19. Juli 1709

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Das Meer war so ruhig, als wüsste es nichts von dem Unheil, das uns bevorstand. Die Wellen kräuselten sich sanft an der Oberfläche der dunklen See und der Wind blies gleichmäßig in die Rahsegel.

Die Duke lag gut auf Kurs und es juckte in meiner rechten Hand, dass es mich fast des Verstandes beraubte. Ich konnte es kaum erwarten, unter Deck zu gehen, um unsere bedeutende Entdeckung und alle mit ihr verbundenen Erlebnisse bis ins kleinste Detail niederzuschreiben.

Wir würden Geschichte schreiben. Ich würde Geschichte schreiben.

Endlich hatte ich es geschafft; das größte Abenteuer meines Lebens. Die salzige Meerluft wehte mir den Geruch des Ruhmes, auf den ich so lange gewartet hatte, schon förmlich entgegen.

Ich griff nach dem Anhänger, der erst seit wenigen Stunden um meinen Hals hing und umschloss ihn fest mit der Faust. Er gehörte jetzt zu mir und ich würde ihn nie wieder hergeben. Ich spürte die langen Zeiger und die beiden drehbaren Scheiben, die große mit der Windrose und die kleinere mit den Tierkreiszeichen. An den etwas abstehenden Peilhilfen des einen Zeigers erfühlte ich deutlich die Rückseite des Anhängers mit der eingravierten Gradskala und dem Kalenderblatt. Es war wahrhaft ein besonders aufwendig gefertigtes Astrolabium*. Und obendrein war es kein Gewöhnliches, denn es stammte aus dem Schatz, den es uns nach monatelanger erfolgloser Suche, endlich doch gelungen war, aufzuspüren und zu plündern. Keinen Tag später, hätten wir diese Insel erreichen dürfen, denn die Mannschaft stand kurz vor einer Meuterei, unsere Vorräte hätten nur noch für drei Tage gereicht. Doch dann entdeckten wir endlich Land und was für ein verzückendes Eiland inmitten der schäumenden Südsee. Eine wahre Schatzinsel! Die Schatzinsel, auf der der größte Piratenschatz aller Zeiten versteckt war!

Meine Kumpanen hatten sich mehr für die Gold- und Silbermünzen, Perlen und Edelsteine interessiert, die wir in Massen an Bord unserer Schiffe geholt hatten. Aber dieser kleine Anhänger, der so perfekt in eine Handfläche passte, hatte auf mich eine ganz besondere Anziehung ausgeübt, sodass ich ihn, ohne zögern, an mich genommen hatte.

Er lag schwer und wertvoll in meiner Hand, wie ein in Gold gegossenes Stück Triumph. Dieses Kunstwerk der Navigationstechnik passte ganz schicklich zu einem erfahrenen Seemann und Navigator, wie mir.  Dieses brennende Hochgefühl in meiner Brust, war kaum mehr auszuhalten, alles in mir brannte darauf,  dieses Erlebnis in meinem Tagebuch für die Nachwelt festzuhalten.

Doch etwas ließ mich zögern. Dieser trügerischen Ruhe um uns her, konnte ich nicht so Recht trauen. Ich war zwar nicht der Kapitän dieser Unternehmung, sondern als Navigator an Bord, aber ich hatte schon zu viele Seereisen und Kaperfahrten unternommen, um die Lunte nicht zu riechen, wenn sie bereits brannte.

Jetzt begann auch meine andere Hand zu jucken, nicht meine Schreibhand. Kein gutes Zeichen.

Alarmiert schaute ich hoch zum Krähennest. Der Korb zeichnete sich dunkel aber deutlich ab, vor dem sich langsam eintrübenden Himmel, an dem die Sonne schon fast bis ins Meer herabgesunken war und die ersten Sterne schon aufgegangen waren. Doch etwas fehlte, oder trefflicher, jemand fehlte.

Den Verdacht, dass der Maat im Ausguck ein elender Nichtsnutz war, hegte ich schon seit ein paar Seemeilen. Da ich aber nicht der Kapitän war, lag die Entscheidung, wer den Ausguck im Krähennest übernimmt, nicht bei mir,  wenngleich Kapitän Rogers meine Meinung stets sehr schätzte. Ich sollte ihn bei der nächsten Gelegenheit unbedingt darauf ansprechen. Immerhin war es bis England noch ein weiter Weg und wir hatten eine Fracht an Bord, wertvoller als die Kronjuwelen im Tower von London.

Eiligen Schrittes lief ich auf die Heckgalerie und erzitterte. Doch es war nicht die Kälte der hereinbrechenden Nacht, die es mir plötzlich kalt werden ließ, es waren die beiden Schiffe, die ich hinter unserem nun schon mit bloßem Auge deutlich vor dem düsteren Himmel erkennen konnte.

Der Ruf des Meeres (Ateez, Hongjoong)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt