Freiheit

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Für eine lange Zeit sagte keiner der beiden irgendetwas.

Die Stille schien sich wie dichter, undurchdringbarer Nebel zwischen ihnen beiden auszubreiten.

Dennoch war sie nicht bedrückend, sondern leicht und milde.

Sie versprach Aufbruch, Veränderung, doch vor allem Hoffnung.

Jones gelbliche Augen wanderten über das Gesicht der jungen Frau und beendeten ihre Reise, an jener Stelle, in die er zuvor seine Fänge vergraben hatte.

Wo nun ihr rubinfarbenes Blut in der Düsternis schimmerte.

Er war mehr als gewillt ein weiteres mal zu zubeißen und sie zu zeichnen, aber er wusste, dass es ihm nicht helfen würde, um das zu bekommen, was er wollte.

Für den Anfang müsste es genügen, dass sie an seiner Seite blieb.

Also richtete er sich langsam auf und suchte in seinem spärlichen zu Hause nach irgendwelchen Lumpen mit denen sie ihre Blöße bedecken konnte.

Jede weitere Sekunde, in der er mit ihrem unbekleideten Anblick konfrontiert war, nagte das Verlangen immer stärker an seiner Selbstbeherrschung; die bei ihm, seit jeher, kaum der Rede wert war.

Was er wollte, das nahm er sich, ohne Rücksicht auf Verluste.

Doch nun war ihm dasnicht mehr genug.

Er wollte mehr.

Sehr viel mehr...

,,Hier'',knurrter sanft, als er ihr ein altes zerschlissenes Hemd reichte, das die junge Frau dankend annahm.

Es war viel zu groß für sie und bedeckte beinahe ihren gesamten zierlichen Körper, dennoch lächelte sie das Krokodil auf einer Weise an, als hätte er ihr soeben das größte Geschenk des Jahrtausends gemacht.

,,Wissen Sie was wir jetzt machen werden, Mr. Jones'', sagte sie zu ihm, ,,wir gehen jetzt etwas essen. Ich wette Sie sind hungrig. Ich könnte sowieso fast den ganzen Tag etwas essen und die Kantine hat rund um die Uhr geöffnet. Außerdem hat heute Abend Simon Nachtschicht. Er ist immer sehr zuvorkommend und wird mit Sicherheit ein ordentliches Stück Fleisch für Sie finden.''

Alice ahnte bereits, dass Killer Croc protestieren wollte, also nahm sie ihn einfach bei der Hand und ließ, mit ihm an seiner Seite, sein jahrelanges Verließ hinter sich.

Simon, der Mann von dem Alice gesprochen hatte, war ein untersetzter kleiner Mann von ungefähr fünfzig Jahren. An seiner linken Hand, fehlte ihm der Zeigefinger, an seiner rechten, der Mittelfinger. Der Grund dafür, war ein Jagdunfall aus seiner Jugend.

Dennoch verrichtete Simon seine Arbeit gewissenhaft, zügig und mit einer Gelassenheit, die Alice als überaus angenehm empfand. Am allerliebsten ließ sie sich von ihm bedienen. Er war einer der wenigen Menschen in der Anstalt, die ihr nicht mit Mitleid begegneten.

Er war immer sehr nett und freundlich, wusste jedoch die Grenzen der Höflichkeit zu bewahren.

Als Alice samt Killer Croc, den weitläufigen Essraum der Mitarbeiter betrat, gab der ältere Mann nicht einen Mucks von sich. Warum das so war, erfuhr Waylon umgehend von seiner Therapeutin.

,,Simon ist stumm'', erklärte sie. ,,Er war früher einmal Musiklehrer und hat Gesangstunden gegeben. Er war überaus talentiert und erfolgreich, aber eines Nachts auf dem Nachhauseweg, wurde er überfallen. Die Angreifer schnitten ihm die Zunge heraus und das war es dann, mit der weiteren beruflichen Laufbahn.''

Waylon schluckte trocken.

Jemanden die Zunge herauszuschneiden, erschien selbst ihm, ein klein wenig zu brutal zu sein.

DämmerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt