Kapitel 7

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Zuhause stelle ich mir direkt einen Wecker, um später auch ja die Zeit nicht zu vergessen und meine Chance nicht zu verpassen, Informationen über meine Mutter zu erhalten.

Ich wusste genau, dass ich andernfalls mal wieder zu sehr in meine Arbeit vertieft sein würde und alles um mich herum viel zu sehr ausblenden würde. Da blieb nur ein schriller Wecker, der mich aus meinen Gedanken reißen würde.

Ich widme mich meinem Artikel über die faszinierenden kleinen Geschöpfe. Ich tippe auf meiner Tastatur herum. Meine Hände finden wie von selbst die Buchstarben. Ich mag es, mit meinem in die Jahre gekommenen Laptop zu schreiben, der mir schon zu so manchen guten Artikeln verholfen hat. Einen besonders teures und neues Modell brauche ich gar nicht. Gut, wenn dieser hier irgendwann wirklich einmal seinen Geist aufgeben sollte, müsste ich mir zwangsläufig tatsächlich darüber Gedanken machen. Solange alles aber noch einwandfrei funktioniert, kann ich mein gutes Stück immerhin noch für einige tolle Artikel nutzen.

Wie ich herausfand, symbolisiert der Schmetterling ein Leben nach dem Tod, Verwandlung, Hoffnung und Neuanfang. Während meiner Recherche bin ich außerdem auf eine ziemlich schöne Tradition gestoßen. Als Glücksbringer wird der Schmetterling auf Hawaii gesehen, dem man seine Wünsche anvertrauen kann, welche dieser dann davon trägt.

Ich bin abgetaucht in meine Schreibwelt oder als was auch immer man sie bezeichnen würde. Es fühlt sich einfach jedes Mal gut an, seine Gedanken für einen Moment nur auf den Schreibprozess zu legen und so ganz wunderbar abschalten zu können.

Meine Spotify-Playlist spielt bereits ihren vorletzten Song ab, bevor mich der äußerst unangenehme Ton meines Weckers daran erinnert, dass ich langsam mal aufbrechen muss.

Ich biege in die Straße ein, die Birte mir auf den kleinen Zettel geschrieben hat. Ich gehe an Hausnummer 28, 30, 32, und 34 vorbei bis ich die Nummer 36 hinter einer verwunschenen kleinen Hecke entdecke. Ich drücke mit meinem rechten Zeigefinger auf den Klingelknopf, der von einer wunderschön verschnörkelten Klingelplatte umgeben ist.

Wow, was für eine noble Gegend, in der Birte hier wohnt. Schon ungewöhnlich. Mit einem einfachen Kellerinnengehalt konnte man sich das hier sicher nicht leisten. Aber darüber sollte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Immerhin bin ich nur aus einem einzigen Grund hier, nämlich um etwas über meine Mutter herauszufinden.

Die Tür springt auf, ich gehe hinein und steige die Treppen nach oben, bis ich Birte sehe. Sie begrüßt mich wieder mit diesem freundlichen Lächeln.

„Hey Lilly. Schön, dass du da bist. Komme doch rein", sagt sie sehr herzlich.

„Danke", sage ich und betrete ihren Flur.

„Darf ich dir ein Glas Wasser oder einen Saft anbieten?"

„Ja, ein Glas Wasser wäre toll."

Sie reicht mir das volle Wasserglas und ich setze mich ihr gegenüber auf den mit weißem Lammfell umzogenen Stuhl. Sie hält zwei große Fotoalben in der Hand. Das große blaue schlägt sie auf.

„Schau mal Lilly, das hier ist deine Mutter!" Sie deutet auf ein altes Bild, auf dem meine Mutter neben einer Frau steht, die Birte sein musste. Beide sehen noch so unglaublich jung darauf aus. Sie stehen vor einem großen Schulgebäude.

„Wir sind damals zusammen in dieselbe Klasse gegangen!", erzählt mir Birte.

Sie blättert weiter. Wir sehen uns unzählige Bilder an. Auf einem bin sogar ich zu sehen. Ich sitze in einem kleinen aufblasbaren Gummipool in unserem damaligen Garten und lächle in die Kamera.

Erinnerungen kommen hoch. Bilder von meinem Vater wie ich mit ihm gemeinsam die Sterne beobachtete und wie er mir zu meinem 12. Geburtstag dieses wunderschöne Teleskop schenkte. Mein Vater hatte seine Leidenschaft für die Astronomie mit mir geteilt und durch seine Erzählungen auch mein Interesse geweckt. All mein Wissen über Sterne und Sternenbilder hatte ich von ihm. Wie sehr ich meinen Vater vermisste. Wir hatten immer schon diese ganz besondere Vater-Tochter-Beziehung gehabt.

Deswegen war es für mich nach seinem Tod nochmal so schwer, weil meine Welt wie ich sie kannte völlig auseinander fiel und ich auf einmal keinen Vater und auch keine Mutter mehr hatte. Und das obwohl meine Mutter im Gegensetz zu meinem Vater eigentlich noch am Leben war.

Meine Oma gab mir den Halt, den mir eigentlich meine Mutter hätte geben müssen, aber sie musste ja einfach aus meinem Leben verschwinden. Einfach ohne einen Brief da zu lassen. Ich wusste bis heute nicht warum sie entschieden hatte, mich mit meiner Trauer alleine zu lassen. Selbst wenn das ihre Ausrede gewesen wäre, ist es definitiv keine Entschuldigung.

Eine Mutter lässt ihr Kind doch niemals alleine und das vor allem nicht in so einem Zustand. Eine Mutter ist doch für ihr Kind da oder nicht? Ich werde wohl hoffentlich bald die Antworten auf all meine offenen Fragen finden. Irgendwie versuche ich die Erinnerungen in die hinterste Ecke meines Gehirns zu schieben und meine Aufmerksamkeit den nächsten Bildern zu geben. Ich nehme den letzten Schluck von meinem Wasser.

„Deine Mutter und ich waren ziemlich gute Freundinnen damals. Ich habe miterlebt wie du aufgewachsen bist und habe auch früher immer mal wieder auf dich aufgepasst, wenn deine Eltern mal wegmussten", sagt Birte und lässt mich endgültig wieder in der Realität ankommen.

„Du fragst dich sicher, warum deine Mutter nach all den Jahren wieder hier aufgetaucht ist. Ich kenne den genauen Grund zwar nicht, aber ich weiß, dass dich deine Mutter dich niemals vergessen hat. Als ich sie wiedergetroffen habe, hat sie mir von dir erzählt. Sie trägt ein Bild von dir als zwölf-jähriges Mädchen bei sich, damit sie dich immer bei sich hat. Ich weiß, dass das schwer zu begreifen ist, aber deine Mutter war schon immer sehr egoistisch und hat unsere Freundschaft oft mit Füßen getreten. Wir waren kurz davor unsere Freundschaft zu beenden, weil sie mich immer wieder sehr enttäuscht hat. Aber dann habe ich ihr doch noch einmal verziehen, weil sie auch ein ganz anderer Mensch sein konnte. Ich wollte das nicht aufgeben und das habe ich auch nie", fügt sie hinzu und ich konnte in ihren Augen den noch nicht ganz verheilten Schmerzsehen.

„Danke, dass du mir das alles erzählt hast. Jetzt weiß ich zumindest wie meine Mutter so ist. Ich sollte langsam gehen", sagte ich.

Ich stehe vom Stuhl auf.

„Lilly, du bist jeder Zeit herzlich willkommen".

„Vielen Dank, das ist sehr nett". Ich winke ihr zum Abschied und dann gehe ich aus der Tür nach draußen.


Ich hoffe, dieses Kapitel hat euch gefallen. Ich bedanke mich bei allen, die meine Geschichte so fleißig verfolgen!



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