Kapitel 1

346 28 22
                                    

Buch-Coverby @desolately , danke nochmal ich liebe es *-*

~When did we lose our way, easier to let it go~

Man muss erst fallen um zu fliegen. Aber was ist, wenn fallen so viel leichter ist als fliegen?

Ein schwarzes Tuch begräbt meinen Leib unter sich und die Schwere drängt mich immer tiefer gen Abgrund. Doch unter mir ist kein Boden, der mich auffängt, nur die Dunkelheit die mich wie Wasser umringt. Ich spüre wie die eisige Luft brennende Spuren auf der Haut hinterlässt, während die Luft an mir vorbeirast. Auf der Suche nach Halt strecke ich meine Finger aus, doch sie greifen ins Nichts. Wo bin ich?
Eine fremdartige Taubheit überwältigt meine Glieder. Vielleicht ist es wegen der schmerzvollen Kälte, die sich durch Leib und Seele bahnt oder vielleicht auch wegen der Schwere, die über mir anschwillt und mir den Verstand austreibt. Mein wild hämmerndes Herz versucht sich der Kraft zu widersetzen, doch Wasser dringt bereits in meinen Mund, benebelt meine Sinne. Umschlingt meine Kehle. Schnürt Luft ab. Ich falle. Tiefer. Und Tiefer ...

Pieeeeep. Pieeeep.
"So machen Sie doch was! Nein...bitte verlass mich nicht !"
Gedämmte Schreie. Wo? Weiß nicht.
„Sie wird nicht mehr die Selbe sein, wenn wir sie zurückholen."
Pieeeeeeep.

„Das ist mir egal!"
Pieeeeeeep.

Leichter. Aufwärts. Etwas fängt mich auf. Zieht mich durch die Massen der Finsternis. Ruckartig werde ich durch die harte Oberfläche gerissen und schnappe panisch nach Luft.
Piep.Piep.Piep.Piep.

„Wir haben sie wieder!" ist das letzte, was ich wahrnehme, als mich eine gewaltige Schläfrigkeit überkommt.

Ich bin alleine, als ich aufwache.
Doch es dauert einen Moment, bis meine Augen sich an das gleißende Licht gewöhnt haben, sodass ich mein Umfeld erkennen kann.
Das Zimmer ist weiß. Die Wände kahl. Und die Sonnenstrahlen bahnen sich nur mühsam einen Weg durch die halb heruntergefahrenen Jalousien. Vor dem Bett, indem ich liege, sind jeweils zwei Stühle an einem kleinen Tisch postiert. Meine Aufmerksamkeit wird von einer Vase geweckt, die auf der weißen Tischdecke steht. Fasziniert mustere ich die blau-rosa Blüten mit den gelben Farbklecksen im Zentrum jeder einzelnen Blume, gebunden zu einem dichten Strauß. Erfasst von der leuchtenden Schönheit, kann ich meinen Blick kaum abwenden. Doch sie wirken fehl am Platz, hier an diesem tristen Ort.
Plötzlich ist da dieser immense Schmerz, der sich durch meine Brust zieht und mein Herzschlag beschleunigt sich. Grelles Piepen dröhnt mir in den Ohren und erst jetzt nehme ich den schwarzen Monitor rechts neben mir wahr, der ruckartige Bewegungen aufzeichnet. Wo bin ich?
Meine Augen eilen hilfesuchend durch den Raum, bis sie von Glas festgehalten werden. Mein Herz setzt aus. Die Augen im Spiegel vor mir sind vor Schreck geweitet und die Lippen zum tonlosen Schrei entstellt. Schweißperlen rinnen über die blasse Haut.
Meine Hand unterdrückt den Aufschrei, als ich sie auf den Mund presse. Die Person im Spiegel ahmt meine Bewegung nach.
Heftig zitternd krieche ich bis ans Bettende, ziehe meine Knie an die Brust und starre entsetzt auf mein Spiegelbild, das jede Regung meines Körpers nachzeichnet. Kann das wirklich sein?
Mein Kopf schmerzt, als ich fieberhaft nach einer Antwort in meinem Gedächtnis suche. Doch je tiefer ich in der Leere grabe, desto stärker wird das Pochen.
Begierig betasten meine Augen das Spiegelbild. Sie wirkt klein und zierlich wie eine Puppe. Doch ihr Gesicht nicht so zärtlich und lieblich wie das von jemanden, der immerzu lächelt.
Die Wangenknochen treten zu stark unter der schneeweißen Haut hervor. Die Augen sind zu groß, angeschwollen und im fahlen Wasserblau weitet sich ein rötlicher Farbton. Ihre Lippen sind aufgerissen und bleich. Die Haarsträhnen, die sich aus ihren blonden Zopf gelöst haben, kleben an der feuchten Stirn.
Wie alt mag sie sein? 17? Oder vielleicht doch 16? Unter den weißen Kittel erahnt man ihr mageres Erscheinungsbild, das nicht der Weiblichkeit einer Frau entspricht. Aber vor allem ist sie eines: Fremd.Erst jetzt bemerke ich die kühle Feuchtigkeit, die sich auf meine Wange legt und das Kitzeln einer einzelnen Träne, die mein Kinn hinunter rinnt.
Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen, zu sehr bin ich in meiner Panik gefangen, spüre allein das Gefühl mich diesem Körper zu entwinden. Fortzulaufen.
Unbeholfen stürze ich auf die Beine und reiße mir dabei achtlos die Nadeln aus den Armen, die zuvor Flüssigkeiten durch dünne Schläuche in meinen Körper gepumpt haben.
Ein schrilles und alarmierendes Geräusch setzt augenblicklich ein, sodass ich verzweifelt meine Hände auf die Ohren presse um das markerschütternde Geräusch von mir abzuschirmen. Meine Beine geben nach und ich sinke zu Boden, wiege mich wie ein kleines Mädchen vor und zurück, während die Tränen unaufhaltsam über mein Gesicht strömen.

Ich weiß nicht wie lange ich bereits auf den kalten Boden kauere, als da zwei warme Hände sind, die sich über meine legen und mich erzittern lassen.
Ein junger Mann kniet vor mir. Seine Lippen formen lautlose Worte. Vorsichtig zieht er meine Hände in seine und erleichtert stelle ich fest, dass der Raum von Stille erfüllt ist. Beschämt starre ich zu Boden.
Seine Hand hebt vorsichtig mein Kinn an, doch ich zucke vor seiner Bewegung zurück. Eine tiefe Trauer fängt sich in seinen Augen, als ich ihn ansehe. Dann flüstert er mit heiserer Stimme: „Cate?"
Unsicher weiche ich seinen eindringlichen Blick aus und beiße mir auf die Lippe, bis ich süßes Blut  im Mund schmecke.
„Hey", wispert der Mann einfühlsam, doch ich höre den Zweifel in seiner Stimme. „Erinnerst du dich?"
Zum ersten Mal betrachte ich ihn eingehend. Die braunen Haare auf dem Kopf stehen wild in alle Richtungen ab und ein paar Strähnen fallen ihm in die Stirn. Seine Gesichtszüge sind markant, aber das schadet seinem Aussehen nicht im geringsten. Er ist ... wunderschön.
Eine Zeit lang bin ich vom sanften Blau seiner Augen gefesselt, bis mich seine Stimme zurück in die Gegenwart reißt.
„Erinnerst du dich?" , fragt er noch einmal, doch jetzt dringlicher und seine Furcht ist unverkennbar. Verlegen schüttele ich den Kopf. Der Mann entzieht sich meinen Blick, wendet sich ab, als hätte ich ihn entsetzliche Qualen hinzugefügt. Unwillkürlich fühle ich mich schuldig und empfinde tiefes Leid. Etwas in mir möchte sich entschuldigen, doch als die Tür ins Schloss fällt, ist es zu spät.
Erschöpft klammere ich mich ans Bettgestell und nur mit vereinten Kräften schaffe ich es mich aufzurichten. Da gelangen die Blumen wieder in mein Blickfeld.
Auf wackeligen Beinen schwanke ich zu dem kleinen Tisch, wo noch immer die Vase steht. Die Blumen säen einen so atemberaubenden Duft aus, dass ich einige Male tief einatme.
Gerade als ich eine der wünderschönen Blüten aus dem Strauß zupfen möchte, entdecke ich ein Foto, das sich im Farbenmeer der Blumen versteckt. Ich nehme das Bild in meine zittrigen Finger. Es sieht ein wenig mitgenommen aus, da die Ecken verknickt sind, doch die Personen erkenne ich dennoch. Ein Mann und eine Frau.
Er hält sie mit beiden Armen umschlungen und küsst sie grinsend auf die Wange, während sie strahlend in die Kamera blickt. Sie erinnern mich an ein glückliches Paar, sodass ich unbewusst lächeln muss. Doch auf den zweiten Blick erkenne ich sie. Es ist der Fremde, der im Zimmer war. Und die glückliche Frau ... Sie sieht aus wie eine ältere Version meiner selbst.

Und erneut falle ich. 

VergissmeinnichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt