TW: drug withdrawal, addiction
"Was war mir der Mensch und sein unruhiges Wollen! Was war mir das ewige ‚Du sollst' ‚Du sollst nicht!' Wie anders der Blitz, der Sturm, der Hagel, freie Mächte, ohne Ethik! Wie glücklich, wie kräftig sind sie, reiner Wille, ohne Trübungen durch den Intellekt!"
In dem Moment, in dem der erste Blitz den Himmel erhellte und der Donner krachend folgte, änderte sich etwas. Die Lautstärke des Gewitters übertönte es zwar weitgehend, aber Julian konnte es spüren. Sein Herz. Es schlug. Schneller. Schneller als es sollte. Es raste. Julian kannte den Grund. Er stand vor ihm. Kai hielt ihn noch immer im Arm. Fest und gleichzeitig vorsichtig. Julians Kopf war in Kais Schulter vergraben und er hatte die Augen geschlossen. Trotzdem hatte er es gemerkt. Es war eine neue Berührung gewesen. Eine, die Julian nicht kannte, die er so noch nie erfahren hatte. Kais Lippen hatten seinen Kopf nur zart gestreift, ihn fast gar nicht berührt. Trotzdem brannte diese Stelle noch immer. Sie würde sich für immer an diese Berührung erinnern.
Julian hatte sich nicht gerührt. Hatte seinen Kopf nur noch enger an den Stoff von Kais Hoodie gepresst und betete, dass sein Herzschlag nicht durch die dünne Stoffschicht zu spüren war. Während sie darstanden, Kais Finger durch Julians Haare fuhren und er ihm versprach, dass er hier war und nicht weggehen würde, realisierte Julian etwas neues, das er vorher nie so klar gesehen hatte. Er konnte es nur nicht genau deuten.Kai hatte ihn zuvor gefragt, wovor er weglief. Julian hatte gedacht die Antwort auf diese Frage zu kennen. Er hatte gedacht, er würde vor seinen Problemen weglaufen. Versuchen, sie hinter sich zu lassen. Während Kai ihn festhielt, ihm Schutz bot, wurde Julian klar, dass das so nicht stimmte. Julian lief nicht vor seinen Problemen weg. Er lief vor sich selbst weg. Vor sich und seinen Gedanken. Weil sie zu stark für ihn waren. Vielleicht waren sie es schon immer gewesen. Alleine mit ihnen war er überfordert. Sie ließen ihn dumme Dinge tun. Gefährliche Dinge. Und egal was er tat um sie zu betäuben, sie fanden ihn immer und überall. Und vielleicht hatte er unterbewusst gewusst, dass er die Last seiner Gedanken nicht alleine tragen konnte. Vielleicht war Julian nicht auf der Flucht. Vielleicht war er auf der Suche. Auf der Suche nach einem Ort, der ihm Sicherheit vor dieser inneren dunklen Seite von ihm bot. Vielleicht suchte er einen Ort, der ihn wieder fühlen ließ, wie es sich anfühlte zu leben. Vielleicht wollte Julian einfach wieder fühlen.
Und ganz eventuell hatte Kai ihm diesen größten Wunsch erfüllt. Eventuell ist Kai der einzige, der ihm diesen Wunsch erfüllen kann. Eventuell hat Julian in Kai seinen sicheren Ort gefunden. Eventuell hat diese Suche ein Ende und eventuell wird alles wieder gut oder zumindest weniger schlimm. Und Julian hob den Kopf und sah Kai in die Augen. Sie waren so klar wie seine Gedanken in diesem Moment. "Danke" Julian sagte dieses eine Wort und wusste gleichzeitig, dass es das ehrlichste Wort war, dass je seinen Mund verlassen hat. Kai schien genau dies zu verstehen und er starrte auf Julians Lippen, als wollte er all die Ehrlichkeit, die sie in diesem Augenblick behafteten für immer in Erinnerung behalten. Und Julian sah auf Kais Lippen, die sich zu dem ehrlichsten Satz formten, den Kai jemals zu ihm sagen würde und er war gespannt was dieser Satz sein würde. Ein Teil von ihm glaubte ihn bereits zu kennen...
Der Satz verließ Kais Mund nie. Julian sollte nie wissen, was sein bester Freund versucht hatte ihm zu sagen, denn in diesem Moment geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Das erste, was Julian fühlte war ein Verlust an Gefühlen. Er wusste nicht richtig was passiert war, aber mit einem Mal schien alles um ihn herum zu verschwimmen. Seine Augen konnten nicht mehr klar fassen und sie verloren Kai und er stolperte einen Schritt zurück. Dadurch wurden ihm ebenfalls andere Dinge bewusst. Sein Körper zitterte und er bemerkte wie sehr er schwitzte, außerdem breitete sich ohne Kais Nähe, das ihm nur allzu bekannte Panikgefühl in ihm aus. So schnell, dass es schon bald seinen gesamten Körper einnahm. Das war eins der Ereignisse. Zeitgleich zuckte ein heller Blitz über den Himmer und tauchte alles um sie herum in eine grelle Helligkeit, die die umliegende Natur verzerrt erscheinen ließ. Kai hatte sich ebenfalls einen Schritt von Julian entfernt. Er sah Julian besorgt an und zeitgleich passierte das dritte Ereignis. Kais Handy vibrierte und das Gesicht, welches er machte als er die eben erhaltene Nachricht las, raubte Julian sämtliche Hoffnung jemals den ehrlichsten Satz zu hören, den Kai ihm hatte sagen wollen.
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I just wanna feel again ~ Bravertz
Fanfictionfüh·len /fǘhlen/ schwaches Verb mit dem Tastsinn, den Nerven wahrnehmen; körperlich spüren "einen Schmerz, die Wärme der Sonne fühlen" Tastend prüfen, feststellen "[jemandem] den Puls fühlen" seelisch empfinden "etwas instinktiv fühlen" Tastend nac...