Dag lag auch nach fast drei Stunden weiterhin wach auf der Couch.
Carla hatte noch so lange mit ihm telefoniert, bis sie eingeschlafen war. Doch dies war nicht der Grund. Es war für ihn ein seltsames Gefühl, hier in dieser Wohnung zu schlafen.
So vertraut ... aber gleichzeitig auch so, als wäre er Jahre nicht mehr hier gewesen. Er setzte sich auf und rieb sich den Kopf.
Nia war sauer auf ihn. Das hatte er später gemerkt, als sie aus dem Badezimmer kam, um danach in ihr Zimmer zu gehen.
Es lag nicht an der Aktion in dem Club, sondern wegen Carla. Doch er hatte auch keine Lust, seiner Tochter irgendeine Lüge aufzutischen. Ja, er war mit dieser Frau zusammen ... und das nicht heimlich. Früher oder später würde es eh jeder mitbekommen.
Zudem hatte er auch gemerkt, dass es für Carla extrem wichtig war, nicht nur im Schatten gehalten zu werden. Dass sie nun auch Vincent kennengelernt hatte, stimmte sie froh. Und er musste seinem besten Freund hoch anrechnen, dass er nett und freundlich mit ihr gesprochen hatte, obwohl er ganz genau wahrgenommen hatte, dass es ihm unangenehm war.
Vincent mochte Isabelle. Für ihn muss es dementsprechend keine tolle Situation gewesen sein. Auch wenn er Carla ja bereits im Eiscafé schon mal gesehen hatte, war dies etwas vollkommen anderes.
Dag stand auf und ging gewohnt an den Kühlschrank. Er griff nach einem Bier und setzte es an. Wie von allein musste er nun auch an dieses, Was-wäre-wenn, denken.
Wenn er Carla nie kennengelernt hätte.
Obwohl er sich bei ihr immer wohlgefühlt hatte, schoss ihm trotzdem dieser Gedanke in den Kopf. Isabelle hatte zwar ewig gebraucht, doch er war sich sicher, dass sie es hinbekommen hätten, nach dieser einen Nacht in der alten WG, wenn es keine Carla dazwischen gegeben hätte.
Oder hätte er ohne Carla komplett mit sich aufgegeben? Weil irgendwie hatte sie ihn ja auch gerettet nicht in Selbstmitleid zu ertrinken.
Er trank erneut an der Flasche und schloss die Augen. Er stellte sich vor, wie seine Gegenwart genau jetzt wäre, wenn die Sache mit Rio nicht geschehen wäre.
Isabelle wäre mit Sicherheit im Schlafzimmer, während Nia und Rio beide in ihren Betten liegen würden, weil am nächsten Tag die Schule und der Kindergarten auf sie warten würden.
Ein ganz normales Familienleben ...
Er lächelte mit geschlossenen Augen, als er sich vorstellte, wie schön und sorgenfrei sein Leben dann wäre. Vielleicht wäre auch mit Nia alles leichter, weil sie nie die schweren Zeiten der beiden miterlebt hätte.
Unter dem Umstand dachte er ebenso kurz darüber nach, ob nicht alles seine Schuld war. Wenn er sich nicht noch ein Kind gewünscht hätte, wäre all das auch nicht so geschehen ... doch er wollte Rio nicht bereuen. Er war mehr als gewollt.
Schuldbewusst weil dies kurz in seinen Gedanken rumgeflogen war, ging er ins Schlafzimmer und betrachtete die Bilder von Rio aus dem Krankenhaus.
Wie ähnlich er Nia darauf war. Wenn man die Fotos mit ihrer Geburt verglich, gab es kaum Unterschiede zu ihrer äußeren Erscheinung. Dag fragte sich, wie sein Kind mit Carla wohl aussehen würde. Wie viel Ähnlichkeit mit Nia und Rio vorhanden sein würde ... zeitgleich kam ihm in den Sinn, dass dies für Isabelle abermals ein Messerstich sein würde.
Er setzte sich aufs Bett und blickte nun auf das Hochzeitsbild an der Wand. Wie glücklich er an diesem Tag war. Wie glücklich beide waren.
Hätte ihm damals jemand gesagt, dass er nun mit einer anderen Frau zusammenleben würde, hätte er denjenigen für verrückt gehalten.
Dag legte sich zurück und roch an Isabelles Kissen, das so vertraut nach ihr duftete.
Der Geruch, ohne den er damals nicht mehr sein wollte.
War es falsch, dass er sich momentan nach ihr sehnte, obwohl er in einer neuen Beziehung war?
Er fühlte sich deswegen nicht schlecht. Schließlich war sie seine Frau. Er hatte nicht nur ein paar Wochen mit ihr verbracht. Es war gefühlt sein halbes Leben.
Konnte man ihm dann vorwerfen, wenn er an die schönen Zeiten mit ihr dachte?
Oder wenn er daran dachte, wie gut sich alles mit ihr angefühlt hatte, als alles noch in Ordnung bei ihnen war?!
Er legte sich auf den Rücken und schloss abermals die Augen, als er zeitgleich an Carla dachte.
Sie liebte ihn. Das bezweifelte er auch nicht. Doch würde er auch je in der Lage sein sie zu lieben? Würde er je imstande sein, generell eine andere Frau so zu lieben, wie Isabelle?
Oder konnte man zwei Personen auf dieselbe Art lieben und begehren?
Doch was würde es ihn nützen? Mit Isabelle war es vorbei. Sie hatte ihm mehr als deutlich gemacht, dass er unerwünscht war.
Es hieß immer, zusammen gegen den Rest der Welt ... doch nun ging jeder seinen eigenen Weg.
Allerdings waren die Gefühle noch da. Auch wenn er sie oft verdrängte, spürte er es in diesem Moment, wie sehr ihm seine Frau fehlte.
Wie sehr ihm sein altes Leben fehlte.
Es war nicht fair gegenüber Carla. Gar nichts, was er bisher getan hatte, war fair dem anderen gegenüber gewesen. Doch musste er deswegen immer weiter machen?! Sollte er nicht etwas dagegen tun, statt von Mal zu Mal weiterhin Menschen zu verletzen?!
Bei allem, was recht war, fiel ihm nichts ein, wie man die Liebe zu einer Person, mit der man so viel erlebt hatte, beenden konnte.
Jedoch war ihm auch klar, dass er Platz schaffen musste, um ein normales Leben führen zu können.
Er musste es sachlich sehen. Was nützte es, wenn er diese Gefühle für sie nicht verlieren wollte, Isabelle jedoch zeitgleich schon abgeschlossen hatte. Es brachte ihn lediglich dazu, in seinem Leben nicht voranzukommen. Wie ein Aufzug, der steckengeblieben ist ... mit ihm und Carla als Passagier.
Immer wieder blieb er stecken, statt die Fahrt nach oben zuzulassen.
Dag stand auf und verließ das Schlafzimmer.
Es war nicht gut, wenn er sich darin aufhielt. Er setzte sich zurück auf die Couch und holte sein Handy raus.
- Ich vermisse dich.
schrieb er Carla. Obwohl es eher Isabelle war, die er vermisste.
Jedoch war es auch irgendwie seine Freundin, nach der er Sehnsucht hatte, denn bei ihr vergaß er oft seine Frau zu vermissen.
Sie musste ihr Handy laut haben, da binnen Sekunden eine Nachricht auf seinem Display angezeigt wurde.
- Ich dich auch.❤ Ich wünschte, du wärst jetzt bei mir.
- Morgen läuft wieder alles anders.
Das meinte er auch so. Weil er vorhatte, dass dieser Lift nicht mehr bei jeder Etage anhielt.
Er war es satt, als unglücklicher Part zwischen Affäre und Beziehung zu switchen. Ihm war klar, dass es nur in kleinen Schritten vonstattengehen würde, aber er wusste auch, dass es sein musste, um voranzukommen im Leben.
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Reißen wir uns gegenseitig raus, oder reiten wir uns rein (Band 3)
FanficBAND 3 »Ich will keinen Streit mit dir. Ich will das wir uns beide wie erwachsene Menschen verhalten und ...« »Ich verhalte mich erwachsen oder siehst du, das ich gerade kindisch bin?« , sprach Carla. »Ich weiß, das zwischen uns mehr ist und ich geb...