6 - Die Spanierin

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„Whiteshaws Haus hat einen neuen Eigentümer", berichtete Samantha abends beim Dinner. Hetta ihr Gatte und Mr. Hatfield waren zu Gast und hatten sich um den Tisch im Speisezimmer versammelt. Samantha hatte feine Speisen servieren lassen, aber inzwischen waren sie beim Dessert, das aus Crème Brulée, Kompott und kandierten Früchten bestand angelangt. Pelham schenkte gerade von dem süßen Dessertwein nach.

 „Mrs Hale hat es mir beim Tee erzählt." 

„Das wird aber auch Zeit. Es stand so lange leer, dass ich schon dachte, es würde zur Ruine zerfallen, ehe sich jemand dem Haus annimmt", bemerkte Hetta, die dem Wein süßen Ratafia vorzog und an ihrem Likör nippte.

„Wer hat das Haus gekauft?", fragte Helwick interessiert. Er warf Hatfield einen Blick zu, aber dieser hatte noch nichts von der Neuigkeit gehört und zuckte mit den Schultern.

„Einer Spanierin", erklärte Samantha. "Sie war mit einem Engländer verheiratet und will sich jetzt, nach seinem Tod, hier niederlassen."

„Oh, dann hätte ich wieder einmal Gelegenheit mit jemand anderem als mit Maria Spanisch zu sprechen", freute sich Hetta. „Hat die Dame Kinder?"

„Das weiß ich nicht. Mrs Hale hat keine Kinder erwähnt, aber sie muss noch recht jung sein. Mrs Hale erwähnte, dass es einen beträchtlichen Altersunterschied zwischen ihr und ihrem Mann gegeben hat. Sie soll eine spanische Hidalga sein, was auch immer das heißen mag. Ich bezweifle, dass Mrs. Hale es wusste, aber sie war sehr stolz, dieses exotische Wort zu benutzen."

Richards Lippen umspielte ein belustigtes Lächeln. „Das bedeutet, dass sie sehr altem christlichem Adel entstammt", erläuterte Richard. „Einer Adelsfamilie, deren Mitglieder bereits im Mittelalter gegen die Mauren gekämpft haben und an deren Vertreibung aus Spanien beteiligt waren. Diese alten Familien sind sehr stolz auf ihre Herkunft und Tradition."

„Dann wird es eine hochmütige Person sein. Was will so jemand bloß hier?", wunderte sich Helwick und löffelte genüsslich Rhabarberkompott.

„Das werden wir bald erfahren, denn sie wird schon in den nächsten Tagen hier erwartet. Es sind wohl schon Dienstboten in dem Haus eingetroffen, die alles für die Ankunft ihrer Herrin vorbereiten."

"Ach, dann waren diese mit Gepäck beladenen Wagen, die ich gestern sah, wohl dorthin unterwegs. Ich hatte mich schon gewundert, wo sie hinwollten. Es waren zwei Fuhrwerke", bemerkte Hatfield, der bescheiden an seiner Limonade nippte, weil er dem Alkohol, seit er in Ferywood lebte, abgeschworen hatte.

"Das wird die Nachbarschaft jedenfalls ungemein beleben", sagte Hetta fröhlich und winkte Pelham, damit er ihr noch etwas Ratafia einschenkte.

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Doña Esperanza de los Dolores y Castillo Snyder war eine große Dame, mit südländischem Teint und Augen, die so schwarz waren wie ihr Haar, das sie zu einem hohen, strengen, glatten Knoten aufgetürmt hatte und kunstvoll mit einem spanischen Kamm aus Schildpatt und einer Spitzenmantilla gekrönt hatte. Sie sah aus wie eine Königin, wusste Mrs Hale zu berichten, die als erste die neue Nachbarin begrüßt hatte und jedem davon berichtete.

Whiteshaws Haus erschien zu bescheiden für diese Frau, die über das Auftreten einer Königin verfügte. Ihre Schönheit und ihr exotisches Flair wurde von ihrer leicht rauchigen Stimme mit dem harten, spanischen Akzent unterstrichen. Zumindest erzählte dies Mrs Hale, die zum Tee nach Ferywood Manor gekommen war. 

Vordergründig war sie den Hügel hinaufgestiegen, um sich für die Blumen aus dem Gewächshaus zu bedanken, welche ihr Samantha für den Altarschmuck der Kirche überlassen hatte, aber eigentlich war sie hier um über die neue Nachbarin zu sprechen, die tiefen Eindruck bei der Pfarrersgattin hinterlassen hatte. 

Die Schatten von FerywoodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt