3 - Ein Traum

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Eine einsame, nackte Glühbirne baumelte von der Decke, der Fußboden bestand aus alten Dielenbrettern und die Wände des Flurs waren schmucklos und schmutzigweiß gestrichen, mehrere schlichte Holztüren gingen von dem Flur ab. In den Ecken und Winkeln der niedrigen Decke hingen Spinnweben und der Boden aus blanken, alten Dielen war staubbedeckt. 

Samantha ging im Traum den Gang entlang. Sie war barfuß. Ihr langes weißes Nachthemd schleifte auf dem staubigen Boden. Der schmale Flur kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher sie ihn kannte. Immerhin verriet ihr die Glühbirne, dass sie in der Zukunft war. Die Glühbirne und ein Lichtschein, der aus einer offenen Tür am Ende des Flurs hervordrang. Es war das grellweiße Licht einer modernen Taschenlampe. Zielstrebig, und weil sie nicht wusste, was sie sonst hätte tun sollen und sie neugierig war, ging Samantha auf das Licht zu. Am Ende des schmalen Ganges, unmittelbar neben der Tür mit dem Licht befand sich ein kleines Fenster und sie spähte hinaus in die Nacht. Jetzt erkannte sie, wo sie war. Dies war Ferywood Manor und sie befand sich im Dachgeschoss mit den schmalen Dachkammern, in denen die Dienstboten untergebracht waren. Zumindest in ihrer Zeit. Jetzt, in der Zukunft, war es ein Dachboden, der selten genutzt wurde, was die Staubschicht und die Spinnweben verrieten. Unter dem Fenster konnte sie im Licht, dass durch die Fenster im Erdgeschoss nach draußen auf die Auffahrt fiel, das große Blumenbeet und die moderne Skulptur erkennen, die die Veltons des 21. Jahrhunderts dort hatten aufstellen lassen.

Ein selbstironisches Lächeln huschte bei der Erkenntnis, wie wenig sie sich offenbar in ihrem eigenen Haus auskannte, über ihr Gesicht. Allerdings war dies in ihrer Zeit das Reich der Dienstboten und sie betrat es praktisch nie und jetzt war es nicht mehr als ein staubiger alter Dachboden. Die Zeiten hatten sich in vielerlei Hinsicht geändert. Niemand wusste das besser als sie selbst.

Als sie vor der Tür anlangte lugte sie vorsichtig in das Zimmer, aus dem das Licht der Taschenlampe fiel und ein längliches Muster auf die Dielen malte. 

Samantha hatte keine Ahnung, mit wem oder was sie dort gerechnet hatte, aber als sie die Person, die zwischen alten Kartons, Kisten und einem Schrank aus dunklem Eichenholz, der viel zu groß für das kleine Zimmer war, auf dem Boden hockte, erkannte, stieß sie einen überraschten Laut aus.

Dort saß Robin, mit dem Rücken zu ihr, den Kopf tief über eine Holzkiste voller Papiere und Bücher gebeugt. Sie erkannte ihn an seinem schmalen Rücken und dem roten, welligen Haar, das sich im Nacken über dem Kragen eines hellblau gestreiften Hemdes kräuselte. Die Hemdärmel hatte er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt und er nahm einen Stapel Papiere nach dem anderen aus der Kiste und blätterte sie im Schein der Taschenlampe durch. Offensichtich suchte er nach irgendetwas.

Er hatte Samanthas Laut der Überraschung nicht gehört und sie wunderte sich nicht darüber, denn sie wusste, dass er sie weder sehen noch hören konnte. 

Es war also einer dieser Träume. 

Ein Traum, in dem ein Teil von ihr, ein Teil ihrer Seele, die Grenzen von Zeit und Raum überschritten hatte und jetzt hier im Ferywood Manor der Zukunft war. Der Zeit, in der sie aufgewachsen war, nachdem sie als Kind durch die sagenumwobenen Feensteine im Wald gestolpert und zweihundert Jahre durch die Zeit gereist war. Die Mächte von Ferywood und ein altes Erbe waren für diese Fähigkeiten, über die sie jedoch praktisch keine Kontrolle hatte, verantwortlich. Sie besaß eine alte Seele, die sie mit den Mächten im Wald von Ferywood verband, ob sie wollte oder nicht. Es hieß es seien Feenmächte, die im Wald von Ferywood herrschten, aber sie hatte nie eine Fee zu Gesicht bekommen, sondern nur geheimnisvolle Stimmen im Wald gehört und die Kraft der uralten Mächte zu spüren bekommen.

Samanthas Gefühle den Feensteinen und den Mächten im Wald gegenüber waren zwiegespalten, denn die Mächte machten meistens was sie wollten, aber sie hatten sie auch beschützt und sowohl ihr als auch Richard, der ebenfalls eine alte Seele besaß, mehr als einmal das Leben gerettet. Sie hatte gelernt, den Mächten zu vertrauen, wenn auch widerwillig und sie fürchtete sich nicht vor ihnen.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt