Kapitel 10

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Das Wasser tropft von meinen Haaren und läuft meinen Körper hinunter als ich aus der Dusche steige und in meinen Bademantel schlüpfe. Nun stehe ich hier in meinem Schlafzimmer, wo ich meine Augen über meine Ausbeute von Kleidung wandern lasse.

Viel habe ich nicht gerade in meinem Schrank, vor allem nichts, womit ich nachher bei Theo auftauchen könnte. Nein, ich kann nicht Tina anrufen und sie bitten mir etwas für den Abend zu leihen.

Wieso mache ich mir überhaupt so viele Gedanken um mein Äußeres? Das interessiert mich doch sonst auch nicht so stark. Saubere Nägel, gepflegtes Haar, einen angenehm riechenden Körperduft und glänzende Schuhe sind mir super wichtig, aber mehr eigentlich auch nicht.

Meine Kleidung besteht überwiegend aus einfachen Farben und Schnitten, die ich meist ganz klassisch kombiniere und die eigentlich nie super elegant aussehen, nicht so wie meine beste Freundin, die sich immer sehr modisch anzieht. Das einzig elegante, was ich besitze, sind mein schwarzer Blazer, meine passenden Pumps und solche ganz einfachen Blusen in den Farben Weiß und Schwarz.

Das Kleid, welches ich auf Tinas Hochzeit getragen habe, habe ich mir für den Abend von meiner Oma ausgeliehen. Nicht so ein typisches „Omakleid" mit vielen sehr ausgefallenen Mustern, das man als junge Frau heutzutage nicht mehr tragen würde, weil es die Figur nicht betont und man damit aussiehst als würde man putzen anstatt sich für einen besonderen Anlass schick zu machen.

Im Gegenteil bei dem Kleid von meiner Oma handelt es sich um ein Audrey Hepburn Vintage-Kleid, das diesen 1960er Jahre Schnitt, die Träger im Nacken, einen Stoffgürtel unterhalb der Brust und einen weiten Rock hat. Die Farbe ist Hellblau mit weißen Punkten drauf. Der Schleifengürtel, die Träger und der Rand über der Brust sind Schwarz. Ich mag dieses Kleid sehr, nicht nur, weil ich den Film „Frühstück bei Tiffany" so faszinierend und schön finde, sondern auch, weil es mir ein Stück von meiner Oma gibt.

Ich kann meiner Oma nie dankbar genug sein, ohne die ich heute sicher nicht so eine selbstbewusste Frau wäre, die ich bin und, ohne die ich sicher nicht diesen Job als Redakteurin gemacht hätte. Kaum vorstellbar, weil es heute mein absoluter Traumjob ist. Meine Oma Ingrid bedeutet mir einfach alles. Sie ist meine Familie. Neben meiner besten Freundin Tina, ist sie einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Mit ihren 76 Jahren neigt sie sich dem Tod immer näher, aber noch hat sie außer ihrer Arthrose nichts, was sie einschränkt und weswegen sie früher von uns gehen könnte. Darüber bin ich sehr froh, denn ich wüsste nicht, was ich ohne meine geliebte Oma machen würde. Ich habe mich schon oft gefragt wie es wäre, wenn sie irgendwann wirklich nicht mehr auf dieser Welt wäre. Als es mir wegen dieser Gedanken aber einige Tage lang extrem schlecht ging, habe ich aufgehört mich das zu fragen.

Man sollte sowieso lieber im Hier und Jetzt leben und sich nicht fragen was wäre wenn... Wer weiß denn schon was im Leben noch alles auf einen zukommen wird. Wenn wir alle schon vorher wüssten wie unser Leben wohl ablaufen würde und jedes noch so kleine Detail kennen würden, hätten wir doch gar keine Freude mehr. Das Leben ist eine unendliche Entdeckungsreise, die uns immer wieder neue und aufregende Dinge zeigt.

In meinem Leben habe ich schon so einiges erlebt. Manchmal denke ich daran, dass ich damals unglaubliches Glück gehabt habe. Bei diesem Bootsunglück auf der Ostsee auf dem Weg zur Insel Poel, die in der Wismarer Bucht liegt, wäre ich beinah mit drauf gegangen.

Meine erste große Liebe Sandro habe ich seit diesem Tag nie wieder gesehen. Bis heute frage ich mich noch manchmal, ob er tatsächlich ertrunken ist oder, ob er noch leben könnte. Wir haben immer diese ganz besondere Verbindung gehabt, die man nicht mit Worten erklären kann, sondern dieses Gefühl ganz intensiv spürt. Jahre lang habe ich versucht diesen Mann zu finden, aber leider erfolglos.

Danach habe ich mich in kurze Männergeschichten begeben. Ich schätze, ich habe mir selbst etwas vorgemacht. Ich dachte ich könnte nochmal solche Gefühle für einem Menschen entwickeln wie ich sie für Sandro gehegt habe, aber so tief sind sie nie mehr gewesen.

Die Männer, mit denen ich etwas gehabt habe, haben sich jedes Mal gegen mich entschieden. Ich war diejenige, die vermeintlich diesen Männern ihre Gefühle mit Worten gesagt hat. Eigentlich haben diese Männer mir mit ihrer Zurückweisung sogar eine riesen Gefallen getan, weil sie viel eher das erkennen konnten, was ich viel zulange nicht sehen wollte.

Diese Niederlagen haben mich zwar auf eine gewisse Weise verletzt, aber hätte ich diese Männer wirklich so geliebt wie ich Sandro geliebt habe, hätte ich mich ganz anders verhalten. Ich hätte mehr geweint, hätte mich noch mehr in meine Arbeit gestürzt und hätte mich nicht so für die Männer und ihre neuen Partnerinnen gefreut. Heute weiß ich, dass ich nie wirklich bereit gewesen bin, mich überhaupt auf solche tiefen Gefühle einzulassen. Ich habe mich blockiert, mir etwas vorgemacht und mich zu sehr in ein neues Abenteuer gestürzt. Es war vielleicht eine Ablenkung von meinem Schmerz, aber das Wahre war es nicht gewesen. Aus dem Grund habe ich beschlossen erst einmal keine Männer in meinem Leben zu lassen.

Als Tina mir dann von Georgs romantischer Liebeserklärung erzählt hat, habe ich für einen kurzen Moment an Sandro denken müssen. Doch an all die wundervollen Momente mit ihm, kann ich mich seit diesem Unfall nicht mehr erinnern. Die Dinge, die ich heute weiß, sind die Dinge, die mir meine Oma damals erzählt hat. Oh, wie sehr ich diesen Mann geliebt habe. Mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich konnte mir sogar mit meinen damals erst 24 Jahren vorstellen, ihn eines Tages zu heiraten und mit ihm Kinder zu haben.

Meine beste Freundin habe ich erst ein Jahr später kennengelernt, die nun tatsächlich auch schon ganze 5 Jahre kenne. Als ich Tini und ihren heutigen Ehemann zusammen geführt habe, habe ich erneut einen Bootsunfall gehabt, der aber wesentlich weniger schlimm gewesen ist, obwohl ich fast ein zweites Mal ertrunken wäre. Seither habe ich fast jede Nacht diesen einen Traum, in dem ich sehe wie Sandro von diesem Boot stürzt und ich, wie ich ihn versuche festzuhalten, aber dabei selbst über Bord gehe. Die Ärzte haben damals gesagt, dass bestimmte Auslöser im Laufe der Jahre diese Erinnerungen wieder hervorbringen können, aber genau sagen, könnte man das wohl nicht.

Es ist komisch, aber Theo hat mich irgendwie total aufgewühlt, doch ich weiß absolut nicht warum. Bei anderen Männern hatte ich das so bisher noch nicht. Könnte es etwa die Tatsache sein, dass er diesen Herzedelstein mit dem sternenumrundenden W besitzt? Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Ich werde es wohl bald herausfinden.

Zuerst muss ich noch etwas Passendes für den Abend finden. Ich sollte vielleicht doch Tina fragen, ob sie etwas für mich hat. So wie sie sich mit Mode und Trends auskennt, hätte sie sicher Spaß dabei, mich zu stylen. Doch das hier sollte ich alleine machen. Ich nehme meinen gesamten Kleiderschrank auseinander und entdecke einen schlichten schwarzen Chiffronrock, den ich mit einem weißen T-Shirt und meiner Jeansjacke kombiniere. Nur noch etwas Wimperntusche auf die Lippen und schon bin ich bereit aufzubrechen.


Liebe Leser/innen, es freut mich sehr, dass ihr dieses Kapitel gelesen habt.

So konntet ihr etwas mehr über Lillys Vergangenheit erfahren.



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