Missing [34]

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"Verluste sind wie Erdbeben", sagte Changbin, den Blick auf den Horizont gerichtet, dort, wo die Sonne ihren Abschied verkündete.
"Das erste Mal trifft dich, hart und rücksichtslos. Deine Welt bricht auseinander. Auch nachdem man sie wieder versucht aufzubauen, sind da diese Nachbeben. Jene, deren Ankunft unvorhersehbar sind."
Felix sah Changbin an. Die müden Augen, versteckt in den Höhlen, als hätte er Tage oder Wochen nicht geschlafen. 
"Zu Beginn jeden Tages merke ich, dass irgendein Teil von mir fehlt. Manchmal ist es erträglich. Oftmals ist es das nicht. Ich wurde häufig gefragt, wie es sich anfühlt, jemanden zu verlieren, der einem Nahe stand. Es ist, als würde ich niemals wieder nach Hause finden. Auch wenn ich so gern noch einmal Zuhause ankommen möchte."
Der Blonde rutschte näher an den Fae heran. Das Rauschen des Meeres übertönte beinahe die flüsternde Stimme des Älteren und doch stach jedes Wort in Felix' Herz.
Seo Changbin hatte jemanden verloren, jemanden, der ihm die Welt bedeutete, jemanden, dessen Ableben einen gigantischen Krater in seine Seele gerissen hatte. Und Felix verspürte den Drang ihn zu heilen, auch wenn er das nicht konnte. Nicht vollständig.
"Woojin war.....Er war wie ein Diamant", begann Changbin und trank einen großen Schluck von seinem Wein. Die tosenden Wellen krachten auf den Sand und entluden das Meerwasser am Strand.
Untermalte die Tiefe von Changbins Stimme und das seines Schmerzes. Solche Worte kamen nie leicht über die Lippen.
"Er besaß diesen undruchdringlichen Panzer, eine Schutzhülle so zäh und widerspenstig, dass er oft als kalt und unnahbar betitelt wurde. Aber....aber das war er nicht. Im Gegenteil. Begann man ihn so zu mögen, wie er war, dann gehörte er zu den reinsten, klarsten, ehrlichsten Wesen dieser Welt."
Ein klitzekleines Lächeln stahl sich auf Changbins Lippen, beinahe zu klein für Felix' Geschmack.
Und es erreichte seine Augen nicht.
"Ich habe ihn am Anfang gehasst, weil er so rein war, wie nur irgendmöglich. Woojin war nach außen hin perfekt, besaß diese Mauer um sich herum und ließ niemanden an sich heran. Er machte immer das, was er wollte und nicht das, was ich ihm befahl."
Felix konnte sich denken, wie Changbin diese Tatsache geärgert haben musste.
Denn so, wie er den Fae kennengelernt hatte, liebte er Kontrolle und hasste es, wenn jemand ihm etwas vorenthielt.
"Und irgendwann, ich habe ganz vergessen, wann es war. Ich glaube, zwischen den abendlichen Zweisamkeiten, wo wir zueinander hoffnungslos ehrlich waren, wo wir Geheimnisse teilten, viel zu viel Wein tranken und über kindische Sachen lachen mussten, ich glaube, da habe ich mich in ihn verliebt."
Der Blonde kam nicht umhin einen Stich in seiner Brustgegend zu verspüren, dass es ihm den Atem raubte. Für einen Moment kam ihm der Gedanke Christian zu vergessen, aber die Sekunde verstrich, er blinzelte und konnte Changbin wieder seine Aufmerksamkeit schenken.
"Und dann wurde er umgebracht, bevor ich ihm sagen konnte, was ich in mir drin spürte, was sich wie ein kleiner Wirbelsturm anbahnte, welcher zu einem Hurrikan zusammenwuchs und immer auf mich niederkrachte, sobald ich ihn sah."
Auf eine verquere Weise wollte Felix wissen, wie Woojin gestorben war, aber er hörte auf die Stimme der Vernunft in seinem Hinterkopf, er solle es daraufberuhen lassen.
Changbin derweil sah ihn forschend an, biss sich auf die Unterlippe und starrte dann in sein halbleeres Weinglas.
"Ach, scheiß drauf!", murmelte der Detective, kippte den Inhalt des Glases hinunter und atmete zittrig aus. Das mehrmalige Luftholen entging dem Jüngeren natürlich nicht, auch wenn die Sonne mittlerweile untergegangen war und sie im fahlen Licht der Lampen saßen.
"Woojin ist vor fünf Jahren gestorben."
Felix nickte und nippte im Anschluss an seinem eigenen Glas Wein, obwohl er dieses Getränk eigentlich verabscheute, da er unangenehme Erinnerungen damit verband. Aber Changbin zu liebe, der sich für diesen billig schmeckenden Fusel entschieden hatte, würde er es über sich ergehen lassen. Und so schlecht schmeckte er nun auch wieder nicht.
"Wir waren an einem Fall dran. Ein Serienkiller, der nachts in Wohnungen von Paaren eindrang, die Frauen vor den Augen des Mannes vergewaltigte, die Kehle durchschnitt und letztendlich den Mann folterte, bis auch er starb."
Felix durchglitt ein Schütteln, welches ihn erschütterte. Solche Allmachtsfantasien gegenüber den Opfern waren nicht selten. Der Killer fühlte sich dominat, überlegen.
Er besaß die totale Macht.
Die Frau war in diesem Beispiel die Trophäe, denn der Mörder konnte vor den Augen des Mannes, dem die Frauen eigentlich "gehörten", tun und lassen was er wollte.
Und das steigerte sein Ekstase umso mehr.
Hatte er die Frau unterworfen, ohne das der Freund oder Ehemann sich wehren konnte, hatte er gewonnen. Um den krönenden Abschluss und seine endgültige Überlegenheit zu präsentieren, erniedrigte und tötete er den Mann ebenfalls.
Und das war die Lust, der Kick, den er spüren wollte, der seine sexuellen Fantasien durch seine Traumwelt in die Realität beförderte.
"Ich hatte den Killer auf irgendeine Weise beleidigt. Wahrscheinlich mit meinen Aussagen zur damaligen Pressekonferenz."
Changbin stockte und schluckte, beobachtete den letzten Schluck Wein in seinem Glas, ehe er sich bemühte mit fester Stimme weiterzusprechen.
"Die Medienpräsenz war zu der Zeit enorm. Wir waren darauf angewiesen. Aber nach dieser Konferzenz begannen seltsame Dinge zu geschehen. Entweder irgendetwas erschlug mich fast oder fuhr mich beinahe um. Tote Tiere wurden mir als Drohung vor die Haustür gelegt. Deswegen hatte Namjoon beschlossen, dass immer einer vom Team bei mir übernachten sollte. In.....in jener Nacht war es Woojin."
Felix bemerkte Changbins sehnsüchtig Blick, die Tränen, welche in seinen Iriden schimmerten.
Das war Liebe und Liebe konnte schwarze Löcher in einen hineinpflanzen, die niemals heilten. Er sprach aus Erfahrung.
"Irgendwann fand ich mich an einen Stuhl gefesselt wieder, mir gegenüber Woojin, dessen malträtiertes, blutüberströmtes Gesicht mich verständnisvoll anstarrte, als hätte ich ihn nicht gerade zur Schlachtbank geführt....Ich-"
Der Schwarzhaarige atmete lautstark aus und wischte sich über die Augen.
Felix warf all seine Vernunft über Board und rutschte an den Fae heran.
Scheiß auf alles, scheiß auf jeden, das hier war sein Leben. Und Changbin brauchte ihn. Auch wenn er dem Älteren noch nicht verziehen hatte, beugte er sich hinüber und legte seine Arme um den Kleineren. Murmelte beruhigende Worte, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, strich über seinen Rücken. Manchmal brauchte man keinen Rat, sondern einfach nur Nähe.
"Und dann, dann tauchte der Killer auf mit seiner perfiden Katzenmaske, deren Authentizität erschreckend war. Kennst du den Vielsafttrank aus Harry Potter, den Hermine mischt und, der sie aufgrund der Haare, in eine Katze verwandelt? So sah die Maske aus. Noch heute habe ich Alpträume davon. Und von Woojins Schreien, von seinen Qualen und seinem Leid."
Stück für Stück verschwand seine Stimme. Stück für Stück überfluteten die Tränen sein Gesicht, tropften auf den Sand.
Stück für Stück riss Felix' Seele ein bisschen mehr ein.
Stück für Stück hatte er das Gefühl am Leben zu ersticken, weil Changbin litt.
"Es war.....wie eine Show, eine Inszenierung, ein Massaker an dem Mann, den ich liebte, den ich nie küssen durfte, dem ich nie sagen durfte, dass ich ihn liebe. Der Killer hatte den Spaß seines Lebens. Er verprügelte Woojin bis zur Unkenntlichkeit, verbrannte ihn mit Lötkolben und Zigaretten, schnitt ihm die Organe raus, bis der Stillstand Woojin erreicht hatte, bis sein Herz es nicht mehr ertragen konnte, zu schlagen. Und dann war er tot und mit ihm meine Seele."
Die entwaffnende Ehrlichkeit erreichte Felix' Gehirn erst Sekunden später. Changbin hatte dies bisher niemanden erzählt, nicht einmal seinem Therapeuten, den Namjoon ihm aufgezwungen hatte, das merkte er. Der Ältere hatte ihm gerade einen Teil seiner geschundenen Seele preisgegeben, dass, was er eigentlich vor aller Augen verschlossen hielt.
Dem Blonden kamen die Tränen. Er nahm Changbins Gesicht zwischen seine Hände und wischte mit den Daumen die salzige Flüssigkeit beiseite.
"Du wirst ein Überlebender sein", flüsterte Felix.
"Das sagen sie alle, immer, nachdem du jemanden verloren hast. Ich weiß es, ich bin einer davon. Und du weißt, dass es wahr ist. Mit der Zeit lernen wir damit klarzukommen. Wir finden einen Weg weiterzugehen."
Er seufzte kurz und legte seine Stirn an die des Faes. Ihr nach weinriechender Atem vermischte sich.
"Was sie aber vergessen zu erzählen, ist: Überleben und Glück gehören nicht immer zur selben Sache."
Changbins Zucken, das Beben, welches durch seinen Körper jagte, einfach alles versuchte Felix in sich aufzusaugen, um dem Älteren Trost zu spenden, auch wenn seine eigene Hoffnungslosigkeit darin etrank. Das Einzige, was er ihm geben konnte, war Nähe, die Wärme seines Seins.
Und Felix beschloss für sich selbst, dass er den Fae nicht alleine lassen würde.
Nie wieder.
Irgendwann kam Changbin zur Ruhe. Die Kälte umhüllte sie beide, doch der Wein und ihre Körpernähe zueinander ließen sie wie eine Bastion zusammenhalten.
Doch die Worte, die aus dem Mund des Schwarzhaarigen heiser hervorbrachen, ließen Felix seine Umarmung nur verstärken.
"Ich hatte das Gefühl selbst gestorben zu sein, nur mit dem Unterschied, dass sie vergessen hatte mich ebenfalls zu beerdigen."

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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Dieses Kapitel widme ich alle jenen, die einen geliebten Menschen verloren habe! Obwohl ich die wenigsten von Euch persönlich kenne, gedenke ich Euren Verlusten!
Mögen Sie in Frieden ruhen.

Was haltet Ihr von dem Kapitel?

Feel free to comment!

Erin🌸

Children Songs {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt