30 - Annalena

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Ein durchdringendes Piepen erreichte Annalena. Es wurde immer aufdringlicher. Warum ließ es Annalena nicht in Ruhe? Sie wollte doch nur noch einen Moment weiter schlafen. War das zu viel verlangt? Aber das Piepen hörte nicht auf und es störte sie so sehr, dass sie mit viel Mühe ihre Augen aufschlug. Mit einem Mal war es unfassbar hell und Annalena musste stark blinzeln, damit sie überhaupt etwas sehen konnte. Und alles, was sie dann sah, sagte ihr eines. Krankenhaus. Sie war im Krankenhaus. Und mit einem Mal kam alles wieder zurück.

Die Nacht. Das Wetter. Die Kälte. Ihre Angst. Annalena spürte wieder all die Emotionen, die sie die gesamte letzte Nacht empfunden hatte. Es war schrecklich. Sie hatte wirklich Angst gehabt, dass sie es nicht schaffen würde. Dass sie niemand finden würde, da wo sie war. Dieses Gefühl, diese Angst, hatte sie noch nie zuvor verspürt. Und sie hoffte, dass sie so etwas nie wieder erleben müsste. Aber jetzt schien es vorbei zu sein. Wenn sie nicht träumte. Aber es war offenbar nicht so, denn es öffnete sich die Tür und ein Arzt kam herein. Den Mann hatte sie noch nie gesehen.

"Ah, sie sind wach. Das ist sehr gut. Ich bin ihr behandelnder Arzt und habe mich die letzten Stunden schon um sie gekümmert. Wie fühlen sie sich? Wissen sie, was passiert ist?"

Annalena fiel es schwer, zu sprechen. Es war alles so anstrengend. Wieso musste das bloß so sein?! Sie erzählte, dass es ganz in Ordnung war, sie sich allerdings nicht erinnern konnte, wie sie ins Krankenhaus gekommen war. Oder wer sie überhaupt gefunden hatte. Irgendwann musste sie einfach weg gewesen sein. Der Arzt erklärte ihr, dass die Polizei sie wohl gefunden hatte, nachdem das Wetter etwas besser geworden war. Und jetzt müsste sie sich ausruhen, denn ihr Körper hatte einiges mitgemacht. Das war ihr klar.

"Davon abgesehen können sie dann auch ab jetzt Besuch empfangen. Ihr Mann und ich glaube ein Kollege warten schon seit längerem draußen auf dem Flur, soll ich sie rein schicken?", fragte der Arzt sie noch abschließend. Annalena rutschte ihr Herz in die Hose. Daniel war da. Er hatte sich bestimmt unglaubliche Sorgen gemacht. So war er einfach. Aber eigentlich gab es gerade nur einen Menschen, den Annalena sehen wollte. Linda. Ihre Gedanken waren den ganzen letzten Abend bei ihr gewesen. Eigentlich war sie ja auch nur nach draußen gegangen, weil sie über sie beide nachdenken wollte. Aber das war dann nicht sonderlich gut geendet. Aber eins war ihr klar geworden. Und wirklich eindrücklich. Annalena wollte mit Daniel abschließen. Sie wollte bei Linda sein. Ihre Zeit mit ihr verbringen. Ihr nahe sein. Sie küssen. Mit ihr zusammen sein. Diese Gedanken konnte sie endlich fassen, als sie nicht mehr wusste, ob man sie finden würde. Ob sie Linda nochmal sehen würde. Da wurde es ihr so bewusst. Sie wollte im Hier und Jetzt leben. Wer weiß, was am nächsten Tag passieren würde? Und warum sich dann nicht einfach auf Linda, auf sie beide, einlassen? Und jetzt wollte sie Linda endlich sehen. Erst dann wäre sie sich sicher, dass das alles doch kein Traum war.

Trotzdem bat Annalena zunächst Daniel herein. Wenn er schon hier war, dann musste sie auch mit ihm reden. Außerdem war er ihr natürlich nicht gleichgültig. Natürlich nicht. Dafür waren sie nicht lange genug getrennt. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür erneut und ein aufgelöster Daniel kam herein. Annalena hätte auf Kilometern Entfernung erkannt, wie fertig er war.

"Annalena, Oh Gott, wie geht's dir? Was machst du nur? Ich habe mir solche Sorgen gemacht!", brachte er aufgebracht heraus und ließ sich auf den Stuhl neben Annalenas Bett fallen.

"Es ist alles in Ordnung. Das ist einfach extrem blöd gelaufen. Aber jetzt ist alles wieder gut. Danke, dass du hier bist."

"Natürlich. Ich hatte solche Angst, als Robert mir Bescheid gesagt hat. Ich dachte, dass ich dich jetzt für immer verloren habe. Ich wusste nicht, was ich den Mädels sagen sollte. Bitte, mach sowas nie wieder.", erklärte er niedergeschlagen und nahm Annalenas Hand. Sie ließ es geschehen, denn Daniel ging es immer noch sehr nahe. Das wusste sie.

"Es tut mir wirklich Leid. Ich wollte das natürlich nicht. Aber ich musste einfach an die frische Luft und dann hat mich das Wetter überrascht. Aber Daniel, ich möchte dich um etwas bitten. Und bitte sei mir nicht böse. Ich weiß, es ist alles nicht einfach."

Verwirrt nickte Daniel und schaute sie an.

"Ich habe mich in jemand anderen verliebt. Ich weiß, dass mit uns ist vorbei. Aber du bist mir noch so wichtig. Und ich kann nicht mit unserer Beziehung abschließen, wenn du mir nicht sagst, dass es für dich okay ist. Aber ich habe letzte Nacht gemerkt, dass ich nicht immer auf alles warten kann. Vielleicht ist Morgen alles vorbei. Wer weiß es schon. Deshalb möchte ich dich darum bitten."

Daniel schien ziemlich verwirrt und so, als ob er nicht wüsste, was er sagen soll. Das war auch wirklich viel, was Annalena ihm da gerade gesagt hat. Immerhin war er doch selber noch nicht über sie hinweg. Aber ihr im Weg stehen, damit sie wieder glücklich werden könnte? Das war auch nicht seine Art.

"Das ist für mich gerade wirklich nicht einfach. Aber ich will dir nicht im Weg stehen. Annalena, ich wünschte, es wäre zwischen uns alles wieder gut. Aber ich weiß, dass es niemals wieder so wird. Und das ist wahrscheinlich auch in Ordnung so. Also sei glücklich, ich werde es auch irgendwann wieder sein."

Annalena musste schlucken. Sie merkte, dass es Daniel alles andere als leicht fiel. Dass er es eigentlich nochmal mit ihnen versuchen wollte. Aber trotzdem wollte er das Beste für sie. Sie nahm ihn in den Arm und war selbst jetzt froh darüber, dass sie diesen Mann geheiratet hatte.

"Danke, Daniel. Für Alles. Aber kannst du mir sagen, wer von den anderen noch hier ist?", fragte sie. Denn der Arzt hatte ja etwas von einem Kollegen erzählt. Robert? Er hatte offenbar ja auch Daniel Bescheid gesagt.

"Natürlich. Robert ist selbstverständlich da und aus welchem Grund auch immer Linda Teuteberg. So ganz verstanden habe ich es nicht, aber es wird schon seine Gründe haben. Soll ich dir die beiden rein schicken?"

"Könntest du Robert sagen, dass ich lieber später mit ihm sprechen würde? Und Linda einfach hierher schicken?".

Daniel quittierte es mit einem irritierten Blick, nickte dann jedoch und kündigte noch an, dass er den Tag auf jeden Fall dort bleiben würde. Und dann war er aus dem Zimmer verschwunden. Mit einem Mal wurde Annalena ganz nervös. Und sie fühlte sich gar nicht mehr so erschöpft. Gleich würde sie Linda sehen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diese Spannung und Vorfreude. Aber gleichzeitig hatte sie auch ein mulmiges Gefühl. Was, wenn Linda nichts mehr von ihr wollte? Wenn sie gemerkt hatte, dass sie das alles nicht wollte? Dass Annalena nicht die Frau war, mit der sie zusammen sein wollte? Mit einem Mal hatte Annalena Angst, dass Linda es sich anders überlegt hatte. Und sie wusste nicht, ob sie bereit war, das zu hören. Aber dann war es schon zu spät. Die Tür öffnete sich langsam und Linda trat in den Raum.

Und plötzlich waren die Zweifel so schnell weg, wie sie gekommen waren. Annalena merkte, wie froh sie war, Linda endlich zu sehen. Und ihre Gefühle übermannten sie so sehr, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.

"Linda, es tut mir so Leid", gab sie mit zitternder Stimme von sich. Die Liberale setzte sich auf Annalenas Bett und zog sie einfach wortlos in eine Umarmung. So gut es eben in diesem Krankenhausbett ging.

"Ich bin so froh, dich zu sehen, Annalena. Ich habe mir unfassbare Sorgen gemacht. Ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Ich dachte, dass es jetzt vorbei..."

"Sag sowas nicht. Jetzt bin ich ja wieder da. Und mir geht es ganz gut. Und jetzt, wo du da bist, ist jeglicher Schmerz vergessen."

Annalena legte ihre Lippen sanft auf die ihrer Kollegin und spürte, wie sehr sie Linda in den letzten Stunden vermisst hatte. Linda strich ihr leicht die Tränen vom Gesicht, allerdings ohne sich von Annalena zu trennen. Für Annalena war es einfach unglaublich. Sie fragte sich, ob sie nicht doch träumte. Es war alles so surreal. Und Linda war selber so sprachlos von diesem Moment.

"Linda, ich möchte nicht, dass ich noch einmal darüber nachdenken muss, ob das mit uns endet. Ich will mit dir zusammen sein. Ich habe mich in dieser kurzen Zeit in dich verliebt. Und ich kann und will es nicht leugnen. Also... willst du mit mir zusammen sein?", fragte Annalena nervös und einer Euphorie, beflügelt durch ihren Kuss. In Lindas Gesicht bildete sich nur ein riesiges Lächeln.

Annalenas Weisheit: Im Hier und Jetzt leben, solche Weisheiten sind doch immer hilfreich ;)

Ich gehe einfach mal davon aus, dass euch die Entwicklung gefällt, oder?

Danke fürs Lesen und bis zum nächsten Kapitel!

Fahrt ins UngewisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt