5 - Fremde im Wald

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Der Weg zur Pächtersiedlung war ihnen vertraut, so oft waren sie ihn gegangen. Sie wollten, wie bei Samanthas erstem Besuch dort, den Weg über die Felder nehmen und auf dem Heimweg die Abkürzung an der alten Natursteinmauer entlang, die den Park von Ferywood abgrenzte.

„Es hat sich nichts verändert", stellte Samantha fest, als sie ihren schlichten Rock raffte, um sich von Richard über einen Zauntritt helfen zu lassen. Er war zuerst hinübergestiegen und hielt ihre Hand, als sie hinaufkletterte und hob sie dann mit einem Griff um ihre Taille herunter. Kurz verharrten sie in dieser Position, seine Hände an ihrer Taille, sein dunkler Blick auf ihrem von einem Strohhut beschatteten Gesicht, ein feines Lächeln auf den Lippen.

„Ich würde dich gerne küssen", flüsterte er so leise, dass seine Stimme eher einem Raunen glich. Einem Geräusch, das Samantha einen Schauer über den Rücken jagte.

„Dan tu's doch", antwortete sie ebenso leise.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm näherzukommen, ihr Herz schlug vorfreudig, aber er schüttelte leicht den Kopf. Dann wies er mit dem Kinn über ihre Schulter hinweg und Samantha wandte sich um, um in die Richtung zu sehen.

Reverend Hales Gig näherte sich auf dem Feldweg, den sie gerade verlassen hatte, um den Weg über die Felder zu nehmen. Der ältliche Pfarrer erkannte sie sofort und schwenkte fröhlich winkend seinen Hut.

„Hallo, Sir! Ein wunderschöner Tag heute, nicht wahr?"

Richard seufzte und ließ Samantha los. „Hale! Guten Tag. Das ist er, in der Tat", rief er und hob die Hand zum Gruß. Nur Samantha konnte den leisen Unmut in seiner Stimme hören. Auf Reverend Hale wirkte er leutselig wie immer. Sie nickte dem Pfarrer freundlich lächelnd zu.

„Lady Velton!", wandte sich der Pfarrer dann an sie. Er hatte angehalten und kletterte umständlich aus dem Wagen.

„Mr. Hale, wie schön Sie zu sehen", sagte Samantha freundlich.

„Welch ein Zufall, dass ich Sie hier treffe. Gerade heute, da meine Gattin Ihnen einen Besuch abstatten wollte."

Samantha lächelte. „Ein Zufall, in der Tat. Es wird mich freuen, Ihre Gattin später begrüßen zu dürfen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass die Köchin ihre wunderbaren Rosinenbrötchen gebacken hat und die Ingwerplätzchen, von der ich Ihre Gattin einst schwärmen hörte."

„Oh, das wird sie freuen. Ich bin ja leider verhindert", sagte er und neigte bedauernd den Kopf.

„Das ist sehr schade", sagte Samantha mit gebührendem Ernst.

„Nun", sagte Hale wieder fröhlicher. „Ich will auch gar nicht länger stören. Ich muss meinen Weg fortsetzen. Ich wünsche einen schönen Tag, Lord Velton, Mylady." Er verneigte sich und stapfte dann durch das Gras zu seinem Gig zurück, kletterte mühsam hinauf, und fuhr weiter.

„Ich hatte vergessen, dass man hier niemals seine Ruhe hat", murrte Richard, als sie ihren Weg fortsetzten.

„Jetzt sind wir aber allein", sagte sie mit einem Zwinkern.

Richard blieb stehen und warf einen kurzen Blick in die Umgebung, um zu prüfen, ob sie wirklich allein waren, dann zog er sie so schnell an sich, dass ihr ein kleines Keuchen entfuhr und der Korb mit Rosinenbrötchen, den sie dabeihatten, fast ins Gras gefallen wäre. Richards Arm lag um ihre Taille sein Blick ruhte in ihrem, ihre Lippen waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt, ihr schneller Atem vermischte sich und sein Blick wanderte zu ihren erwartungsvoll leicht geöffneten Lippen. Richard ließ seine zweite Hand in ihren Nacken wandern und in diesem Augenblick war es ihm egal, ob Reverend Hale oder sonst wer des Weges kam. Er verlor sich in ihrem Blick und vergaß die Welt um sie herum und dann küssten sie einander.

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt