Eskalation

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Kapitel Vier Eskalation

Es·ka·la·ti·on

Substantiv, feminin [die]

[unkontrollierte] Verschärfung, Ausweitung eines Konflikts


Er konnte es noch nicht wirklich fassen, geschweige denn konnte sein Kopf gerade verarbeiten, was hier passierte. Granger hatte ihn hinter sich hergezogen und sie waren in einem gemütlichen Wohnzimmer gelandet, von dem er hätte schwören können, dass der Innenarchitekt auch den Gemeinschaftsraum von Gryffindor geplant haben musste. Nicht, dass er jemals einen Fuß in den Gemeinschaftsraum der Löwen gesetzt hätte, aber genau so stellte er sich diesen vor. Einladende, dunkelrote Sofas und Lesesessel standen hier im Raum verteilt um einen kleinen Wohnzimmertisch, im offenen Kamin brannte ein gemütliches Feuer prasselnd vor sich hin, in goldene Rahmen eingefasste Bilder prangten an den Wänden und die Bewohner der Bilder sahen allesamt aus wie Vorfahren der Black-Familie, mit denen er ebenfalls verwandt war, wurde ihm plötzlich klar.

Auf dem kleinen Tisch stapelten sich ein paar verschiedene Bücher und auch ein hohes Bücherregal stand an der Wand, welches geradezu überquoll. Er vermutete, dass die meisten davon Granger gehörten.

Und nun saß er hier, auf einem der bequemen Lesesessel und hielt ein Muggelbuch in der Hand, das zugegebener Maßen gar nicht so schlecht war. Etwas hochgestochen geschrieben vielleicht und es ging um Hexenverfolgung im Mittelalter, aber prinzipiell fand er die Muggelliteratur nicht übel. Zumindest war es recht amüsant, wie die Muggel über Hexen und Zauberer dachten.

Granger saß auf dem Sofa und hatte ihre Füße unter ihren zierlichen Körper geschoben und war in ein Buch über Zaubertränke vertieft. Er beobachtete sie nun schon mehrere Minuten dabei, wie sie Seite um Seite mit ihren Augen scannte und unterdessen unbewusst mit einer gelockten Haarsträhne spielte. Manchmal verdrehte sie die Augen oder zog die Nase kraus, wenn sie offensichtlich nicht einer Meinung mit dem Autor war, doch manchmal weiteten sich ihre Augen, als hätte sie soeben eine Eingebung. Es war lustig mit anzusehen, denn wenn Granger las, war sie ebenfalls wie ein offenes Buch. Draco runzelte die Stirn. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass sie hier in totaler Eintracht beieinander saßen und einfach nichts weiter taten, als zu lesen. Ab und an nippte Granger an ihrem Tee, den sie sich vor einiger Zeit geholt hatte, aber keiner sagte ein Wort. Diese stille Übereinkunft war erschreckend und tröstlich zugleich. Sie bemerkte nicht, dass er sie beobachtete, also fuhr er damit fort, sie zu mustern. Granger war schon seltsam, denn sie war ein kompletter Widerspruch in sich selbst. Für eine... Muggelgeborene, korrigierte er seinen ersten Gedanken dieses Mal, war sie viel zu aufmüpfig und zu selbstbewusst. Und doch war Draco sich sicher, dass sie im Grunde genommen auch nur ein Mädchen war, mit all den Ängsten und Zweifeln, die junge Frauen so mit sich herumtrugen. Er wusste, welche das waren, denn nicht umsonst hatte er in Hogwarts das ein oder andere Herz gebrochen.

Je länger er Granger beobachtete, umso mehr schalt er sich einen Idioten, denn ja, er fand sie, bei genauerer Betrachtung, recht ansehnlich. Nicht schön im klassischen Sinn, wenn man an Schönheit dachte, denn sie hatte weder besonders glänzendes Haar, noch hatte sie wirklich feine Gesichtszüge. Jetzt im Moment, hatte sich ihre Stirn in Falten gelegt und sie schüttelte kaum merklich ihren Kopf, wahrscheinlich weil sie das Thema des aktuellen Kapitels nicht besonders ansprach. Aber sie hatte eine schön geschwungene Nase und volle Lippen von denen sie die Untere hin und wieder zwischen die Zähne zog beim Lesen. Ihre Haare waren ein Chaos, aber es sah nicht schlimm aus, wenn er ehrlich war. Eigentlich gefiel ihm dieses wirre, lockige Haar. Sie schien es mittlerweile auch kontrolliert chaotisch zu tragen, denn die großen Locken fielen gekonnt über ihre Schultern auf den Rücken und schimmerten an manchen Stellen leicht golden im Licht des Feuers - kein Vergleich zu dem Vogelnest, dass sie in der ersten Klasse auf dem Kopf mit sich herumgetragen hatte. Außerdem hatte sie unter dem weiten Pullover und der Jeans, die sie trug, eine wirklich ansprechende Figur. Selbstverständlich hatte er nie besonders auf Grangers Äußeres geachtet, dass er das wirklich beurteilen könnte, aber er erinnerte sich an den Weihnachtsball im vierten Schuljahr und wie alle die Luft angehalten hatten, als sie elfengleich mit Krum über das Parkett geschwebt war. Naja, fast alle. Er zumindest nicht. Dennoch ... er musste wohl vollkommen verrückt sein, doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann fand er Granger, abgesehen von dieser Schlammblut-Sache, recht attraktiv. Er schob diese Erkenntnis jedoch auf die Tatsache, dass er seit Wochen isoliert im Manor festhing und mangels weiblicher Wesen war sein Verstand wohl nicht mehr ganz zurechnungsfähig, was das anging. Kopfschüttelnd vertiefte er sich wieder in sein Buch und merkte dabei nicht, wie Hermine langsam tief ein und ausatmete.

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