Rache

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Eine Geschichte über Andrew Milling

Die Rocky Mountains waren für mich immer ein heiliger Ort gewesen.

Jetzt waren sie ein verfluchter.

Ich wusste schon am Morgen, dass dieser Tag schicksalhaft werden würde. Ich saß in der Stube unserer kleinen Blockhütte mitten in den Rocky Mountains und blickte besorgt auf meine Uhr. Wo blieben sie nur? Evelyn hatte mir hoch und heilig versprochen, dieses Mal noch vor der Dämmerung mit June zurück zu sein.

Doch es begann draußen bereits, dunkel zu werden. Ich stellte meinen Kaffee auf den Tisch, zog mir die Winterjacke über und öffnete die Tür. Der Schnee knirschte unter meinen dicken Lederschuhen. "June? Evelyn? Evy, wo bleibt ihr? Alles gut? Juuuuuunneeee!" Allmählich stieg Panik in mir auf und ich lief zu unserem grünen Jeep. Der Wagen röhrte, als ich fest aufs Gas trat. Ich fuhr nach Westen, wo die kleine June am liebsten spielte und auf "ihrem" Baum kletterte.

Schon jetzt sehnte ich mich nach ihrem süßen Grinsen, wenn sie mir erzählen würde, wie sie Mama fast totgerungen hätte, und dass ich nächstes Mal unbedingt mitkommen müsste.

An ihrem Lieblingsort stieg ich aus, verwandelte mich in einen kraftvollen Puma und sprintete sofort los. Ich spürte die Muskeln unter meiner mit zimtfarbenem Fell bewachsenen Haut spielen. Wie gut sich meine zweite Gestalt anfühlte, wie geschmeidig und lautlos mein Gang war. Doch im Moment hatte ich keine Zeit, es zu genießen. Ich rannte umher, lief alle Orte, die mir einfielen, ab – halt – was war das gewesen?

Ich senkte meine Nase auf den Schnee hinab. Das war der Geruch von June! Mein Herz machte einen Hüpfer. Einige Meter weiter witterte ich auch Evelyn. Sie waren hier gewesen! Doch leider war ihr Geruch schal und ihre Spuren brachen beide schnell ab. Ich lief weiter und fand, durch die Dunkelheit kaum mehr zu sehen, eine Blutlache im Schnee glitzern. Um das Blut war die Witterung von Evy und June wieder da. Waren sie auf Jagd gewesen und hatten hier gerastet? Oder – waren sie möglicherweise... selbst erschossen worden? Wäre ich nun ein Mensch gewesen, wäre es mir eiskalt den Rücken heruntergelaufen. Mein äußeres Puma-Ich zuckte nur mit den Ohren, aber innen, da explodierte mein Herz fast vor Panik und Entsetzen, falls es denn wahr war.

Im Auto hatte ich mir die ganze Zeit eingeredet, dass es nur Kaninchenblut oder sowas in der Art war und Evy und June sich wahrscheinlich nur daheim Sorgen um mich machten und June die ganze Zeit maulte, dass sie Papa sehen wollte. Als ich aber die Hütte sah, brannte kein Licht und es war niemand dort. Durch das offene Fenster streifte mich ein eiskalter Windzug. Sie waren irgendwo da draußen. Ohne Schutz. Ohne mich. Allein mit ihrer Pumagestalt, mit der Nacht und mit der Gefahr. Ich musste wieder raus. Ich musste sie suchen.

Am nächsten Morgen kam ich schlammverschmiert, zerkratzt und blutend wieder nach Hause und ließ mich in einen Sessel fallen. Der Kamin schien nur Kälte auszustrahlen. Ich hatte sie nicht gefunden. Ich hatte versagt. Doch einen Hinweis, für den ich Gott anbetete, dass ich falsch lag, hatte ich. Neben dem Blut war noch eine Witterung gewesen. Ein Mann und ein großer Geländewagen waren dort gewesen. Es könnte Zufall gewesen sein – das Blut, die Witterung und der Mann. Es könnte aber auch das Ende von June und Evelyn bedeutet haben. Erschöpft holte ich mein Handy heraus. 22%. Das musste jetzt reichen.

Erst wählte ich die Nummer des Krankenhauses und fragte nach einer schlanken hellblonden Frau mit strahlend grünen Augen namens Evelyn Milling und einem kleinen siebenjährigen Mädchen mit weißblonden, glatten Haaren namens June Milling. Anschließend Tierauffangstation, Zoos, Ranger... Bei niemandem hatte ich Erfolg. Eigentlich war ich eher ein harter Typ, der alles irgendwie wegsteckt, doch nun ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Ich weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte, und auch keine Taschentücher. Nun gab es keinen Ausweg mehr. Ich öffnete Chrome und suchte zitternd nach den Jägern in den Rocky Mountains. Der erste – ein dicker, alter mit grauem Stoppelbart, idiotischem Grinsen und einem karierten Halstuch berichtete ausschließlich über Wapitis, die doch – ganz ehrlich – keinen Flohpelz juckten (was etwas heißen will). Beim nächsten, übernächsten und überübernächsten wurde ich ebenfalls nicht fündig. Ich öffnete den Link zu Blake Robins' Website, einem grauhaarigen Jäger in meinem Alter. Er hatte erst heute ein Bild eingestellt. Mein Herz hörte auf zu pumpen und ich begann wieder, zu weinen. Das war nicht möglich. Der Mann hielt mit einem zahnlückigen Grinsen das abgezogene Fell eines großen Pumaweibchens mit hellbraunem Fell unter den Achseln. Im Hintergrund lag der schlaffe Körper eines etwas dunkleren Pumajungen. Mich zerriss es innerlich in tausend Teile und ich schrie meine Wut ohrenbetäubend heraus. "Das werdet ihr alle büßen! Ich werde euch das Leben zur Hölle machen, bis ihr so sehr weint wie ich!"

Wenige Tage später

Ich stieg in den Jeep und trat heftig in die Pedale. Ich war auf dem Weg zu Blake Robins, um ihm Evys und Junes Pelz abzukaufen.

Hier war also diese erbärmliche Bruchbude. Ich stand vor dem Haus des Jägers, der mir das Leben zerstört hatte. Der Jäger, an dem ich Rache üben würde. Ich klopfte an, wobei ich fast Angst hatte, dass die Hütte auseinanderfallen könnte. Ein ungepflegter Mann mit schlechten Zähnen und schlunzigem Hemd öffnete. "Was ist los? Hier gibt's nichts zu holen. Verziehen 'se sich lieber, der Wald ist gefährlich."

„Ich bin hier, um das Pumafell abzuholen."

„Ah ja, dieses Riesenvieh! Prachtexemplar."

„Allerdings", erwiderte ich eisig. „Den anderen Pelz würde ich auch gerne mitnehmen."

„Das kleine Ding? Nee, das bleibt meins. Vergiss es."

„Ich würde auch gut zahlen. Besser, als sie vielleicht denken." Ich blieb hartnäckig.

„Nee, das wird nix." Blake wollte sich bereits umdrehen, um mir den Pelz von Evelyn zu bringen. Na warte, der würde mich nicht so schnell abschütteln können!

„Das war sowieso Wilderei. Vielleicht wäre es von Vorteil für Sie, wenn Sie den Pelz des Jungen nicht mehr bei sich aufbewahren würden - Sie wissen schon, ich könnte Ranger über dieses rechtswidrige Vorgehen informieren und diese wären bestimmt sehr interessiert...", warf ich aalglatt ein.

„Hab ich mich nicht recht ausgedrückt? Schieß dir doch selber so'n Katzenvieh!" Allmählich färbte sich Robins' wind- und wettergezeichnetes Gesicht rötlich vor Wut.

Pumakacke! Anscheinend hatte ich wirklich keine Chance auf Junes Überreste.

„Dann holen Sie mir einfach meinen Puma!" Was erlaubte sich dieser unausstehliche Typ eigentlich!

Robins verzog sich mürrisch in seine elende Hütte und schleifte kurz darauf ohne jeglichen Respekt Evelyns schlaffe Überreste hinter sich her. Eine glühende Wut stieg in mir auf, als ich sah, wie er den Pelz achtlos vor meine Füße fallen ließ. "Sie sind ein Mörder! Ein ekelhafter, selbstsüchtiger Mörder! Und Sie werden dafür büßen!", donnerte ich. Der Mann trat erschrocken zurück und seine Augen weiteten sich, als sich mein Körper verformte, meine Klamotten zerrissen, ich zu einem riesigen, stolzen Berglöwen wurde und ihn anfletschte. Ich pirschte mich erst an, doch der Jäger, Robins, lief sofort los, durch seine hässliche Hütte hindurch bis zum Hinterausgang. Ich fauchte, sprang nach vorn und riss dabei sämtliche Regale von den Wänden. 'Was fällt dir ein, meine Frau und meine Tochter umzubringen! Was fällt dir ein, ihre Felle zu verkaufen! Was fällt dir ein, vor mir wegzulaufen! Du wirst dafür büßen! Du wirst dafür sterben!', tobte ich in Gedankensprache.

Als Blake beim Hinterausgang angekommen war, rammte ich ihn heftig von hinten und er flog in hohem Bogen auf den harten Waldboden. Voller Zufriedenheit sah ich auf seinen blutenden Körper, den rot überströmten Kopf, das aufgerissene Fleisch. Das geschah ihm recht, der elende Schwächling! Mit majestätischen Schritten schritt ich auf ihn zu und blickte verachtend auf ihn hinab. Ängstlich sah er zu mir hoch.

"Wer... was... du... nein...", stammelte er. 'Doch', meinte ich in Gedanken und biss zu. Blut quoll in Sturzbächen aus seinem sich färbenden Hals. Ich schmeckte die ledrige, graue Raucherhaut, das warme, nach Genugtuung schmeckende Blut.

Die Augenlider des Manns flackerten und das Licht in seinen Augen erlosch schließlich ganz.

Ein Triumphgefühl stieg beim Anblick des bewegungslosen Körpers in mir auf.

Das würde nicht mein einziges Opfer bleiben, sondern nur ein winziger Bruchteil davon. 

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Danke fürs Lesen<3

Ich weiß, es sind einige Logikfehler drin und es weicht leicht von den wirklichen Geschehnissen ab, aber ich hatte keine Lust, nochmal alles in Woodwalkers nachzulesen und die ganze Story zu überarbeiten, sry..

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