Kapitel 2

379 28 18
                                    

Auch am nächsten Tag war Draco noch nicht schlau aus der, wie er es nannte „Granger-Sache" geworden. Und obwohl er versuchte, nicht mehr daran zu denken, gelang es ihm kein Bisschen. Viel zu präsent war die vorletzte Nacht noch in seinen Gedanken. Dies hatte dazu geführt, dass er unaufmerksam in seinem Meeting gewesen war und zu allem Überfluss ärgerte er sich nun darüber, denn er hatte einige wichtige Details der Verhandlungen verpasst und musste sich jetzt gedulden, bis er das Protokoll zugesendet bekam, um weitere Entscheidungen zu treffen. 


Alles in allem war dies nicht wirklich sein glorreichster Montag und genervt ließ er sich um die Mittagszeit am Tresen der kleinen Espresso-Bar nieder, die glücklicher Weise gleich auf der anderen Straßenseite der Geschäftsstelle seines vielleicht zukünftigen Partners lag. Gerade als er seine Krawatte gelockert und einen Kaffee bestellt hatte, schlug das Schicksal erneut zu und langsam fragte er sich, ob ihm hier vielleicht tatsächlich jemand einen Streich spielen wollte, oder ob er einfach nur vom Pech verfolgt wurde.

„Lucius? Das ist ja eine Überraschung!" Er erkannte sie bereits an ihrer Stimme und Draco schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein und aus. Er war nicht bereit für diese Begegnung. Und erst recht war er nicht bereit, dieses dubiose Spiel weiter zu spielen.

„Mein Name ist Draco", sagte er darum, während er sich in ihre Richtung drehte und sie herausfordernd ansah.

„Wie bitte?" Ganz offensichtlich hatte er es hier nicht mit Granger zu tun, denn selbst die konnte unmöglich eine so gute Schauspielerin sein. Die Verwirrung stand ihr ins Gesicht geschrieben und wäre Draco nicht so genervt von der Gesamtsituation gewesen, hätte er womöglich darüber gelacht. So jedoch nahm er seinen Kaffee entgegen, den der Typ auf der anderen Seite der Theke ihm reichte und versuchte Granger, oder eben auch Nicht-Granger wortlos nieder zu starren. Was nicht funktionierte, denn sie knickte nicht ein und rein gar nichts in ihrem Gesicht deutete darauf hin, dass sie sich hier einen Scherz mit ihm erlaubte. Er seufzte.

„Draco. Lucius ist mein Zweitname", fuhr er also fort und starrte Granger über den Rand seiner Kaffeetasse an. Sie blinzelte nun zweimal und zuckte dann mit ihren Schultern.

„Oh, okay. Ich meine, das sind zwei wirklich ungewöhnliche Namen. Bist du irgendwie adlig, oder warum hast du dich nicht mit deinem richtigen Namen vorgestellt? Keine Sorge, ich kenn mich mit dem Adel dieser Welt nicht aus. Ich bin froh, wenn ich weiß, wer aktuell Königin von England ist." Sie lachte auf ihre eigenen Worte kurz auf und ließ sich zu Dracos Empörung auf den Barstuhl neben ihm gleiten. Gut, anscheinend hatte sie beschlossen, zu seiner Nemesis zu werden. Vielleicht konnte er diese Tatsache einfach akzeptieren, auch wenn er sich immer noch veralbert vorkam.

„Nein, kein blaues Blut. Zumindest nicht, als ich das letzte Mal nachgesehen hab", meinte er daher trocken und wünschte sich irgendwie wieder nach Russland zurück. Iwan war zwar keine so hübsche Gesellschaft gewesen, wie diese Gryffindor hier vor ihm, jedoch hatte er sich mit Iwan wenigstens sinnlos betrinken können, ohne auch nur ein Wort miteinander zu sprechen. Das käme ihm im Moment gar nicht so ungelegen.

„Okay? Dann vielleicht ein Schauspieler? Sollte das der Fall sein, kann ich dich auch beruhigen, ich schau nicht wirklich viel fern." Sie winkte leichthin ab und bestellte sich ebenfalls einen Kaffee beim Barista.

„Du hast tatsächlich keine Ahnung, wer ich bin." Das war keine Frage, auch wenn er sie eigentlich hatte stellen wollen. Vielmehr war es die Erkenntnis darüber, dass diese Frau vor ihm, die zufälliger Weise Granger und doch nicht Granger war, einfach nicht wusste, wer er war. Draco hatte keine Ahnung, woher diese Eingebung plötzlich kam, aber er war sich ziemlich sicher, dass niemand auf der Welt so gut schauspielern konnte. Und Gesetz dem Fall, dass er es hier mit der echten Granger zu tun hatte (was er vermutete, warum sonst sollte sie ihren echten Zweitnamen verwenden), konnte dies nur bedeuten, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Denn dass sie ihn schlicht und einfach nur vergessen hatte, war so unwahrscheinlich wie sonst wohl nichts auf dieser Welt.

„Nein. Und ich wüsste auch nicht, wieso? Willst du mir vielleicht sagen, warum du dich so seltsam verhältst?", schmunzelte sie auf seine Worte hin und Draco blieb nichts anderes übrig, als mit dem Kopf zu schütteln. Er würde schon noch hinter dieses Geheimnis kommen, die Frage war nur, ob er das auch wirklich wollte?

„Nein, alles gut. Ich hatte wohl einfach angenommen, dass du mich vielleicht aus der Zeitung kennst. Ich war ein paar Mal Gesprächsthema. Im Business-Teil." Und das war noch nicht mal komplett gelogen, immerhin hatte Rita Kimmkorn es sich nicht nehmen lassen, auch nach seiner Flucht nach Frankreich den einen oder anderen hetzerischen Artikel mit reißerischer Schlagzeile über ihn zu verfassen und über seine Firma herzuziehen. ‚Draco Malfoy – vom Todesser zum Kapitalisten. Der magischen Welt bleibt auch nichts erspart', war vermutlich einer seiner liebsten.

„Oh, in der 'Times'? Ich muss ehrlich gestehen, dass ich den Business Teil oft nur überfliege. Die Medien erzählen zum Großteil sowieso nur Lügen, manchmal frage ich mich, warum ich überhaupt noch die Zeitung aufschlage", lachte Hermine und zwinkerte ihm zu. Vage kam ihm das Bild einer jüngeren Hermine Granger ins Gedächtnis, die auf ihrem ganz persönlichen Kreuzzug gegen Rita Kimmkorn gewesen war und er schmunzelte. Anscheinend war sie doch noch irgendwo die Alte. Kaum hatte er seinen Gedanken zu Ende geführt, revidierte er diesen schon wieder, als sie weitersprach.

„Also Draco", betonte sie seinen richtigen Namen nun. „Da wir uns nun schicksalshafter Weise wiedergetroffen haben, was hältst du von einem Abendessen später? Meine Schicht geht bis um sechs, du könntest mich abholen?"

***

Draco wusste beim besten Willen nicht, warum er dem Abendessen mit Granger zugestimmt hatte. Vielleicht bekam ihm die englische Luft nicht mehr oder er war schlicht und ergreifend einfach ein Idiot. Vermutlich beides mutmaßte er, während er die unscheinbare, rote Telefonzelle betrat, die ihn auf offiziellem Weg ins Ministerium für Zauberei befördern würde. Zwar hatte er sich geschworen, nie auch nur wieder einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen, solange er bei klarem Verstand war, aber da dieser ihm anscheinend abhanden gekommen war, kam es darauf nun auch nicht mehr an. Seine Gedanken kreisten immer noch um sein verpatztes Meeting am Morgen und um die absurde Sache mit Granger, während er der kleinen, schwarzhaarigen Hexe am Empfang seinen Zauberstab reichte, um sich als Besucher anzumelden. Eine seltsame Art von Unwohlsein beschlich ihn, als er anschließend durch die langen Flure ging und dieses Gefühl der Beklemmung wurde auch nicht gerade besser, als er mit dem Aufzug in den zweiten Stock fuhr. Beinahe wäre er zusammengezuckt bei der hellen Stimme, die fröhlich „Ebene 2 - Aurorenzentrale, magische Strafverfolgung, Zaubergamot Verwaltungsdienst, Büro gegen den Missbrauch von Magie und Büro gegen den Missbrauch von Muggelartefakten. Einen schönen Tag!", verkündete.

Aurorenzentrale. Das war sein Ziel. Mit festen Schritten ging er den blank polierten, dunklen Flur entlang. Sein Abbild spiegelte sich in dem schwarzen Marmor zu seinen Füßen und seine Schuhe machten unverhältnismäßig laute Geräusche in dem langen Gang. Sein Ziel war das vierte Büro auf der rechten Seite, wenn er der Empfangshexe glauben durfte und sie sollte recht behalten.

‚H. J. Potter – Leitung Aurorenzentrale' sprang ihm der verschnörkelte Schriftzug auf einem goldenen Täfelchen entgegen, das direkt neben der Tür angebracht war. Draco rümpfte die Nase, denn er wollte eigentlich nichts weniger, als sich mit Potter zu treffen. Ironischer Weise hatte seine letzte Begegnung mit dem Helden der Nation ebenfalls hier im Zaubereiministerium stattgefunden, jedoch einige Etagen tiefer. Bei seiner Verhandlung. Er hatte sich nie wirklich bei Potter dafür bedankt, dass dieser für ihn in die Bresche gesprungen war und er dank ihm und dank den Aussagen von Dumbledores Portrait wohl haarscharf an einer Haft in Askaban vorbei geschrammt war.

Draco schüttelte diese bitteren Gedanken ab. Er hatte nicht vor, sich bei Potter zu bedanken und außerdem war er heute als freier Mann und aus komplett anderen Gründen hier. Darum wartete er kaum die Antwort auf sein Klopfen ab und stand schon wenige Sekunden später in Potters Büro.

Auch wenn Harry Potter vermutlich der beste Auror war, den das Ministerium seit langem gesehen hatte und trotz, dass er sich seit einer Weile ‚Leiter der Aurorenzentrale' schimpfte, so sah er doch überhaupt nicht wie ein knallharter Auror aus in dem Moment, in dem er erkannte, wer da gerade sein Büro betreten hatte. Wären die Umstände die ihn herführten, nicht so verwirrend, hätte Draco mit Sicherheit über diesen Anblick gelacht.

„Malfoy?" Der sogenannte Leiter der Aurorenzentrale hatte scheinbar keinen Sinn für irgendwelche Höflichkeitsfloskeln. Er machte eine abrupte Bewegung, die fast danach aussah, als wolle er aufspringen, überlegte es sich offensichtlich jedoch anders und sank verwirrt in seinen Sessel zurück.

„Dir auch einen guten Tag, Potter. Lange nicht gesehen", erwiderte Draco, der bedächtig die Tür hinter sich schloss und sich dann wieder zu seinem Lieblingsfeind aus Schulzeiten umdrehte.

„Was...?" Anscheinend war dem ehemaligen Gryffindor im Moment auch die Gabe entfallen, sich richtig zu artikulieren und seine Sätze zu Ende zu bringen. Draco konnte es ihm nicht wirklich verdenken, denn vermutlich würde er ebenso wie ein Fisch auf dem Trockenen aussehen, wäre es Potter, der in sein Büro gestolpert käme.

Hallo Malfoy, welch Überraschung. Was führt dich zu mir, an diesem herrlichen Nachmittag? Das wolltest du wahrscheinlich fragen, oder Potter? Lass es uns kurz machen, ich bin wahrscheinlich genauso wenig erfreut über diesen Besuch, wie du." Mit diesen Worten ließ er sich auf den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch sinken und erfreute sich einen weiteren Moment an der ungläubigen Miene seines Gegenübers. Dieser räusperte sich vernehmlich und fing an, irgendwelche Akten auf seinem Tisch von einer Seite auf die andere zu räumen, vermutlich um sich selbst einen Moment zu sammeln, dachte Draco.

„Ähm, ja. Also ich müsste lügen, würde ich sagen, dass ich nicht überrascht bin, dich hier zu sehen. Was führt dich zu mir?" Harry hatte nun eine aufrechte Haltung eingenommen und seine Hände vor der Brust verschränkt, nur um einen Augenblick später erneut in sich zusammen zu sacken.

„Ich will wissen, was mit Granger los ist."

„Wie bitte?"

„Ich sagte, ich will wissen...", begann Draco sich zu wiederholen, jedoch nicht, ohne bedeutungsschwer mit den Augen zu rollen.

„Ich hab gehört, was du gesagt hast!", fiel ihm Potter unwirsch ins Wort. Draco's linke Augenbraue wanderte verwundert in die Höhe. Das war interessant, anscheinend hatte er einen wunden Punkt getroffen, denn so ungestüm wie sich der Auror nun gab, da musste etwas vorgefallen sein. „Was hast du mit Hermine zu schaffen?"

Draco schnalzte mit der Zunge und genoss den aufgewühlten Anblick seines Gegenübers, doch ganz wohl war ihm nicht dabei, denn zugegebener Maßen hatte er nicht mit solch einer Reaktion von Potter gerechnet.

„Sagen wir es so, Granger ist mir zweimal über den Weg gelaufen, seit ich zurück in London bin und ich ging einfach mal davon aus, dass du mir beantworten kannst, was in Salazars Namen mit dieser Frau los ist. Ich meine, nicht das ich gekränkt wäre, weil sie anscheinend ihr Gedächtnis verloren hat und mich nicht mehr erkennt, aber ich würde gerne wissen, worauf ich mich einlasse, wenn ich später mit ihr essen gehe." Das hatte gesessen. Er würde sogar behaupten, dass er noch nie so einen entsetzten Blick auf dem Gesicht des Goldjungen gesehen hatte, wie in diesem Moment. Nicht mal, als Potter damals in ihrem vierten Jahr dem Drachen im Trimagischen Turnier gegenübergestanden hatte, war ihm der Schock so sehr ins Gesicht geschrieben gewesen wie jetzt. Allein dafür hatte sich dieser Besuch vermutlich dann doch noch gelohnt am Ende.

„Du... was? Du kannst nicht mit Hermine essen gehen, Malfoy!"

Draco lachte trocken auf. „Danke für den Hinweis, Potter, aber was ich kann und was nicht, das entscheide ich immer noch selbst."

„Nein, du verstehst mich nicht!" Bei diesen Worten war der Auror aufgesprungen und fing nun an, unruhig hinter seinem dunklen Schreibtisch auf und ab zu gehen. Draco beobachtete ihn eine Weile schweigend und wartete, ob er fortfahren würde oder nicht, doch Potter hatte anscheinend nur einen Moment des Warmlaufens gebraucht, denn er sprach nach einigen Sekunden weiter. „Hermine... es ist kompliziert. Sie erinnert sich an nichts mehr. Sie hat keine Erinnerung mehr an Hogwarts, geschweige denn weiß sie, dass sie eine Hexe ist oder dass die Zauberwelt existiert. Du kannst nicht einfach mit ihr Essen gehen, das ist zu gefährlich. Also für Hermine."

„Dann hätte ich mit ihr also nicht über das Für und Wider der Hauselfen-Versklavung philosophieren sollen meinst du?" Eigentlich wollte er nur einen Scherz machen, doch der panische Gesichtsausdruck, den Potter nun bekam, machte ihn nun doch etwas stutzig.

„Hast du...", fing Harry wild zu gestikulieren an, doch er unterbrach ihn sofort wieder.

„Beruhige dich, ich bin nicht ganz dumm, Potter. Ich habe natürlich nichts dergleichen getan, sie weiß nicht, dass ich sie kenne... oder dass sie mich kennt. Wie auch immer." Die Erleichterung im Raum auf seine Worte hin war beinahe schon greifbar und der Schwarzhaarige ließ sich erschlagen in seinen Bürostuhl zurückfallen, nahm die Brille von der Nase und presste Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand gegen seine Nasenwurzel, als hätte er starke Kopfschmerzen. Was nicht wirklich ganz abwegig war, entschied Draco. Sein eigener Kopf tat ihm dank dieser Granger-Sache auch schon weh.

„Gut. Das ist... gut. Malfoy, um was ich dich bitte, aber triff dich nicht mit Hermine. Vergiss einfach, dass du sie gesehen hast und such dir jemand Anderen zum Abendessen. Bei Merlin, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, mit ihr essen zu gehen?"

Hörte er da etwa so etwas wie Neugier aus Potters Worten heraus? Er konnte es ihm zumindest nicht verdenken, denn das mussten für den Jungen der immer noch lebte doch ganz unglaubliche Neuigkeiten sein. Er verzog seinen Mund zu einem vielsagenden Grinsen.

„Glaub mir, das willst du vielleicht gar nicht so genau wissen. Sag mir lieber, wieso Granger ihr Gedächtnis verloren hat. Nicht, dass das was Schlechtes wäre, ich meine, sie ist keine ätzende Besserwisserin mehr. Aber neugierig bin ich dennoch."

Harry schnappte hörbar nach Luft. „Das kann ich dir nicht sagen."

„Zu schade, dann werde ich sie später wohl selbst danach fragen müssen, warum sie sich nicht daran erinnern kann, eine Hexe zu sein. Mal ganz nebenbei erwähnt... ist das nicht gefährlich? Wenn man seine Zauberkraft nicht ausübt? Nicht dass sie noch zum Obskurus wird." Selbstverständlich meinte er das nicht ganz ernst, immerhin gab es kaum dokumentierte Fälle über dieses Phänomen, aber es war immer wieder nett, Potter aus der Reserve zu locken. Dieser sah ihn mit einem vernichtenden Blick an, ehe er seufzte und seine Brille wieder auf die Nase schob.

„Versprichst du mir, dass du dich nicht mit ihr triffst, wenn ich es dir erzähle?"

„Kommt drauf an..." Er wollte sich nicht vorschreiben lassen, was er zu tun oder zu lassen hatte. Definitiv war er zugegebener Maßen mehr als nur interessiert daran, was mit Granger passiert war. Er hatte jetzt nicht unbedingt vor, sie zu ehelichen, darum könnte er Potter auch einfach versprechen, sie zu versetzen und nie wieder zu sehen. Theoretisch. Praktisch traute er sich gerade selbst nicht zu hundert Prozent über den Weg.

„Auf was?" Der Auror wurde langsam sichtbar genervt von ihm. Hatte dann doch länger gedauert als angenommen, dachte Draco bei sich und schmunzelte.

„Ob es eine gute Geschichte ist oder nicht", zuckte er auf Harrys Worte hin mit den Schultern und lehnte sich nun selbst mit verschränkten Armen gespannt auf seinem Stuhl zurück.

***

„Ist das dein Ernst, Alter? Du willst mir hier erzählen, dass Potter - ich meine DER Harry Potter, strahlender Held unserer Nation – das Gedächtnis seiner besten Freundin mit dem Obliviate gelöscht hat, was, um es einmal auf den Punkt zu bringen, illegal ist, ganz nebenbei erwähnt?" Er saß gerade einmal seit fünf Minuten in Blaises Wohnzimmer auf der Couch und fühlte sich schon jetzt wie in einem schlechten Groschenroman. Hätte er gewusst, welche Wendung die Ereignisse nehmen würden, dann hätte Draco höchstwahrscheinlich direkt wieder das Land verlassen, nachdem Granger sich vor zwei Tagen neben ihm auf den Barhocker hatte gleiten lassen. Doch nun war es zu spät, um auszusteigen, denn seine Neugier war ihm in die Quere gekommen und jetzt hatte er den Salat.

„Ganz genau." Er nahm einen Schluck von seinem Bier. Es war gerade einmal kurz nach vier, das bedeutete, er hatte noch genug Zeit, um sich zu entscheiden, ob er in zwei Stunden vor Waterstones stehen würde, um Granger abzuholen. Hätte er nicht bereits schon früher seine Zweifel abgelegt, ob er es hier tatsächlich mit der ehemaligen Gryffindor zu tun hatte oder nicht, wäre spätestens ihre Arbeitsstelle ein sicherer Indikator dafür gewesen, dass es Granger war. Eine Buchhandlung. Kein noch so starker Obliviate konnte den Nerd offensichtlich von ihren heiß geliebten Büchern fern halten.

„Oh komm schon, spann mich nicht so auf die Folter! Warum muss man dir denn alles immer aus der Nase ziehen?", entrüstete sich Blaise auf seine knappe Antwort hin. Draco seufzte gespielt theatralisch und lehnte sich tiefer in die Polster.

„Es ist wirklich ganz dramatisch", setzte er ironisch an. „Potter hat mir erzählt, dass Granger ihren Eltern vor unserem letzten Jahr das Gedächtnis genommen hat. Angeblich um sie vor dem Dunklen Lord zu schützen aber auch, um sich selbst abzusichern, falls sie im Krieg draufgehen sollte. Ihre Eltern hatten also keine Erinnerung mehr daran, dass sie eine Tochter haben und sind dann, dank Grangers Manipulation, nach Australien ausgewandert. Ein halbes Jahr nach dem Krieg wollte sie ihre Eltern suchen und zurückholen. Dummerweise sind die aber einige Monate zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dafür hat sich Granger dann die Schuld gegeben und hatte wohl einen Zusammenbruch. Posttraumatische Störungen, Blackout... was auch immer", winkte er ab und legte eine kurze Pause ein, um sich nochmal in Erinnerung zu rufen, was Potter ihm da alles unglaubliches erzählt hatte.

„Auf jeden Fall kam sie nicht mehr klar und hat Potter mehr oder weniger angefleht, dass er ihr ebenfalls das Gedächtnis nimmt. Sie war wohl sehr überzeugend in ihrer Forderung und letzten Endes hat Potter es dann ganz nach ihren Wünschen durchgezogen. Sie hatte gefordert, dass er ihr eine komplett neue Identität gibt, inklusive neuer Vergangenheit. Aber Potter hat es vermasselt, denn sie wollte so weit weg wie nur möglich. Er hat es aber nicht über sein dummes Gryffindorherz gebracht und darum ist sie nun immer noch hier in London. Mit anderem Namen in der Muggelwelt. Daraufhin hat er das Gerücht verbreitet, dass sie weggezogen sei und sich auf eigenen Wunsch hin von der Zauberwelt abgewendet hat. Nur wenige, wie zum Beispiel Weasley wissen, was wirklich passiert ist. Er selbst trifft sie ab und zu, sie denkt er sei ein alter Freund aus der Highschool." Als er seinen Vortrag beendete, sah er sich einem Blaise mit weit geöffnetem Mund und ungläubigem Blick gegenüber.

„Das ist zu unfassbar, dass es wahr sein kann, aber auf der anderen Seite zu unfassbar, um nicht wahr zu sein!", sagte Blaise, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte. „Und weißt du was noch unfassbarer ist?"

„Du wirst es mir sicher gleich erzählen, wie ich dich kenne." Draco schmunzelte und griff erneut nach seinem Bier.

„Dass du seit Jahren keinen Fuß mehr nach London gesetzt hast und es dann innerhalb von nur zwei Tagen geschafft hast, Granger zu finden, sie zu vögeln und Potter gleichzeitig das wohl größte Geheimnis der Nation aus der Nase zu ziehen, welches ihn locker seinen Job kosten könnte, wenn nicht noch mehr."

Interessant, so hatte er es noch gar nicht gesehen. Aber es stimmte. Potter hatte eindeutig eine Grenze überschritten. Wenn man es genau nahm, dann hatte auch Granger gegen das Gesetz verstoßen, indem sie ihre Eltern verhext hatte, aber da die mittlerweile nicht mehr am Leben waren, spielte das wohl keine allzu große Rolle mehr. Aber in der Tat, der Goldjunge hatte nun offiziell Dreck am Stecken und womöglich wäre es ein Leichtes, ihm die Abreibung des Jahrhunderts zu verpassen. Doch wenn Draco ehrlich zu sich war, dann hatte er nicht vor, Potter vorzuführen. Er wusste zwar noch nicht wirklich, was er mit diesem Wissen nun anfangen wollte, aber über kindische Machtkämpfe waren sie wahrscheinlich zwischenzeitlich hinaus. Wobei er das auch nicht zu einhundert Prozent bestätigen konnte, wenn er über Blaises nächste Frage nachdachte.

„Hat Potter sonst noch irgendwas gesagt?"

„Er wollte, dass ich ihm verspreche, mich nicht mit Granger zu treffen heute Abend", zuckte er mit den Schultern und grinste.

„Was du selbstverständlich auch nicht tun wirst, gehe ich davon aus? Immerhin wäre das selbst für dich schon ganz schön unverfroren."

Er antwortete nicht und Blaises Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an. „Draco, das kannst du nicht machen, überleg mal, was du damit auslösen könntest! Ihr könntet gesehen werden! Du könntest sie triggern und sie könnte sich doch noch erinnern am Ende. Das würde im Chaos enden. Sie könnte sich in dich verlieben... oder noch schlimmer, du könntest dich in sie verlieben!"

„Red' keinen Blödsinn, Blaise. Warum sollte irgendetwas davon passieren, wenn ich mir ihr zu Abend esse?"

„Weil es Granger ist und du schon immer eine ungesunde Faszination für Granger hattest, wenn ich dich daran erinnern darf", antwortete ihm sein Freund in vollem Brustton der Überzeugung.

„So ein Schwachsinn."

„Ach ja? Ich glaube ich habe den Namen Granger in unserer Schulzeit öfter aus deinem Mund gehört, als sonst irgendwas. Ich möchte dich nur einmal daran erinnern, dass du ganze vier Wochen in deinem Stolz verletzt warst, als sie dir die Nase gebrochen hat. Bei jeder Prüfung, in der sie besser abgeschlossen hatte als du, was eigentlich immer der Fall gewesen war, warst du unerträglich und ich weiß ja nicht ob es dir entfallen ist, aber im fünften Jahr, hattest du eindeutig eine Granger-Phase."

Draco rollte mit den Augen, dass es beinahe schon weh tat. „Ich hatte keine Granger-Phase."

„Pfff", machte Blaise. „Dann kennst du dich selbst aber schlecht. Denn das war mehr als nur auffällig."

„Blaise, ich schätze dich sehr, aber wenn du nicht bald aufhörst, so einen Drachenmist zu verzapfen, dann lösch ich dir auch das Gedächtnis und mache dich zum Buchhalter."

Sein bester Kumpel ließ ein recht unmännliches Kichern verlauten ehe er antwortete. „Ein Pech, dass wir zu gut befreundet sind und ich dir deine leeren Drohungen nicht abnehme."

Draco begann, sich seine Schläfen zu massieren. Hatte er gedacht, dass er nach den Ereignissen der letzten Tage und nach Potters Offenbarungen Kopfweh hatte, war das nichts im Vergleich dazu, was sein bester Freund ihm hier gerade antat. Ja, ganz falsch lag Blaise nicht damit, dass er eine Art Faszination für Granger entwickelt hatte, während der Schulzeit. Doch das war bei Salazar keine im netten und schon gar nicht im romantischen Sinne gewesen. Auch wenn er zugeben musste, dass sein Freund auch damit Recht hatte, dass er in ihrem fünften Schuljahr durchaus bemerkt hatte, dass Hermine Granger hübsch geworden war. Aber von einer Schwärmerei zu sprechen, wäre hier doch eindeutig zu viel des Guten.

„Wie auch immer", setzte er an und leerte seine Flasche mit einem letzten, großen Zug. „Ich lasse mir nicht von Potter vorschreiben, ob ich mich mit Granger zum Abendessen treffen darf oder nicht." Geräuschvoll, um seine Worte zu untermalen, stellte Draco seine Bierflasche auf Blaises kleinem Wohnzimmertisch ab. Sein Kumpel schenkte ihm einen skeptischen Blick, antwortete jedoch nicht darauf. Blaise wusste genau, dass Diskussionen mit ihm keinen Sinn hatten. „Außerdem", sprach er weiter und erhob sich währenddessen von seinem Sofa „kann ich nicht gerade behaupten, dass die gedächtnislose Granger..."

„Welch herrliche Alliteration!"

„...keine gute Gesellschaft wäre, wenn du verstehst was ich meine." Ein dreckiges Grinsen schlich sich in sein Gesicht und entlockte Blaise ein weiteres Lachen. 

„Sag nur nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, Kumpel!"

OblivionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt