Kapitel 2

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Es ging alles viel zu schnell. Am Wochenende versuchte ich verzweifelt, irgendetwas über diesen Hof herauszufinden, aber außer einer etwas nach 2008 wirkenden Website, fand ich absolut nichts. Keine Onlinepräsenz. Vielleicht hatten die da auch einfach kein Internet.

Gewundert hätte es mich nicht.

Am Montag und Dienstag räumte ich meinen Spind in der Schule aus und verabschiedete mich von Katharina. Sie war das, was ich vielleicht noch am ehesten als Freundin bezeichnet hätte. Vielmehr war es aber eine Symbiose. Sie deckte für mich, wenn ich blau machte und ich für sie. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie war nur aus Mitleid mit mir befreundet. Die letzten Wochen des Lockdowns hatten unserer „Freundschaft" auch nicht gerade gut getan. Aber jetzt würde ich dieses stinkende, versiffte Schulgebäude zumindest für die nächsten drei Monate nicht mehr sehen müssen. Blieb nur zu hoffen, dass es in Südtirol nicht noch schlimmer werden würde...

Ein merkwürdiges Gefühl überkam mich, als ich am Dienstagabend meine Klamotten in eine grüne Klappkiste packte. Ganz hinten im Schrank fand ich meine alte Reithose. Meine ganz Alte, die ich damals zum Geburtstag bekommen hatte, als Mama mir ein eigenes Pferd versprochen hatte. Nein, sie verdiente nicht gerade schlecht, aber sein Pferd war auch für sie, vor allem als alleinerziehende Mutter, eine Investition gewesen. Vor allem ein junges Springpferd, wie Dancer es gewesen war.

Ich spürte, wie mir beim Gedanken an ihn wieder Tränen in die Augen stiegen. Schnell stopfte ich die Hose zurück an ihren Platz.

Vierzehn Stunden später zogen Felder, Wälder und Dörfer an uns vorbei. Meine Mutter hatte extra ein Auto gemietet, um mich selber nach Südtirol bringen zu können. Vielleicht hatte sie Angst, dass ich mich in einen anderen Zug setzen und nach Berlin fahren könnte.

„Was hast du eigentlich gegen Ponys?" Meine Mutter überholte einen LKW, der auf der rechten Fahrbahnseite vor sich hin zuckelte.

Ich seufzte. „Ich hab nichts gegen Ponys. Ich hab was gegen das Konzept. Und gegen Berge."

„Was ist denn so schlimm an Bergen?" Sie lachte, aber es klang doch etwas gezwungen.

„Ich hasse Berge."

Am Mittag wurde die Landschaft hügeliger. Die ersten Berge tauchten in der Ferne auf. Mir war schlecht und meine Spotify-Playlist hatte die Abgründe meines Musikgeschmacks erreicht. Die Sonne brannte auf den schwarzen Lack des Autos. Ich musste das Asthmaspray deutlich öfter benutzen, als es mir lieb war.

Gegen Nachmittag schraubte sich das Auto schließlich langsam Serpentinen nach oben. Ich gab es nicht gerne zu, aber die Landschaft war wirklich schön. Wälder überzogen die Hänge, an die sich kleine Höfe schmiegten. Dörfer mit bunten Dächern waren über das Tal verteilt. Apfelplantagen zogen sich in langen Reihen über manche Felder. Eine gefühlte Ewigkeit schraubten wir uns schließlich die Serpentinen eines Berghanges hoch. Ich hatte das Gefühl, das meine Mutter noch nie in ihrem Leben einen Berg nach oben gefahren war. Hätte dieses Auto einen nullten Gang gehabt, dann hätten wir ihn jetzt eindeutig gebraucht.

Zum Halten kamen wir schließlich, weil eine Ziege direkt vor das Auto lief. Nur ein heftiger Tritt auf die Bremse bewahrte sie davor, als Ziegensteak zu enden.

Das Haus, vor dem wir zum Halten gekommen waren, wirkte merkwürdig. Irritiert stieg ich aus. Sofort musste ich feststellen, dass es hier nicht so warm war, wie an den letzten Tagen in Köln. Trotzdem erschlug mich die Hitze fast.

„Sieht doch ganz hübsch aus." Meine Mutter war auch ausgestiegen.

Ich zuckte die Schultern. Vom Auto aus konnte ich einen überdachten Reitplatz sehen. Er war fast schon jämmerlich klein. Stumm starrte ich der Ziege nach, die uns einen angepissten Blick zuwarf und dann nach hinten aus unserem Sichtfeld verschwand.

Tamaluk - zwölf Wochen SüdtirolWo Geschichten leben. Entdecke jetzt