Kapitel 1 - Die Balz

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Gar keine Frage - Piefke ist ein absolut dämlicher Name für einen Kater. Aber man kann sich seine Namen eben nicht selbst aussuchen. Und Kater können das erst recht nicht. Aber meine humanoide Mitbewohnerin konnte ihn wählen, offensichtlich. Und bei Bastet, bis heute weiß ich nicht was sie da geritten hat. Die Namenswahl führte dazu, dass sie mich jedes Mal, wenn sie mich rief, einen schrecklichen Lachanfall bekam. Nun, jetzt könnte man annehmen, sie hätte den Namen doch einfach ändern können. Irgendeinen, der sie ihren eigenen, angeblich geliebten Kater nicht jedes Mal mit Schadenfreude verhöhnen ließ. Ja, könnte man meinen. Sagen wir mal so, ich bin einfach froh, dass sie die Namen, die ich ihr im Laufe unseres gemeinsamen Lebens gegeben habe, nicht verstanden hat. Aber ich nehme es ihr im Grunde nicht übel. Ich liebe sie, irgendwie. Und sie ist eben nur ein Mensch. Heute allerdings sollte unsere Liebe auf die Probe gestellt werden.

Wie üblich verlässt sie zur Dämmerung das Haus. Ich liege noch auf meinem Wachposten über der Heizung. Ein hervorragender Platz, um das Weltgeschehen im Auge zu behalten, und einer muss diese schwere Aufgabe ja übernehmen. Von hier aus sehe ich auch, wie meine Mitbewohnerin gerade ungeschickt versucht, sich und ihr Metallgefährt durch die Haustür zu quetschen. Auf dem klapprigen Ding mit Rädern müht sie sich den Berg hoch. Mit einer Spur Mitleid sehe ich, wie sie hinter der nächsten Kurve verschwindet. Armes Ding, denke ich. Da zieht sie jeden Tag los und kommt nach Stunden total erschöpft und ohne Beute nach Hause. Hin und wieder ziehe ich nachts nochmal los und lege ihr zur Aufmunterung eine kleine Aufmerksamkeit neben das Kopfkissen. Ich möchte nicht überheblich klingen, aber ich muss gestehen, dass es mich mit Freude erfüllt, wenn ich am nächsten Morgen ihre Freudenschreie höre. Ein schönes Gefühl mal wieder eine gute Tat getan zu haben. Einmal im Leben Mensch müsste man sein, denke ich mir, und so verwöhnt werden. Nur gut, dass wenigstens einer von uns ernsthaft arbeitet.

Angestrengt beobachte ich eine verdächtig aussehende Lerche, die zum wiederholten Male vor unserem Haus gelandet ist. Natürlich spreche ich Vogel. Wie so viele Sprachen habe ich auch diese in meiner Ausbildungszeit als junger Kater gelernt. Der Trick ist hohe, abgehackte a-Laute im Rachen zu produzieren. Sein sie nicht geknickt, falls ihnen dies nicht auf Anhieb gelingen sollte. Eine fasettenreiche Sprache wie Vogel lernt man nicht über Nacht. Der a-Laut lässt sich auf über zweihundertdreißig verschiedene Arten betonen. Da muss man schon wissen, was man tut. Ansonsten passiert es schnell, dass sie der Lerche einen Espresso mit Milchschaum anbieten, statt ihr klar zu machen, dass sie an diesem Haus nichts zu suchen hat. Eine lachhafte Vorstellung, denn Lerchen trinken ihren Espresso immer schwarz. Da ich Profi bin, verstand die Lerche sofort und ist von dannen gezogen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!

Naivlinge könnten meinen, dass mein Job damit erledigt sei. Doch natürlich gehört auch die Überwachung der inneren Räumlichkeiten zu meinen Aufgaben. Pflichtbewusst erhebe ich mich von meinem Wachposten und setze die von der Arbeit müden Knochen in Bewegung. Aus einem der Räume vernehme ich Geräusche und die Tür zur Küche steht offen. Eine Stimme und wildes Geklapper dringen durch den Spalt. Diese Menschenfrau, fluche ich leise. Hatte sie etwa wieder die Tür offengelassen? War ihr denn nicht klar, dass dies streunende Menschen anziehen konnte? Genervt presse ich meinen plüschigen, wohlgeformten Körper durch den schmalen Türspalt. Und tatsächlich, im Inneren der Küche steht ein Mensch. Ein Männchen! Und als wäre das nicht schon schlimm genug, veranstaltet das scheinbar paarungswillige Männchen eine Art Balztanz. Mit einem schrecklichen Gejaule, welches nur Menschen von sich geben konnten, tänzelt es in der Küche herum. In meiner Küche! Mit einem langen Maunzen signalisiere ich dem Männchen, dass es bereits einen Mann im Hause gibt - mich, und dass es in einer anderen Wohnung nach einem Weibchen suchen solle.

„Na, was bist du denn für einer?", sagt das Männchen und streckt mit einem dümmlichen Grinsen seine Hand nach mir aus. Geschickt weiche ich diesem unerhörten Versuch auf Körperkontakt aus. Was bildet der sich ein? Erneut maunze ich dieses unerzogene Männchen an.

„Ach, du hast bestimmt Hunger", sagt es. Es unterbricht seinen zutiefst verstörenden Balztanz, beginnt damit die oberen Hängeschränke nach Nahrungsmitteln zu durchsuchen und schiebt ein paar Gläser und Dosen hin und her. Tollpatschig, wie Menschen eben sind, stößt es mit seinem fellosen Arm eine Flasche aus dem Regal. Mit wildem Gefuchtel und einem Gesichtsausdruck, der mich noch in meinen Albträumen verfolgen wird, versucht es das Unglück zu verhindern. Doch zu spät! Ich sehe die Flasche auf mich zu rasen. Wohlwissend, dass in sämtlichen Behältnissen in diesem Raum potenziell Leckeres und Fressbares ist, weiche ich nur so weit aus, um nicht von der Flasche erschlagen zu werden. Mit einem Rumms schlägt sie auf der Kante der Küchenzeile auf und verteilt ihren Inhalt im hohen Boden. Und am Ende des Bogens stehe ich, wie Pechmarie, die darauf wartet mit Gold übergossen zu werden. Oder in meinem Falle mit etwas Essbarem.Nur wenige Augenblicke später sitze ich da und lecke mir zufrieden die goldene Flüssigkeit von den Pfoten. Und vom Bauch. Und vom Kopf. Das Männchen hingegen ist in heller Aufruhe. Wahrscheinlich Futterneid, denke ich und lecke weiter. Doch plötzlich setzt es zum Angriff an. Überrascht weiche ich zurück und maunze. Schließlich ist auf dem Boden doch genug für uns beide! Als das Männchen erneuten Körperkontakt aufbauen will, sprinte ich los, doch das flüssige Gold lässt mich auf dem glatten Boden der Wohnung einen wilden Eiertanz vollführen. Mit Genugtuung sehe ich, dass auch das Männchen Probleme hat, sich auf seine langen Stelzen zuhalten. Wir leisten uns eine Schlitterjagd quer durch die Küche. Um meinen Verfolger abzuschütteln, setzte ich zum Sprung an, doch ich rutsche weg und das rüpelhafte Männchen bekommt mich zu fassen. Ich erkläre ihm lautstark, dass es nicht gerade von guten Manieren zeugt, ungefragt Hauskater anzufassen. Doch das Männchen lässt nicht locker. Mit einer Hand, versucht es sich dieses kleine Ding ans Ohr zu halten, auf das auch meine Mitbewohnerin ständig starrt.

„Heeey", höre ich es in schuldbewusstem Ton in das Ding plärren. "Sag mal ... Rein theoretisch, ich hätte deine Katze mit Öl übergossen - aber wirklich nur theoretisch, was müsste ich dann tun?" Von der anderen Seite des kleinen Geräts höre ich meine Mitbewohnerin unverständliche Dinge brüllen. Was regt die sich denn so auf? Ich bin doch derjenige, der im Schwitzkasten eines dümmlichen Menschenmännchens hängt. Und Schwitzkasten war hier leider sehr wörtlich zu nehmen.

Als dieses unzuverlässige Weibchen endlich nach Hause kommt, ist das Männchen immer noch da. Sie ruft meinen Namen, dieses Mal lacht sie nicht. Leider aber, als sie mich dann endlich zu Gesicht bekommt. Lach du nur, humanoide Idiotin, denke ich wütend. Dafür wirst du sobald keine Maus mehr von mir bekommen. Schmollig will ich gerade von dannen ziehen, um mir das restliche Öl genüsslich vom Fell zu lecken, als sie mich hinterhältig packt und in ihre Folterkammer schleift. Der Raum war bis unter die Decke gefliest, um eventuelle Spuren restlos verschwinden lassen zu können. Sie setzt mich ab, doch ich kann mich ihrem Griff nicht entwinden. Meine Pfoten finden auf dem kalten, glatten Untergrund keinen Halt. Grelles Licht blendet mich. Was hat diese Verrückte mit mir vor? Als sie ihr Folterinstrument auspackt, überkommt mich schiere Panik. Der Duschkopf. Ich kämpfe um mein Leben. Vorbei ist die Liebe. Verflogen mein liebevolles Mitleid mit ihr. Jemand, der einem so etwas Perfides antut, kann einfach keine Liebe empfinden. Tropfnass und bis auf die Knochen gedemütigt kann ich mich endlich losreißen. Ich suche Zuflucht in meinem Gemach und schlüpfe unter die Decke. Diese Nacht würde ich ihr sicherlich nicht gestatten, sich hier bei mir nieder zu lassen!

„Och Piefke, doch nicht mitten ins Bett", höre ich sie rufen. Ich wende ihr meinen schönsten Körperteil zu - meinen Hintern. Sie setzt sich neben mich und wickelt mich in ein Handtuch. Widerwillig lasse ich es zu. Als sich das Männchen plötzlich ebenfalls auf mein Bett setzen will, maunze ich ihn warnend an. Absolut undomestiziert, denke ich und rümpfe die Nase.

„Es tut mir leid. Ich wollte dich eigentlich nur mit einem Mittagessen überraschen", schwafelt das Männchen. Mir ist unbegreiflich, warum meine Mitbewohnerin diesen zugelaufenen Streuner noch nicht vor die Tür gesetzt hat. Plötzlich presst sie ihre Fressluke auf die seine. Fast kommt mir das Ragout von heute Morgen hoch. Da entdecke ich, dass sich noch etwas Öl auf seiner Hand befindet. Ich wusste doch, dass er es auf meine Beute abgesehen hat, aber diesen Triumph würde ich ihm nicht lassen! Blitzschnell lecke ich den Leckerbissen ab, bevor das Männchen mir zuvorkommt. Gewonnen, denke ich mir. Auch meiner Mitbewohnerin ist mein Sieg über das Männchen nicht entgangen. Anerkennend streichelt sie mir den Kopf.

Dann sagt sie: „Oh, ich habe das Gefühl Piefke mag dich."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 18, 2022 ⏰

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