Traum(a)

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Beeep, beep, beeeep.

Ich schlug mit der Hand auf meinen Wecker. Was ein Drecksteil. Nur noch ein bisschen schlafen, ich hatte bis gerade geträumt. Von Benjamin. Mmmmh. Von meinem Benni. Ich driftete immer weiter ab. Ich war noch soooo müde.

TIANA!!!" Ich schreckte hoch. Meine Mom stand im Türramen, das Licht hatte sie brutalerweise angemacht. Ohhhh scheiße! Ich hatte verschlafen. Ich blickte auf das Monster, das sich Uhr nannte. Shit! Zwanzig Minuten!

Mäusschen! Du solltest schon längst aufgestanden sein! Ich wollte nur fragen, ob du meine Brille gesehen hast, ich finde sie nicht, und ich bin schon spät dran. Du weißt ja was Herr Meinhard von Unpünktlichkeit hält" Ich sah sie an und begann zu kichern. „Was denn?", erkundigte sie sich. „Hast du schon mal auf deinem Kopf nachgesehen?" Sie drückte mir einen dicken Schmatzer auf die Wange. „Danke mein Schatz! Und beeile dich!" Und weg war sie.

Ich sprang aus dem Bett, mir wurde schummrig. So langsam sollte ich echt mal lernen, dass ich sowas lassen sollte. Blöder niedriger Blutdruck!

Sobald ich wieder etwas außer schwarz sehen konnte, flitzte ich durch mein Zimmer und kramte vorzeigbare Klamotten aus den Untiefen meines Kleiderschrankes hervor. Weißes T-Shirt, blaue Jeans. Für mehr reichte meine Zeit leider nicht.

Das Frühstücken konnte ich mir sparen, zeitlich würde ich es niemals schaffen. Also huschte ich ins Bad um mein Äußeres innerhalb von fünf Minuten auf Level man-bekommt-keinen-Augenkrebs zu bringen. Was bei mir soviel heißt wie Toilette, Zähneputzen, Haarebürsten und einen Zopf binden, Deo und Pickelabdeckstift.

Ein Blick auf mein Handy zeigte mir, dass mir drei Minuten bis zur Abfahrt meines Schulbusses blieben. Drei Minuten. Ich brauchte für meinen Weg zur Haltestelle mindestens fünf. Ich würde rennen müssen.

Im Eiltempo lief ich die Treppe runter und zog Jacke und Turnschuhe an. Ich schnappte ich mir Haustürschlüssel und Rucksack und dankte Gott dafür, dass ich ihn bereits am Vorabend gepackt hatte.

Ich sprintete aus dem Haus und raste zur Bushaltestelle. Als ich dort ankam, sah ich nurnoch die Rücklicher. Ich war am Arsch. Denn der Nächste kam erst in zwanzig Minuten.

Seufzend setzte ich mich ins Wartehäusschen und bemitleidete mich. Ich würde ganz sicher zu spät kommen. Und dabei musste ich in der ersten Stunde ein Referat halten. „Frau Obermeier wird mich umbringen", stöhnte ich. Ich merkte, wie nah ich dran war, in Tränen auszubrechen. Dieser Tag fing schon beschissen an.

Eine Ewigkeit von fünfundzwanzig Minuten später – jup, der Bus hatte auch noch Verspätung gehabt – war ich dann endlich auf dem Weg zur Schule.

Sobald das Fahrzeug mein Gymnasium erreicht hatte, sprang ich raus und rannte zu meinem Klassenzimmer. Völlig außer Atem klopfte ich an der Tür. Ich überlegte mir schonmal, was auf meinem Grabstein stehen sollte. Vielleicht starb wegen des Blickes ihrer Psycho-Lehrerin?

Ja? Herrein!", ertönte die quäkige Stimme meiner absoluten Lieblingsperson. Nicht.

Ich öffnete das Tor zur Hölle und trat ein. „TIANA! Na sieh mal einer an! Hast du dich auch mal hierher bequemt?", fragte sie mit einem hämischen, bösartigen Grinsen. „E-ent-schuldi-g-gung ich-", stammelte ich. „Ich will gar nichts hören!", wurde ich unterbrochen „Ana ist mitten in ihrem Vortrag über Glücksmomente. Setz dich auf deinen Platz, du bist als nächste dran. Wir reden nach der Stunde!", herrschte sie mich an. Ich nickte kleinlaut und ließ mich auf meinem Stuhl nieder.

Da ich Ana ohnehin nicht mehr folgen konnte, versuchte ich meine Materialien für mein Referat zu sammeln. USB-Stick, check. Karteikarten, hab ich. Selbstbewusstsein, was ist das? Erst jetzt bemerkte ich, dass mein bester und einziger Freund, Luis fehlte.Was war bloß los mit ihm? Normalerweise sagte er mir immer Bescheid! Ausgerechnet heute! Wie sollte ich diesen Tag bloß ohne ihn aushalten?

Meine Gedanken wurden durch lautes Klatschen unterbrochen. Ana war fertig. Jetzt war meine time to shine. Oder auch nicht. Meine Psychologielehrerin lobte die Streberin der Klasse und rief mich nach vorne.

Ich packte meinen USB-Stick und die Karten und ging zu ihrem Pult. Ich versuchte selbstbewusst zu wirken und lächelte falsch. Frau Obermeier nahm mir den Stick ab, rammte ihn in ihren Laptop - das arme Gerät - und öffnete meine Präsentation.

Auf den ersten Blick konnte ich sehen, dass alles verrutscht war. Sie hatte meine nicht-Micosoft-datei mit Powerpoint geöffnet, weshalb das ganze Layout dahin war. Ich wollte meine Lehrerin darauf hinweisen, doch sie schüttelte nur den Kopf und meinte hinterlistig: „Tiana, was ist denn da passiert? Du weißt hoffentlich, dass das Abzüge gibt!" Ich nickte stumm. Ihr zu wiedersprechen hatte ohnehin keinen Sinn. Sie verdrehte mir die Worte im Mund. Nachdem sich meine Lehrerin gestetzt hatte, startete ich die Bildschirmpräsentation und weinte innerlich, da sich die Formatierungsprobleme natürlich nicht in Luft aufgelöst hatten. Da musste ich jetzt wohl durch.

Ich blickte auf und wartete, bis meine Klassenkameraden ruhig waren. Dann schaltete ich zur ersten Folie und begann. „Willkommen zu meinem Vortrag über Träume und ihre Bedeutung. Kann mir zunächst jemand von euch sagen, was ihr mit dem Begriff Traum assoziert?", las ich von meiner Karteikarte ab, ohne aufzublicken. Denn würde ich das tun, würde ich Obermeiers Blicke sehen, die mich immer so schrecklich aus dem Konszept brachten. Leider musste ich genau das jetzt tun, sonst konnte ich schlecht jemanden aufrufen. Mist!

Ich hob meinen Kopf und scannte nach Meldungen. Einer zeigte auf, er hatte was gut bei mir. Frau Obermeier starrte mich mit ihren schlammbraunen Augen an. Eisige Kälte durchfuhr mich. Ich war verloren.

Ti-Timo?", nahm ich Streber Nummer zwei dran. „Ich glaube, der Begriff Traum hat zwei Bedeutungen. Im Schlaf einen Traum haben und sich etwas wünschen", rettete er mich. „Ge-genau. Da-danke, Timo.", entließ ich ihn. Die ganz Klasse lachte über mich. Meine Gesichtsfarbe ließ Tomaten wahrscheinlich neidisch werden. Nervös nestelte ich an meiner Nagelhaut und flehte den Boden dazu an, mich zu verschlucken. Timo nickte nur und schenkte mir ein kleines Lächeln.

Danach wurde es einfacher. Ich blickte überhaupt nicht mehr auf und redete viel zu schnell, aber wenigstens stotterte ich nicht mehr so blöd.

Ich war schon fast am Ende meiner Präsentation und erkärte, dass die Traumdeutung schon seit den Anfängen der Menschheit eine wichtige Rolle spielte. Ich wollte gerade die nächste Karteikarte nehmen und weiter vorlesen, als ich bemerkte, dass ich die letzen beiden Kärtchen verloren hatte. Wahrscheinlich lagen sie bei mir zu Hause auf dem Schreibtisch. Ich war so ein Trottel! Wie sollte ich dieses Referat nur beenden?!

Fieberhaft überlegte ich was noch auf den Karten gestanden hatte. Wie war das nochmal mit der Traumdeutung? Irgendwas mit Auseinandernehmen und wieder zusammensetzen? Da war noch irgendeine Zahl. Welche nur? Ich begann schneller zu atmen. „Tiana?", riss mich Frau Obermeiers verzerrte Stimme aus den Gedanken. „Warum redest du denn nicht weiter?", fragte sie geheuchelt besorgt und mustere mich, als hätte sie zum ersten mal einen Nacktmull gesehen. „I-ich", wollte ich noch antworten, da verschwamm das Klassenzimmer vor meinen Augen. Es piepte ganz fürchterlich in meinen Ohren. War das der Feueralarm? Konnte ich dieses grausige Referat beenden?

Ich schreckte hoch. Schweißgebadet, mit dem schrecklichen Beeep meines Weckers im Hintergrund. War das möglich? War alles nur eingebildet? Ein schrecklicher Albtraum?


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⏰ Letzte Aktualisierung: May 31, 2022 ⏰

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