte!

Später, auf der Nachhausefahrt höre ich Musik. Harte Musik. Musik, die vor Melancholie nur so trieft.
Ich will leiden. Ich will es allen zeigen.
Ich will ihnen zeigen, wie falsch sie lagen, dass sie ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie mich sehen, dass alles ihnen leid tut.

Ich glaube, ich bin krank.
Ernsthaft krank.

Er soll mich sehen...
Nur er.

___________________________________________

Sie machen dich kaputt. Sie erzählen viel, wenn der Tag lang ist. Sie schlitzen dich auf, innerlich...
Sie reißen dich in Stücke, zerfetzen dein kleines Leben. Sie werfen deine Identität in den Mülleimer.
Die Lehrer sind es, die Schüler auch...
Und ich bleibe allein und esse meine Riegel.

Jonas♥

Er dreht sich um.
In meiner Erinnerung dreht er sich um und sieht durch mich hindurch.
Der Himmel wird grau, passend zu meiner Stimmung. Die Wolken schieben sich wie selbstverständlich über den meerblauen Himmel. Und die Krähen geben dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit in mir den letzten Tritt.
Jonas...warum siehst du mich nicht?
Wenn ich könnte, würde ich fliegen lernen, mit dir zusammen.
Wir fliegen von einem Hochhaus.
,,Sie liebten sich." sagt der Polizeisprecher in den Abendnachrichten. Aber tot sein...bin ich dann nicht ohne dich?
Man löst sich doch nicht auf oder?
Und wenn ich dich nicht mehr sehen kann...?
Nein!
Nein, ich will nicht fliegen.
Ich will bei dir sein.
Du und ich im Regen. Wir gehen spazieren. Ich träume wieder.

Dieser Schmerz in meinem Herzen, der sich Sehnsucht nennt. Kennst du ihn?
Weißt du, wie es sich anfühlt?

WEIẞT DU ES, JONAS?

Rüttel mich, schlage mich, beleidige mich, aber beachte mich einfach.

Wirf mir nur einen Blick zu und ich schwebe.
Liebe mich.
Halte mich.
Nimm mich an, wie ich bin.

Wer ist schon perfekt außer dir?

,, Lass mich in Ruhe!" sagt Jonas und geht.

Nein, lass mich in Ruhe sagt sein Blick. Sein Mund ist verschlossen, stumm.
Kein Wort.

Und die Zeit vergeht.

BonbonmontagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt