Erzählungen von Heinrich von Kleist

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Die heilige Caecilie

oder

die Gewalt der Musik

(Eine Legende)

Um das Ende des sechzehnten Jahrhunderts, als die Bilderstuermerei in

den Niederlanden wuetete, trafen drei Brueder, junge in Wittenberg

studierende Leute, mit einem vierten, der in Antwerpen als Praedikant

angestellt war, in der Stadt Aachen zusammen. Sie wollten daselbst

eine Erbschaft erheben, die ihnen von Seiten eines alten, ihnen allen

unbekannten Oheims zugefallen war, und kehrten, weil niemand in dem

Ort war, an den sie sich haetten wenden koennen, in einem Gasthof ein.

Nach Verlauf einiger Tage, die sie damit zugebracht hatten, den

Praedikanten ueber die merkwuerdigen Auftritte, die in den Niederlanden

vorgefallen waren, anzuhoeren, traf es sich, dass von den Nonnen im

Kloster der heiligen Caecilie, das damals vor den Toren dieser Stadt

lag, der Fronleichnamstag festlich begangen werden sollte; dergestalt,

dass die vier Brueder, von Schwaermerei, Jugend und dem Beispiel der

Niederlaender erhitzt, beschlossen, auch der Stadt Aachen das

Schauspiel einer Bilderstuermerei zu geben. Der Praedikant, der

dergleichen Unternehmungen mehr als einmal schon geleitet hatte,

versammelte, am Abend zuvor, eine Anzahl junger, der neuen Lehre

ergebener Kaufmannssoehne und Studenten, welche, in dem Gasthofe, bei

Wein und Speisen, unter Verwuenschungen des Papsttums, die Nacht

zubrachten; und, da der Tag ueber die Zinnen der Stadt aufgegangen,

versahen sie sich mit Aexten und Zerstoerungswerkzeugen aller Art, um

ihr ausgelassenes Geschaeft zu beginnen. Sie verabredeten frohlockend

ein Zeichen, auf welches sie damit anfangen wollten, die

Fensterscheiben, mit biblischen Geschichten bemalt, einzuwerfen; und

eines grossen Anhangs, den sie unter dem Volk finden wuerden, gewiss,

verfuegten sie sich, entschlossen keinen Stein auf dem andern zu

lassen, in der Stunde, da die Glocken laeuteten, in den Dom. Die

Aebtissin, die, schon beim Anbruch des Tages, durch einen Freund von

der Gefahr, in welcher das Kloster schwebte, benachrichtigt worden

war, schickte vergebens, zu wiederholten Malen, zu dem kaiserlichen

Offizier, der in der Stadt kommandierte, und bat sich, zum Schutz des

Klosters, eine Wache aus; der Offizier, der selbst ein Feind des

Papsttums, und als solcher, wenigstens unter der Hand, der neuen

Lehre zugetan war, wusste ihr unter dem staatsklugen Vorgeben, dass sie

Geister saehe, und fuer ihr Kloster auch nicht der Schatten einer

Gefahr vorhanden sei, die Wache zu verweigern. Inzwischen brach die

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 05, 2009 ⏰

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