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Sie blickte nach vorne.
Vor ihr erstreckte sich die weite Leere des Meeres, die sie jedoch heute Nacht nicht zu trösten vermochte. Dies konnte im Moment nur eine Person. Sie lockerte ihre Finger, die noch immer um das kalte Geländer geklammert waren. Ohne weiter nachzudenken stürmte sie aus ihrem Zimmer.
Echèque war sich ihrer Sache noch nie so sicher gewesen. Es gab für sie genau einen Ort, an dem sie jetzt sicher war. An dem sie jetzt sein musste.
Sie wartete nicht auf den Fahrstuhl, sondern rannte barfuß die Treppen hinunter, die gaffenden Gäste ignorierend, auf die Rezeption zu.
Sie fragte nach der Zimmernummer, die sie haben wollte und hoffte, dass er schon zurück sein würde. Echèque versuchte nicht über ihr Kleid zu stolpern, als sie die Treppen wieder hinaufrannte.
Endlich angekommen klopfte sie an der Tür und wartete. Ihre roten Wangen glühten. Ihr kam der Gedanke, ob sie vielleicht zu überstürzt gehandelt hatte. Ob er das zu aufdringlich finden würde. Doch ihre Angst war größer und sie sehnte sich nach seiner Nähe, wie nie zuvor.
Plötzlich ging die Tür auf. Er stand vor ihr, das gleiche Hemd, wie vor ein paar Stunden tragend. Nur dass es etwas dreckiger und zerknittert war. Die ersten Knöpfe waren geöffnet und seine Haare leicht durcheinander. Er ließ es sich kaum anmerken, doch sie erkannte trotzdem, wie überrascht er war.
Für einen winzig kleinen Augenblick wunderte sie sich über sein Aussehen, nahm dies jedoch nicht weiter zur Kenntnis.
Bei seinem Anblick fühlte sie sich geborgen und sicher. Echèque hatte vollkommen vergessen, was vor ein paar Stunden zwischen ihnen passiert war. Sie wollte ihm einfach ihr Herz ausschütten und ihren Kopf auf seine Brust legen, während er ihr zuhören würde. Sofort wurde ihr wieder bewusst, warum sie hier war und die Angst überkam sie wieder. Ein eiskalter Schauer, der ihr über den Rücken strich und ihr die Kehle zuschnürte.
Er öffnete gerade den Mund, um sie zu fragen was geschehen war, doch in diesem Moment brach sie in Tränen aus. Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten.
"Oh James", schluchzte sie und Bond nahm sie in seine starken Arme, in denen sie sich endlich geborgen fühlte.
Er führte sie in sein Zimmer, setzte sie auf das Sofa und strich ihr sanft über das Haar, während Echèque sich an ihn klammerte und sich wünschte, er würde sie nie wieder loslassen.

Für eine Zeit lang verharrten die beiden so. Echèque beruhigte es, seine Wärme direkt neben ihr zu spüren. Allein seine Anwesenheit, versetzte sie in eine etwas bessere Stimmung. Sie schloss die Augen und hörte auf seinen Herzschlag, der ganz ruhig und gleichmäßig ging.
Er hatte noch immer nichts dazu gesagt, warum sie so plötzlich, mitten in der Nacht, vollkommen aufgelöst bei ihm erschienen war, bis sie mit dem Schluchzen aufgehört hatte. Er flüsterte ihr ganz sanft zu:
"Wirst du mir sagen, was passiert ist?" Bond wischte Echèque eine Träne von der Wange und sie spürte, wie sie zu ihrem Missfallen, etwas errötete.
"Es tut mir leid", ihre Stimme klang ganz heiser, "dass ich dich so plötzlich gestört habe. Bitte verzeih mir"
"Das war nicht die Antwort auf meine Frage", gab er zurück. Echèque musste lächeln. Er ließ einfach nicht locker.
Sie wollte ihn nicht mit ihren Problemen belasten. Es ging ihn auch nicht wirklich etwas an, aber um ihre Meinung jetzt zu ändern, war es wohl zu spät. Sie starrte auf die Tischplatte.
"Ich habe eine Nachricht bekommen. Ein Zettel...er lag auf meinem Tisch. Jemand...muss bei mir eingebrochen sein" Der Gedanke beunruhigte sie wieder. Sie drehte sich zu ihm und beobachtete, wie sich sein Gesichtsausdruck verhärtete. Wie sich seine Miene in Stein verwandelte. Er sagte nichts. Er starrte einfach in die Ferne. Sie wüsste nur zu gerne was in seinem Kopf vorging. Und ob er bemerkte, dass ihrer zu bersten drohte.
Echèque wandte sich ab und überblickt zum ersten Mal das Zimmer, um ihn nicht weiter ansehen zu müssen.
Es war genauso eingerichtet, wie jedes andere Hotelzimmer auch. Cremefarbene Vorhänge, goldverzierter Nachttisch, großes Bett. Es war alles sehr edel, klassisch und dezent, doch es hatte trotzdem etwas Glamouröses und Modernes. Eine schöne Stilrichtung, wie Echèque fand.
Niemand sagte etwas. Kein Wort durchbrach die Mauer des Schweigens, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte. Sie wartete darauf, dass er wieder mit ihr sprach. Sie wollte seine angenehme Stimme noch einmal hören. Seine beruhigende Stimme. Das Einzige, was sie in diesem Moment beruhigen konnte.
Echèque war verzweifelt. Ihr Kopf war voller Fragen, auf die sie keine Antworten wusste. Würde sie diese jemals finden?
"Was soll ich nur tun?", flüsterte sie. Die Worte kamen einfach aus ihrem Mund, während ihr Blick abwesend das Zimmer schweifte. Sie schlang die Arme fester um seinen Körper und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es blieb still. Sie hatte von ihm keine Antwort erwartet, aber dennoch gehofft, seine Stimme zu hören. Was hätte er ihr auch antworten können?
Es war so lange her, seit sie das letzte Mal diese Angst gespürt hatte. Dieses Etwas, was sie von innen auffraß. Dieses unkontrollierbare Etwas, was sich in ihrem Kopf, in ihren Gedanken eingenistet hatte und nicht zu verschwinden vermochte. Dieses schonungslose Etwas, was sie mit seinen unsichtbaren Händen erwürgte und ihr die Luft abschnitt, sodass ihr schwarz vor Augen wurde. Und selbst wenn sie dann nichts mehr sehen konnte, wenn es nichts mehr gab was sie erblicken konnte, dieses Etwas war da. Und es ließ sie nicht mehr los.
Echèque löste sich langsam von ihm und setzte sich auf. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, bevor sie ihn genauer ansah. Bonds Blick war noch immer in die Ferne gerichtet. Er dachte über etwas nach und bemerkte nicht einmal, dass sie ihn vorsichtig musterte.
Sie hatte ihn noch nie so zugerichtet gesehen, zumindest nicht in den Tagen, seit sie ihn kannte. Er sah so aus, als wäre er in einen Kampf verwickelt gewesen, jedoch hatte merkwürdigerweise fast nur seine Kleidung Schaden genommen.
Daraus folgerte Echèque, dass er weniger der Angegriffene sein konnte, als der Angreifer...
Ein roter Fleck an seinem Hals fesselte ihre Aufmerksamkeit. Sie streckte unwillkürlich ihre Finger danach aus, doch er kam ihr zuvor und ließ sie zusammenzucken. Er sah sich, mit einer Selbstverständlichkeit das Blut an, das an seinen Fingern klebte, die für Echèque unbegreiflich war und ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Es war nicht sein Blut.
Sie sah ihre Mutmaßung als bestätigt.
Plötzlich erinnerte sie sich.
Als er, während ihres Abendessens, lange Zeit nach draußen geblickt hatte und dann so plötzlich gegangen war. Hatte es damit zu tun? Hatte er auf Jemanden gewartet? Hatte ihr Abendessen diesem Zweck gedient?
Diese Erkenntnis schmerzte. Echèque schlang ihre Arme um die Beine und ließ ihren Kopf auf die Knie sinken, das Gesicht von ihm. Sie hätte am liebsten wieder geweint, ihr war im Moment alles gleich, doch sie konnte nicht. Es waren keine Tränen mehr übrig.
Er empfindet nicht so wie du. Er empfindet nicht so wie du. Die Worte hallten unaufhörlich in ihrem Kopf wider. Es ist wieder passiert. Du hast es wieder getan. Einem Fremden vertraut, der nicht wie du empfindet.
"Echèque?", er strich ihr sanft über das Haar. Seine Stimme klang ganz ruhig. Ganz emotionslos.
Sie wollte sich nicht umdrehen. Ihm in die klaren blauen Augen sehen. Weil sie wusste, das sie dann nicht mehr wütend auf ihn sein konnte. Was für ein dummes Ding sie doch war. Warum war sie nur hergekommen?
Sie wäre schon alleine mit der Sache fertig geworden, redete sie sich ein. Doch sie wusste, dass das gelogen war.
Echèque wusste nur zu genau, weswegen sie hergekommen war.
Seine Hand wanderte von ihren Haaren an ihrem Arm entlang und umfasste sanft ihre Hand. Sie biss sich auf ihre zitternde Unterlippe.
"Echèque", sagte er jetzt sanfter, aber dennoch bestimmt mit seiner unglaublich verführerischen Stimme. Sie drehte sich trotzdem nicht zu ihm um.
Bond nahm mit der anderen Hand ihr Kinn und drehte ihr Gesicht in seine Richtung, sodass sie ihm nun in die Augen sehen musste. Er ließ sie nicht los.
"Ich habe noch etwas zu erledigen", flüsterte er, das Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Wenn er Echèques Gesicht nicht so festgehalten hätte, wäre es schon längst abgewandt. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Ertrug es fast nicht, wie intensiv er ihr in die Augen blickte. Es war hypnotisierend. Sie wagte es kaum zu atmen.
"Versprich mir, dass du das Hotel nicht verlassen wirst, bevor ich zurückkehre. Du kannst in der Zeit hier bleiben, wenn du dich hier sicherer fühlst oder du gehst wieder in dein Zimmer, wenn du das angenehmer findest. Nur verlasse nicht das Hotel"
Während des letzten Satzes hielt er ihre Hand fester. Er redete eindringlich auf sie ein. Sie versuchte den Kopf wegzudrehen, doch er ließ es nicht zu. "Verspricht mir das"
In seinen Augen lag eine gewisse Eile, die Echèque nicht zuordnen konnte. Sie konnte nicht mehr klar denken. Das konnte sie nie, wenn ihr seine Nähe den Kopf vernebelte. Und sie war schon verwirrt genug.
"Versprochen", hauchte sie. Erst jetzt bemerkte sie den Atem angehalten hatte. Bond sprang sofort auf und ging in das Schlafzimmer. Nach wenigen Minuten kam er zurück, ein marinefarbenes Poloshirt und eine schwarze Hose tragend. Seine Haare lagen wieder ordentlich. Er sah Echèque beim Herausgehen nicht an und verabschiedete sich nicht. Das Zuschlagen der Tür ließ sie zusammenzucken.
Dieses Déjà vu hätte ihr eine Warnung sein müssen.
Sie stolperte benommen und noch vollkommen erschöpft auf das Fenster zu. Ihr war kalt. Es war stockdunkel, doch man konnte unter den Laternen viele Casinobesucher erkennen, die sich in den Gärten amüsierten. Das Licht spiegelte sich im teuren Schmuck der Damen wider. Den Champagner in der einen Hand und die Zigarette in der anderen.
Vor wenigen Stunden hatte sie das auch getan. Sich amüsiert. Es kam ihr vor, als wäre das eine kleine Ewigkeit her. Die Lichter der weiter entfernten Städte blitzten ihr entgegen.
Unmittelbar vor dem Hauteingang des Hotels, gab es einen Parkplatz, auf den Bond zusteuerte. Er verzichtete darauf, ihm seinen Wagen vom Hotelpersonal Vorfahren zu lassen, und riss die Autotür auf. Seinen Gesichtsausdruck konnte Echèque nicht erkennen, doch sie konnte ihn sich gut vorstellen. Ernst. Hochkonzentriert. Er hatte sein Pokerface aufgesetzt und ließ niemanden mehr an sich heran.
Der Motor brummte auf und James Bond raste in die Dunkelheit hinaus.

As Time Goes By - James Bond 007Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt