Die Helligkeit kam schneller zurück, als es Julian lieb war. Marco war bei ihm, genauso wie der Schiedsrichter. "Alles okay? Das sah echt schmerzhaft aus" fragte Marco und nickte mit dem Kopf in Richtung von Julians Fuß. Dieser schüttelte verwirrt den Kopf und blickte sich kurz orientierungslos um. Er stand immer noch nahe am Tor. Der Torwart rappelte sich gerade erst wieder auf. Er war hier in der Realität. Er war nicht gefallen, er war noch da. Er hätte schwören können besinnungslos gewesen zu sein. Er sah Marco an, der seinen Blick falsch zu interpretieren schien. "Hey, ist doch nicht schlimm, passiert doch den besten" ermutigte ihn der Kapitän und half ihm wieder hoch. Da fiel es Julian wieder ein. Er hatte verschossen. Beschämt senkte er den Kopf. Marco klopfte ihm ein letztes Mal auf den Rücken und joggte dann los um das grauenhafte Spiel fortzusetzen.
Julian konnte sich überhaupt nicht mehr konzentrieren und lief nur noch unauffällig am Spielfeldrand neben dem Geschehen her. Es war für ihn und alle, die das Spiel verfolgten noch vor Abpfiff klar, dass er gerade das katastrophalste Spiel seiner bisherigen Profikarriere spielte, vielleicht sogar das katastrophalste Spiel, was er in seinem Leben je gespielt hatte. Nach dem erlösenden Pfeifen des Schiedsrichters stolperte Julian geradeso vom Platz. Ihm war schlecht und wären nicht alle Augen auf ihn gerichtet, hätte er sich direkt an Ort und Stelle auf den Rasen gelegt. Stattdessen nahm er die quälenden Schritte bis zu den Katakomben auf sich und humpelte die letzten Schritte zu der Kabine nur noch. Nie zuvor in seinem Leben war er so fertig nach einem Fußballspiel gewesen. Die letzten schlaflosen Nächte waren als Pochen hinter seiner Schläfen gut vernehmbar und seine Atmung ging schnell. Die Kabine füllte sich langsam, aber keiner sagte etwas. Seine Mitspieler trotteten nur frustriert an ihm vorbei und begannen sich wortlos umzuziehen. Julian fühlte sich schuldig für ihre Niederlage, war jedoch froh über die Stille, denn er war sich sicher heute nicht mehr aufnahmefähig zu sein.
Nachdem er den Ablauf nach dem Spiel mechanisch hinter sich gebracht hatte, schlurfte er als einer der letzten hinter Emre nach draußen. Er durfte noch nicht gehen, das hatte ihm sein Trainer eben mitgeteilt. Aufgrund seines gefährlich aussehenden Sturzes mussten er und sein Fuß sich noch einer medizinischen Untersuchung unterziehen und danach wollte sein Trainer ein "privates Gespräch" mit ihm führen. Julian bekam ein beklemmendes Gefühl in der Brust, wenn er daran dachte. Er hatte die grobe Vermutung, dass sein Trainer nicht vorhatte ihn zu loben.
Angekommen im Untersuchungsraum des Mannschaftsarztes, setzte sich Julian auf die Liege, die in der Mitte des klinisch weißen Raumes stand. Das Leder, mit der die Liege bezogen war, war kühl und Julian verspürte wieder das Bedürfnis seine Augen zu schließen und sich hinzulegen, nur für einen kurzen Moment...
Die Tür wurde aufgerissen und Julian schreckte hoch. Der Arzt, der ihm nun entgegen kam schmunzelte nun amüsiert. "Müde?" fragte er mit einem Lächeln. Julian nickte gequält und der Arzt seufzte. "Tja ich werde versuchen es kurz zu machen". Nach einem kurzen Nicken Julians beugte sich der Arzt schließlich zu ihm hinunter. Er zog Julians Schuh und Socken vorsichtig aus und betrachtete besorgt dessen Fuß darunter. "Das sieht wirklich nicht gut aus Jule, hast du Schmerzen?" Julian schüttelte nur den Kopf, warf seinem Fuß nun aber ebenfalls einen kritischen Blick zu. Er war rot und geschwollen. Das war komisch, denn Julian spürte rein gar nichts, hätte er das ganze nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte er es nicht bemerkt, was komisch war, denn vor dem Spiel hatte sein Fuß geschmerzt wie verrückt. Wahrscheinlich lag das daran, dass er heute schon den ganzen Tag damit herumgelaufen war, dachte er. "Mhm, also eigentlich müsstest du Schmerzen haben..." Der Arzt sah Julian noch einmal an, als würde er sichergehen wollen, dass dieser auch ehrlich zu ihm war. "Naja gut, ich werde dir einen lockeren Verband machen und dir was zum kühlen für zuhause mitgeben, aber wenn sich was ändert und es doch anfängt wehzutun, sag sofort bescheid ja? Wir wollen ja nicht, dass du nach deinem dritten Spiel schon ausfällst. Julian nickte und wunderte sich im gleichen Moment über sich selbst.
Er war immer eine sehr schmerzenpfindliche Person gewesen und vor dem Spiel hatte seine Verletzung noch so sehr wehgetan . Das war ungewöhnlich. Bei Leverkusen hatte er Verletzungen häufig verschwiegen obwohl sie ihn umgebracht hatten, aus dem einfachen Grund, dass er unbedingt spielen wollte. Wie oft hatte Kai ihn dazu gedrängt zum Arzt zu gehen, weil er sich Sorgen gemacht hatte?
So hartnäckig war Dortmunds Mannschaftsarzt nicht. Dieser gab sich tatsächlich mit einem lockeren Verband zufrieden und ließ Julian danach in Ruhe.
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I just wanna feel again ~ Bravertz
Fanfictionfüh·len /fǘhlen/ schwaches Verb mit dem Tastsinn, den Nerven wahrnehmen; körperlich spüren "einen Schmerz, die Wärme der Sonne fühlen" Tastend prüfen, feststellen "[jemandem] den Puls fühlen" seelisch empfinden "etwas instinktiv fühlen" Tastend nac...