Alte Liebe rostet nicht

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„Was ist aus deiner heiligen Regel geworden, nach den Aufzeichnungen kein Fleisch mehr zu essen?"
„Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Das solltest du am besten wissen, Klausi."
Da hatte er nicht ganz unrecht. Das hier war eine besondere Situation. Mein Herz machte klar, wie besonders das hier war, denn es wollte einfach nicht aufhören, aus dem Takt zu geraten. Wie ich überhaupt einen Bissen von der Currywurst runter bekam, fragen Sie mich das nicht. Wenn ich zu lange darüber nachdenke, kotz ich vermutlich die ganze Terrasse voll.
Es war ein milder Märzabend. Viel zu mild für diese Jahreszeit, aber natürlich immer noch viel zu kalt für mich. Also hatte ich mir beim Verlassen des Zimmers noch eine Sweatshirtjacke geschnappt, was von Joko nur mit einem Grinsen kommentiert worden war. Spinner.
Jetzt saßen wir da. Mit Currywurst und Bier und einer angenehmen Stille. Wir mussten nicht immer reden. Wir konnten auch ziemlich gut miteinander schweigen. Die Nähe des anderen genießen. Vereinzelt Blicke austauschen. Es war schön, aber mein Herz spielte verrückt. Ich wollte ihn in diesem Moment so sehr, dass es mir schwer fiel weiter zu essen. Die Gefühle hatten mein Herz im Griff und machten das Atmen schwer.
Ich sah ihn an. Wie er da vom wenigen Licht der Solarlampen angeleuchtet wurde, welches sich in seinen Brillengläsern spiegelte. Ich musste meinen Blick abwenden, bevor ich die Beherrschung verlor. Wie peinlich war ich eigentlich? Schnell schob ich mir ein Stück von der Currywurst in den Mund.
Ich sah mich um. Er hatte diesen kleinen Garten mit viel Liebe gestaltet. Eigentlich hatten wir diesen kleinen Garten gestaltet. Das wurde mir in diesem Moment wieder sehr deutlich bewusst. Er hatte dieses Haus vielleicht allein gekauft, aber in viele Entscheidungen hatte er mich einbezogen. Hatte ich nie hinterfragt. Warum auch? Wir waren Freunde. Es war eine Art wieder aufeinander zuzugehen und zum normalen Business zurückzukehren. Aber war das wirklich so normal?
I don't care ehrlich gesagt. Ich hatte es nie infrage gestellt. Weil es mir gefiel. Weil es mir diesen besonderen Kick bescherte, dass er ausgerechnet meine Meinung hören wollte. So hatte ich schon den ein oder anderen Nachmittag in diesem Garten verbracht. Unkraut gepflückt. Blumen gepflanzt. Im Dreck gewühlt. Ein guter Ausgleich zum stressigen Alltag.
„Der Lavendel riecht so krass. Wenn ich nachts mit offenem Fenster schlaf, kommt der Duft bis ans Bett."
Überrascht wanderte mein Blick wieder zu ihm. Er hatte mich wohl genauso beobachtet wie ich ihn.
„Ich sollte den bald zurück schneiden. Spätestens nächste Woche. Sonst weiß ich nicht, wann ich die Zeit dafür hab", sagte ich nachdenklich und klopfte mir mit der Gabel gegen die Unterlippe. Ich war seltener in München als Joko in Berlin. Da entstand nur ein kleines Zeitfenster, wann ich Zeit für den Garten fand.
„Du weißt, du musst nicht warten, bis du einen Termin hier hast. Bist jederzeit willkommen."
Ich stellte die leere Schale auf dem Tisch ab und nahm einen großen Schluck vom Bier.
„Mag sein, aber ich will dir nicht zu viel auf den Sack gehen. Brauchst dein Haus ja auch mal für dich."
„Unsinn. Wofür? Die meiste Zeit ist es hier ganz schön ruhig. Ich freu mich, wenn du da bist."
„Du bist Single. Da ist es wohl nicht so förderlich neue Leute kennen zu lernen, wenn der Ex im Haus rum läuft", nuschelte ich leise in meine Bierflasche, ehe ich noch einen großen Schluck nahm. Ich hätte nicht aus der Kirche austreten sollen, denn ich dankte gerade dem lieben Gott, dass es dunkel war. Ich spürte meine Ohren heiß werden. Was redete ich da für einen Stuss? Ich sollte über ein Alkoholverbot in Jokos Nähe nachdenken. Ich wollte nichts über sein Liebesleben erfahren.
„Klausi!! Ernsthaft? Was hast du für eine blühende Fantasie? Ich schmeiß doch keine Orgien, wenn ich allein bin."
Ich zuckte nur verlegen mit den Schultern.
„Vor zehn Jahren vielleicht, aber heute doch nicht mehr. Ich bin 41."
„Aber auch nur ein Mann."
„Um was geht es hier eigentlich?", fragte Joko lachend und stellte seine Bierflasche auf den Tisch. „Ist das deine subtile Art mich zu fragen, ob es da jemanden gibt?"
Erschießen Sie mich bitte! Warum hatte ich mein Maul nicht halten können? Wie dumm war ich eigentlich? Ich wollte es nicht hören. Ich wollte nicht die Bestätigung bekommen.
„NEIN, das ist ... Ich wollte nicht ... Ich meine, du kannst dich ... mit wem auch immer du willst. Bist mir ja keine Rechenschaft schuldig. Aber ich ... kenn dich eben. An Einladungen kann es ... doch nicht mangeln."
„Und da sollte ich einfach zuschlagen, meinst du?"
Mir entging nicht der belustigte Unterton in seiner Stimme, aber ich wollte gerade im Erdboden versinken. Wie hatte ich nur zulassen können, dass dieses Thema aufkam? Ja, war ich denn vollkommen bescheuert? Meine Mutter hatte recht. Irgendwas war bei mir gewaltig schief gelaufen.
„Du bist heute wirklich komisch drauf. Da muss ich mich ja fragen, was du so in Berlin treibst."
„Nichts. Absolut gar nichts", sagte ich etwas zu schnell und wenn Joko mich nicht so gut kennen würde, wäre es nicht mal aufgefallen. So wurde sein Blick einfach nur misstrauisch. Er sah mich an und am liebsten wäre ich vom Stuhl aufgesprungen. Er schaffte es jedes Mal mit diesem Blick, mit diesen viel zu sanften, braunen Augen tief in mein Inneres zu blicken. Hatte er immer schon gekonnt und das war gerade nicht besonders hilfreich.
„So so. Gar nichts also. Das kauf ich dir irgendwie nicht ab. Du bist die meiste Zeit in Berlin. Eine der partyreichsten Städte der Welt. Da wirste ja wohl nicht immer um 9 Uhr im Bett liegen."
„Meistens", sagte ich leise und drehte die Bierflasche in meinen Händen. Ich nahm noch einen großen Schluck. Wenn wir dieses Gespräch schon führten, dann wollte ich mich morgen wenigstens nicht mehr daran erinnern.
„Dein Ernst?"
„Joko!", sagte ich nun ein wenig genervt. „Wie lange kennen wir uns jetzt? War ich jemals der Partygänger?"
„Nein, aber ... how? Ich meine, du kannst doch nicht nur arbeiten. Das ist verrückt."
Wieder zuckte ich nur mit den Schultern. Eine weitere Antwort war wohl nicht nötig.
Die Geräusche der Nacht drängten sich in den Vordergrund, als keiner von uns etwas sagte. Irgendwoher kam das leise Gezirpe der Grillen. Vorbei fahrende Autos in der Ferne. Ein Nachbarshund bellte, um sein Revier zu verteidigen. Geräusche einer lebendigen Stadt bei Nacht.
„Hast du seit unserer Trennung jemanden kennengelernt?"
Da war sie. Die Frage vor der ich Angst hatte. Jetzt stand sie im Raum und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie viel würde ich mit meiner Antwort preisgeben? Warum interessierte ihn das plötzlich? Würde es ihm was ausmachen, wenn es so wäre? Ich wusste nicht, was mir lieber war, aber ich war ehrlich zu ihm. Ich konnte ihn in dieser Sache nicht anlügen.
„Nein."
Ob die Antwort ihn überraschte, konnte ich nicht sagen, weil ich mich weigerte in seine Richtung zu sehen. Ich wollte es gar nicht wissen, aber anlügen konnte ich ihn wirklich nicht. Halten Sie mich für verrückt, aber es ging nicht. Hätte ohnehin keinen Sinn gehabt, weil er mich durchschaut hätte.
„Warum nicht?"
„Verdammt Joko! Hör auf mir solche Fragen zu stellen! Was soll das auf einmal?"
Ich knallte die Flasche auf den Tisch und setzte mich auf. Genug war genug. Mit dem Ausbruch hatte Joko wohl nicht gerechnet, denn er sah mich erschrocken an. Ob meiner Reaktion oder ob ihm gerade bewusst geworden war, was er mich da gefragt hatte, war mir nicht klar. Aber irgendwas lief hier gerade aus dem Ruder.
„Wir wollten nie darüber reden. Das ... das geht nicht."
„Ich weiß. Sorry. Ich ... du hast mit dem Thema mehr oder weniger angefangen und ich dachte ... es war nicht nur Gerede, weißt du? Ich vermisse dich wirklich. Es ist ... manchmal vermisse ich die alten Zeiten. Nur wir beide. Da fällt es mir schwer, mir dich mit jemand anderem vorzustellen. Das ... das geht einfach nicht. Und dann fühl ich mich schlecht, weil ich auch nicht will, dass du allein bist. Und es dir schlecht geht. Das ist das Letzte, was ich will."
Waren die letzten 24 Stunden wirklich passiert? Bildete ich mir das hier alles ein? Ich weiß nicht, was mir lieber war. Realität oder Traum? In einem Traum konnte alles passieren, aber wenn man wach wurde, wurde man unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. In der Realität wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. Wie ich nach diesen Worten weiter machen sollte. War damit mein Verdacht vom Tisch? Hatte mein Kopf mir einfach nur einen Streich gespielt? Ich konnte nur hoffen.
Mein Mund stand sprachlos offen. Ich sah wahrscheinlich nicht sehr intelligent aus. Bitte jetzt keine Scherze auf meine Kosten! Damit konnte ich gerade nicht umgehen.
Joko wandte sich aufgrund meines Blickes ein wenig verlegen auf seinem Stuhl. Als hätte auch er nun zu viel gesagt. Aber trug Joko sein Herz nicht immer auf der Zunge?
„Kannst du bitte was sagen? Sonst fühl ich mich richtig mies."
Gefühle. So viele Gefühle brannten in meinem Körper und überfluteten mein Herz. Schienen von ihm auf mich übertragen worden zu sein. Ich wollte ihn berühren. Ich wollte ihn umarmen. Ich wollte ihn küssen. Alles in mir schrie gerade nach ihm.
Doch anstatt diesem drängendem Impuls nachzugeben, streckte ich stumm meinen Arm aus und hielt ihm die Hand hin. Joko zögerte kurz. Sah auf meine Hand. Sah in meine Augen. Sah auf meine Hand. Und nahm sie. Fast zaghaft berührten sich unsere Hände. Vorsichtig strichen seine Finger über meine. Verursachten mir eine Gänsehaut. Ich genoss das Gefühl, ehe ich langsam meine Hand drehte und unsere Finger miteinander verschränkte.
Ich sah ihn an. Den Mann, der der wichtigste Mensch in meinem Leben war. Der Mann, der mich wie niemand sonst kannte. Der Mann, der gefühlt schon immer eine Rolle in meinem Leben gespielt hatte. Der Mann, ohne den ich mir dieses Leben gar nicht mehr vorstellen konnte.
„Ich finde, du hast das schon ganz gut beschrieben, obwohl ich weniger nobel bin als du. Aber das sollte dich ja nicht überraschen."
„Nein, das stimmt", antwortete Joko amüsiert und sah schon nicht mehr ganz so angespannt aus.
Seine Hand fühlte sich warm an. Vertraut. Und bis zu einem gewissen Grad fühlte ich mich endlich wieder komplett. Früher hätte ich ihn zu mir rüber gezogen, ihn geküsst und das hier wäre rasch ins nicht jugendfreie abgerutscht. Wir hätten uns auf die sauteuren Gartenmöbel gelegt, die der Herr unbedingt haben wollte und die Nachbarn geweckt. Dieses Bild, welches mir so viel besser gefiel, sah ich so deutlich vor mir, dass ein heftiges Ziehen durch meinen Unterleib fuhr. Ich war am Arsch.

Postemotionale WirklichkeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt