Feelings

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TW: Derealization

Gefühle. Gefühle sind gleichzeitig das wichtigste, aber auch das verletzlichste an einem jeden Menschen. Gefühle machen uns zu dem, was wir sind. Sie formen uns und unsere Entscheidungen im Leben. Die guten und die schlechten. Gefühle lassen uns das Leben in allen Farben und Formen sehen, die es zu bieten hat. Die schönen und die schrecklichen. Gefühle lassen uns die Dinge intensiv wahnehmen. Sie stoppen uns oder treiben uns an, sorgen dafür, dass wir Momente haben, die wir nie vergessen wollen und welche, die wir um jeden Preis vergessen wollen. Gefühle sind essenziell für ein lebenswertes Leben. Aber Gefühle machen uns verwundbar, können uns zerstören und geben uns ebenfalls die Macht andere zu zerstören. Gefühle sind unkontrollierbar und unerkundbar. Gefühle sind der Anfang und das Ende von allem.

*

Julian fühlte nichts mehr. Es war komisch und es machte ihm Angst. Das erste Mal nahm er diesen komischen Zustand am Sonntag war. Er war nach dem Spiel am Samstag und dem anschließenden Interview so fertig gewesen, dass er statt den üblichen zwei Schlaftabletten, drei genommen hatte. Am Sonntag war er dadurch erst am späten Vormittag aufgewacht. Als er aufgewacht war, hatte er gedacht, dass er noch träumte, weil er nicht richtig wach war. Es war, als ob sein Gehirn noch schlief und nur sein Körper wach war. Er nahm nichts um sich herum wirklich wahr. Es fühlte sich so an, als würde er alles durch eine sehr dicke Scheibe Glas sehen und wahrnehmen. Den kühlen Stoff seines hellblauen Bettlakens, hätte er nur beschreiben können, weil er sich darin erinnern konnte, dass er hellbalu war und gestern kühl und angenehm auf seiner Haut gelegen hatte, nicht aber, weil er es in diesem Moment sah oder fühlte.

Es liegt an den Tabletten. Das war das erste, was Julian dachte. Er wollte aufspringen und in die Küche rennen. Er wollte die Tabletten wegschmeißen, sie nie wieder nehmen, vergessen, dass er sie jemals genommen hatte. Er wollte sich so lange unter eine eiskalte Dusche stellen, bis er seine Umgebung wieder richtig wahrnahm. Bis er alles anfassen konnte und die Oberfläche auf seinen Fingerkuppen spüren konnte. Bis er mit seinen Augen alle Farben seiner Umgebung sehen, und mit seinen Ohren alle Geräusche hören konnte. Aber es war, als hätte jemand anders die Kontrolle, was Julians Körper tat oder eben nicht tat. Und egal wie weit Julian die Augen aufriss, alles um ihn herum blieb unklar. Nur mit größter Mühe gelang es ihm aufzustehen und in die Küche zu schlurfen. Und obwohl er sich mit aller Kraft dagegen wehrte, griff seine Hand wie automatisch zu der Packung Pillen, die noch immer auf dem Thresen stand. Sie war fast leer. Er brauchte neue. Es war ein Gedanke, den er nicht selber dachte. Sein Körper, über den er sämtliche Kontrolle verloren hatte, dachte ihn. Er wollte das nicht, wollte nicht wieder klauen, dachte er verzweifelt, schrie innerlich. Aber es war als würde ihn sein eigener Körper ignorieren. Es fühlte sich so an, als hätte jemand die Verbindung zwischen ihm und seinem Körper gekappt und Julian konnte nichts dagegen tun.

Wie hypnotisiert ging er in sein Badezimmer und stellte die Dusche an. Das Wasser war kalt, so viel sah er auf der Anzeige. Fühlen konnte er davon nichts. Er ging aus dem Badezimmer und zog sich an. Er fühlte den Stoff seiner Kleidung nicht. Er ging nach draußen ohne etwas zu essen, er fühlte seinen Hunger nicht. Er ging zu seinem Auto, nicht in der Lage, seine Umgebung wahrzunehmen. Die Natur um ihn herum war farblos und geruchslos und obwohl er wusste, dass das nicht stimmte, kam es ihm so vor. 

Wie von selbst fuhr Julian in seinem Auto zum Signal Iduna Park. Ihm kam der Gedanke, dass es vielleicht gefährlich war in seinem Zustand Autozufahren, aber der Gedanke war so schwach, dass er ihn direkt wieder verdrängte. Er fuhr auf den Parkplatz. Er war zu früh für das Training. Viel zu früh. Der Parkplatz war noch fast leer. Auf dem Weg von seinem Auto zu dem Behandlungsraum des Mannschaftsarztes, den Julian ansteuerte, begegnete er einigen Mitgliedern des Trainerstabs, die ihn freundlich lächelnd begrüßten. Er versuchte zurückzulächeln, wobei ihm die Bewegung, die sein Mund automatisch machte so falsch vorkam, dass er es sein ließ.

I just wanna feel again ~ BravertzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt