Bauchgefühl

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,,Was habe isch gesagt?!! Kanzi Äpfel ist Nummer 56. " Eine Frau mittleren Alters, meine Chefin mit dünnen, strähnigen, blond-gefärbten Haaren, lächelt entschuldigend der genervt aussehenden Kundin zu und setzt noch eins drauf: ,,Entschuldigen Sie bitte vielmals. Dies ist eine Auszubildende. Manche  kriegen es einfach nicht auf die Reihe, den Anweisungen zu folgen." Abwertend schaut mich die Kundin an. ' Kanzi Äpfel ist die Nummer 56', denke ich. 'Wenn du mich schon blöd anmachen musst, dann sprich doch wenigsten richtig.. Ahh! Nicht ausrasten, nicht ausrasten..' Zum ersten Mal sitze ich an der Kasse und meine reizende Abteilungsleiterin, Frau Jennifer Zuber, lehrt mich gerade an. Was für eine blöde Kuh! Lächelnd versuche ich darüber hinweg zu sehen. Gedanken kann ich mir später darum machen. Nervös schluckend von dem genervten Blick der älteren Kundin tippe ich die Nummer 56 in das Display. ,, 40,67 €, bitte. " sage ich angespannt. Die Kundin gibt mir das Geld und sagt abfällig ,, Also kundenfreundlich ist das lange Warten ja nicht. Und noch solche Leute einzustellen, zzz...Hier werde ich nicht mehr einkaufen..!" Entrüstet schaue ich meine Chefin und die vorbeigehende Kundin an. 'Das ist gerade nicht wirklich passiert, oder ?' Und die gute Frau Zuber fügt noch boshaft hinzu: ,,Tja. Musst schneller machen.! So, der nächste bitte. Hallo!" Lächelnd begrüßt sie den nächsten Kunden. 

Ich bin immer noch in Schreckstarre. Wie menschenunwürdig! Was fällt eigentlich der alten Frau ein! Und die Frau Zuber erst! Mich erst noch blöd anmachen und sich dann noch für mich entschuldigen! Das darf doch nicht wahrsein! Entschuldigen Sie vielmals, dass das mein erster Tag heute an der Kasse ist und ich nicht schnell genug die Nummer der scheiß Kanzi Äpfel wusste! Was für dumme Menschen! Ich kann es immer noch nicht glauben...

Immer noch fassungslos scanne ich die Produkte des nächsten Kunden. Diesmal kein loses Obst, noch loses Gemüse, noch irgendwas loses dabei. Gott sei dank! 

,,15,89€, bitte." Der Kunde reicht mir das Geld und packt seinen Einkauf ein. 

,,Hat dieses mal ja besser geklappt. Du bist nur immer noch zu langsam. Du musst schneller machen. Schau mal die lange Schlange. Wegen dir warten sie so lange. Das geht nicht... Wenn du so weiter arbeitest, wirst du nicht mehr lange hier dein Geld verdienen. Das war es dann mit dem Job..." sagt Frau Zuber doch tatsächlich. Vor den gesamten Kunden und ohne einen Funken von Schuldbewusst. Mit ihrem blöden, boshaftem  Lachen schaut sie die nächste Kundin an. 

So wie: Ach, immer diese blöden jungen Dinger.. Zu doof, um an der Kasse zu arbeiten.. 

Wie gesagt, es ist mein erster Tag und als ob sie es am Anfang besser hingekriegt hätte! Wie unfair! Tief einatmend schaue ich nach hinten zur Schlange. Ach du scheiße. Es sind bestimmt noch an die 10 Kunden dort und blicken genervt zu mir. Immer mehr Menschen stellen sich an. Ahhhhhhh! Ok, ich schaffe das. Ruhig bleiben, immer schön ruhig bleiben...

Nach weiteren sechs Stunden an der Kasse, mit genervten Kunden und eine Laune von minus 100 stapfe ich erschöpft die alten, knarzenden Stufen zur WG-Wohnung hinauf.

Ich wohne dort mit meinen Mitbewohnerinnen Lara und Alina. Wir sind alle vor kurzem 18 Jahre alt geworden und mussten aus dem betreuten Wohnen ausziehen, da dies nur bis zum Alter von 17 Jahren gestattet ist.
Zum Glück ist unsere Betreuerin Antonia immer für uns da und hat uns als Übergangszone diese kleine WG-Wohnung zur Verfügung gestellt, bis wir was eigenes gefunden haben. Darum mussten wir einen Job anfangen, um Geld zu verdienen. Wenn wir was angespart haben  und richtiges Geld verdienen, sollen wir ausziehen. Danach wird die Wohnung wieder an weitere junge Menschen vergeben, die aus dem betreuten Wohnen rausmüssen und anfangen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen. Nur durch Antonia gibt es diese Möglichkeit vom Ausziehen und doch noch etwas umsorgt zu werden. Ich wüsste nicht, wie es in anderen Betreuungen  gewesen wäre. Da kann ich ganz schön froh sein, bei ihr fünf Jahre untergekommen zu sein. Antonia selbst konnte leider wegen einer Fehlbildung keine Kinder kriegen. Doch man merkt, wie gut sie mit Kinder umgehen kann. Sie ist immer für einen da, hört einem selbst in den stressigsten Momenten zu und hat partout einen Rat für einen da. Das schöne ist, dass die kleine Wohnung direkt neben dem betreuten Wohnen liegt. Gut für sie, um zu schauen, ob alles hier bei uns gut funktioniert. Und perfekt für uns, um einen Ratschlag abzuholen. 

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