Das Leben ist kein Ponyhof

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Wie gefällt Ihnen die Geschichte bis jetzt? Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt! Meine Geschichte ist nichts für schwache Nerven. Sie wollten alle unschönen Details hören und hier sind sie. Knapp ein Jahr nach unserer Trennung fing Joko eine Affäre mit Jakob an. Oh! Entschuldigung, natürlich keine Affäre. Wie hat der Herr es noch genannt? Eine Freundschaft plus. Ficken, wenn man Lust drauf hatte und kein anderes williges Opfer in der Nähe war. Beste idea ever! Not!
Aufgrund meines rasanten Fahrstils befinde ich mich schon kurz vor Leipzig. Kaum ein Auto war in Sicht, aber das konnte auch an meiner Geschwindigkeit liegen. Das Vibrieren meines Handys ignoriere ich bereits seit zwei Stunden erfolgreich, während die Scherben meines Lebens an mir vorbeiziehen. Wie hatte ich in diesen Schlamassel hinein geraten können?
Ich kann weder Joko noch Jakob aus dem Weg gehen, wenn ich meine Karriere nicht direkt aus dem Fenster werfen will. Denn seien wir mal ehrlich. Mittlerweile braucht Joko mich nicht mehr an seiner Seite. Ich bin mehr auf unsere gemeinsamen Sendungen angewiesen als er. So schmerzhaft dieser Gedanke auch ist, muss ich ihn akzeptieren.
Jokos neue Show ist der Erfolg, auf den wir seit dem Duell um die Welt gewartet haben. Eine Show, die er ohne mich machte und das mit sehr großem Erfolg. Aber ich greife schon wieder vor. Ich will Ihnen doch den Spaß nicht verderben, denn wissen Sie, was das Beste an allem ist? Alles bis hier hin war nicht einmal das Schlimmste an der Geschichte. Jetzt haben Sie noch die Gelegenheit auszusteigen. Drei, zwei, eins. Zu spät. Also machen Sie sich bereit!
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Jokos Knie war im Arsch - Haha. - und er wollte mir gerade erzählen, wie er es geschafft hatte, mir nicht nur alle Hoffnungen auf einen Neuanfang für uns zu nehmen, sondern auch die letzten Gefühle, die ich noch für ihn hatte.

♾️

„Ich weiß es nicht", antwortete ich ihm auf die Frage, wie es weitergehen sollte. Mit einem großen Zug leerte ich den Rest meines Bieres.
Gerade musste ich erst mal verdauen, dass diese Sache zwischen Joko und Jakob fast neun Monate lief. Neun Monate. Neue Fragen schossen mir in den Kopf, auf die ich allerdings keine Antworten wollte. Ich wollte nicht wissen, wie oft sie sich getroffen hatten. Ich wollte nicht wissen, wie das genau abgelaufen war. Ich wollte nicht wissen, wer hier wen gefickt hatte, denn seien wir mal ehrlich: Wollten Sie das wissen? Nein danke.
Ich stützte die Ellbogen auf den Knien ab und vergrub mein Gesicht in den Händen. Fest kniff ich die Augen zusammen. Mein Schädel wollte explodieren. All diese neuen Informationen waren einfach zu viel.
„Klausi, es tut mir leid."
„Komm mir nicht so!" Ich sprang auf. „Ich will deine Scheißentschuldigung immer noch nicht hören, weil es nur eine weitere Lüge ist. Wenn es dir leidtun würde, wäre es eine einmalige Sache gewesen. Das hier ist kein Ausrutscher."
„Das war es wohl nicht."
„Dann erzähl mir nicht, dass es nichts bedeutet hat."
„Hat es auch nicht. Für mich jedenfalls nicht."
„Warum hast du es dann überhaupt getan?"
Joko wandte den Blick ab, trank zum ersten Mal von seinem Bier.
„Du kannst manchmal ein solches Arschloch sein", sagte ich, als keine Antwort kam.
Ich musste mich bewegen, schnappte mir daher meine leere Bierflasche und brachte sie in die Küche. Das alles hatte doch keinen Sinn. Wir drehten uns im Kreis. Worum ging es hier überhaupt? Ich hatte mit allem längst abgeschlossen. Widersprechen Sie mir nicht! Ich hatte wirklich schon abgeschlossen. Ich war bereit gewesen, unseren derzeitigen Beziehungsstatus zu akzeptieren und nur sein Freund zu sein. Aber er musste sein Verhalten mir gegenüber ja so plötzlich ändern, dass mir ganz schwindelig davon wurde und alte Gefühle in mir erwacht waren. Ich war auch nur ein Mensch. Das war der Joko, den ich von früher kannte. Der aufmerksam war und nicht von allem anderen abgelenkt wurde. War es da ein Wunder, dass ich schwach wurde?
Die Flasche stellte ich in den Korb neben den Kühlschrank. Ich konnte nicht beschreiben, was ich fühlte. Das alles war so absurd. Nachdenklich starrte ich aus dem Fenster und da wurde mir erst bewusst, was Joko da gesagt hatte. Ich ging zurück.
„Es hat dir jedenfalls nichts bedeutet. Was meinst du damit?"
Der Gedanke, der mir dabei in den Kopf schoss, gefiel mir gar nicht.
„Wir waren beide einsam, als es angefangen hat. Es schien eine gute Idee zu dem Zeitpunkt zu sein, weil wir eigentlich niemanden damit verletzten würden. Ich wollte dich aus dem Kopf kriegen und ich wusste nicht, dass Jakob... er hat mir erst später gesagt, dass er sich mehr erhofft hat. Aber das konnte ich nicht. Trotzdem sind wir Freunde geblieben und ich hab' das angenommen, was er mir geboten hat. Ablenkung und unkomplizierten Sex."
Wie konnte der Mann mit einundvierzig Jahren so naiv sein? Das klang für mich alles andere als unkompliziert. Alles daran schrie geradezu kompliziert und Drama und schlimme Konsequenzen.
Ich stand im Türrahmen und starrte auf seinen Hinterkopf. Schmittis Worte kamen mir in den Sinn. So langsam fühlte ich mich auch wie in einer dieser beschissenen Reality Show. Es wurde einfach nicht besser.
„Alter, das ist nicht dein Ernst!"
„Ich war ehrlich zu ihm und er war einverstanden."
„Na, wenigstens warst du zu ihm ehrlich. Herzlichen Glückwunsch!", sagte ich sarkastisch.
„Hör doch auf! Ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Was soll ich denn tun? Ich hab' mich schon entschuldigt."
„Zu spät. Jetzt ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wie kann man so naiv sein?"
Aufgebracht lief ich im Wohnzimmer auf und ab. War vielleicht ausnahmsweise gut, dass Joko gerade außer Gefecht gesetzt war wegen seines Knies. So konnte er wenigstens nicht davonlaufen, während ich ihn anschrie.
„Hast du auch nur eine Sekunde weiter als bis zu deinem Schwanz gedacht? Wir arbeiten zusammen. Ich arbeite eng mit Jakob zusammen. Hast du geglaubt, ich erfahre das nie? Du hättest dir jeden anderen zum Vögeln suchen können. Jeden anderen, aber es musste mein Co Moderator sein und ich soll dir glauben, dass es nur Zufall ist? Ist das dein Rachefick?"
„Klaas. So ist es nicht."
Ich überging ihn einfach.
„Jetzt erzählst du mir auch noch, dass Jakob Gefühle für dich hat. Sind da keine Alarmglocken bei dir angegangen? Ich fass es nicht. Ist das hier die versteckte Kamera?"
„Du bauschst das viel zu sehr auf. Zwischen Jakob und mir ist alles cool. Er wusste, auf was er sich einlässt. Unsere Arbeit wird davon nicht beeinflusst."
„Da bin ich aber beruhigt, dass es eure Arbeit nicht beeinflusst. Aber es beeinflusst mich. Der Gedanke ist dir wohl nicht gekommen. Du bist alle paar Wochen mal in Berlin und kannst dem Drama aus dem Weg gehen. Ich muss Jakob jede Woche sehen und gerade weiß ich nicht, wie das funktionieren soll. Ist dir überhaupt bewusst, was du da von mir verlangst?"
Nein, das war es nicht. Das sah ich ihm an, als er mich ansah.
„Es tut mir leid."
„Ja. Das sagtest du bereits", antwortete ich resigniert und ging zwei Schritte rückwärts.
„Wir kriegen das wieder hin. Bitte! Es ist doch vorbei."
Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. Ich musste jetzt stark bleiben. Ich konnte ihm das nicht einfach so durchgehen lassen. Ich durfte mich von ihm nicht so behandeln lassen.
Joko war ein herzensguter Mensch. Er hatte viel Liebe zu geben und war freundlich und wollte immer das Positive im Menschen sehen. Er wollte, dass es allen gut ging und jeder sich wohl fühlte. Er blickte nach vorn und nicht zurück. Er hörte auf sein Bauchgefühl und handelte oft, bevor er nachdachte. Sein Instinkt hatte ihm zu dem gemacht, was er heute war. Man konnte ihm nicht lange böse sein, aber auch ich hatte meinen Stolz. Er war das einzige, was mir in dieser Situation noch geblieben war.
„Ich brauche Abstand."
„Nein. Bitte! Bleib! Geh nicht zurück ins Hotel!"
„Ich zieh' jetzt noch die zwei Sendungen durch und dann sind es noch sechs Wochen bis zur Sommerpause für LNB. Bleib einfach weg von Berlin und im Sommer will ich keinen von euch sehen."
„What? Aber was ist mit dem Urlaub im Juli?"
„Ohne mich. Ich bin mir sicher, dir wird es an Gesellschaft nicht fehlen."
„Das ist doch scheiße", sagte Joko und setzte sich auf. Er machte Anstalten aufzustehen.
„Ey, bleib liegen! Es wird nichts ändern. Ich muss den Kopf frei kriegen und überlegen, was ich will. Das kann ich nicht, wenn ihr ständig vor meiner Nase rumhüpft."
Selbst vielleicht mal jemand Neues kennenlernen, aber das musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden. Wieder kam mir das Gespräch mit Olli in den Sinn. Er hatte recht. Sie hatten alle recht. Das hier war dumm und bescheuert. Wir waren seit zwei Jahren auseinander. Irgendwann musste man loslassen und dieser Zeitpunkt war jetzt.
„Du wolltest mich vergessen und hast es geschafft. Ich wünschte, ich könnte dasselbe behaupten. Du hast mir erst Hoffnung gemacht, um dann alles einzureißen. Ich hätte dich nicht für so grausam gehalten. Jetzt muss ich an mich denken und zusehen, wie ich klarkomme."
Ich wandte mich ab, denn damit war alles gesagt. Was auch immer ich mir in den letzten Wochen erhofft hatte, war vorbei. Wir würden wieder Arbeitskollegen sein, aber mehr konnte es nicht mehr sein.
„Aber es hat doch gar nicht funktioniert", schrie Joko mir hinterher. Erschrocken blieb ich stehen. „Ich konnte dich nicht vergessen. Egal, wie oft wir uns getroffen haben. Ich konnte nicht. Du warst immer in meinen Gedanken. Weil ich das alles mit dir will und mit niemand anderem. Hörst du? Ich kann nicht aufhören, an uns zu denken. An das, was wir hatten. An das, was wir immer noch haben können. Das kann nicht einfach vorbei sein. Ich will dich zurück."
Wie versteinert stand ich da und starrte auf den Boden.
„Klaas, hörst du? Ich liebe dich. Ich hab' nie aufgehört, dich zu lieben. Die Trennung war ein Fehler, den ich seither jeden Tag bereut habe."
Langsam drehte ich mich um und sah ihn an. Er stand mit gebeugtem Knie da, nicht ganz aufrecht, aber auf seinen Beinen. Ich sah die Verzweiflung in seinem Blick. Ich sah die Wahrheit in seinen Augen.
Und aus einem bestimmten Grund machte es das alles noch schlimmer.
Ich ging, ohne ihm eine Antwort zu geben.
*
♾️
*
„Mit diesem Sieg endet die erste Staffel Joko und Klaas und in diesem besonderen Fall Jakob gegen Prosieben. Ich hoffe, Sie hatten Spaß. Sowohl Zuhause als auch hier im Publikum. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns im Herbst wiedersehen. Halten Sie uns bis dahin die Treue und viel Spaß mit den fünfzehn Minuten live morgen Abend um 20:15 hier auf Prosieben. Vielen Dank und tschüss!"
„Und vielen Dank an den besten Moderator: Steven Gätjen! Bussi, bussi! Bis morgen!", rief ich winkend in die Kamera, während Joko sich von hinten an mich lehnte und seine Arme um meinen Hals geschlungen hatte. Auch er winkte mit einer Krücke in die Kamera. Jakob stand neben uns mit dem riesigen Gutschein in der Hand.
Dann erlosch das rote Licht und ich hatte es geschafft.
Sofort schob ich Jokos Arme zur Seite und bewegte mich von ihm weg. Ich winkte freundlich dem Publikum zu und überließ den Rest den Anderen. Die Ansprache ans Team konnte heute auch mal Joko übernehmen. Noch nie hatte ein Aufzeichnungsmarathon mich so geschlaucht. Nicht mal bei der besten Show der Welt. Die war dagegen ein sonniger Sonntagsspaziergang.
Jemand entkabelte mich, während ich im Hintergrund Joko, Jakob und Steven reden hörte.
„Ja, okay. Dann übernehm' ich das heute wohl mal. Ich will mich herzlich bei euch allen bedanken. Auch im Namen von Klaas natürlich. Ihr wisst ja, wie er ist. Immer sparsam mit seinen Gefühlen."
Ich verdrehte die Augen, während die Crew um mich herum lachte.
„Aber jetzt mal im Ernst. Auch wenn ich die letzten zwei Tage etwas außer Gefecht gesetzt war und nicht so viel helfen konnte, sehe ich die zwei Siege gegen Herrn Prosieben als vollen Erfolg. Auch dank Jakob ist es nicht ganz in die Hose gegangen."
„Danke, Winti! Das nächste Essen geht dann auf dich."
„Selbstverständlich! Das ist das mindeste."
Ich hörte Jakobs verlegenes Kichern und musste gegen ein zweites Augenverdrehen ankämpfen.
„Also wenn alles gut läuft, und davon gehen wir einfach alle mal aus, wird es noch ganz viele Folgen geben und die Fans werden ihren Spaß haben. Das verdanken wir auch euch allen. Also, danke Steven! Danke Jakob! Danke Thomas! Danke Johannes! Und er wuselt hier doch bestimmt auch noch irgendwo herum: Danke an meinen kongenialen Partner, ohne den das alles nur halb so viel Spaß machen würde! Jetzt gibts Freibier für alle!"
Lauter Applaus und Jubel folgten mir auf dem Weg aus dem Studio.
Schnell verschwand ich in meiner Garderobe, wechselte die Klamotten und war der Erste am Currywurstwagen. Ich hatte es gestern bereits geschafft, unauffällig in der Menge zu verschwinden und mich unter die Mitarbeiter zu mischen. Mit genügend Alkohol und Ablenkung konnte man die schlimmsten Dinge verdrängen. Ich konnte das jedenfalls. Aus den Augen, aus dem Sinn. Waren Sie stolz auf mich? Nahmen Sie mir diese tougher Guy Masche ab?
Ja, ich mir auch nicht so ganz, aber ich musste das nur noch ein paar Stunden durchhalten. Morgen früh würde es zurück nach Berlin gehen und wenn alles nach Plan lief, brauchte ich Joko bis zum Herbst nicht mehr sehen. Die letzten zwei Tage hatte ich es hervorragend geschafft, mich so normal wie möglich ihm gegenüber zu verhalten. Auch Jakob gegenüber. Klar, wenn man genau hinsah und uns kannte, dann bemerkte man den Unterschied, aber für die Kamera gab es keinen Unterschied. Profis, ganz so wie Schmitti es gewollt hatte.
„Jetzt mal ehrlich: Was ist passiert?"
Konnte der Typ Gedanken lesen? War manchmal ein wenig unheimlich. Da knabberte man nichts ahnend an seiner Currywurst und plötzlich tauchte Schmitti mit zwei Bier in der Hand neben einem auf. Eines stellte er mir vor die Nase. Er wollte Antworten.
„Du nervst."
„Das hast du gestern bereits gesagt und ich hab's durchgehen lassen, weil ich die Sendung nicht gefährden wollte, aber jetzt will ich es wissen."
„Hast du irgendwas an meiner Leistung auszusetzen?"
„Nein und das ist es, was mich wundert. Du hast dich vorbildlich verhalten. Keine bösen Blicke. Keine bösen Sprüche. Du hast sogar Scherze mit den beiden gemacht. Das macht mich noch viel misstrauischer."
„Ich bin ein erwachsener Mann. Ich hab' mich im Griff", sagte ich und steckte mir ein Stück Wurst in den Mund.
„Wer bist du und was hast du mit Klaas Heufer-Umlauf gemacht?"
„Wirklich witzig."
Wir schwiegen einen Moment und beobachteten, wie das Chaos um uns herum seinen Lauf nahm. Es wurde ausgelassen gefeiert. After-Show-Partys waren schon immer die Spezialität der Florida gewesen und so wurde jede Minute ausgiebig genutzt. Vielleicht sollte ich mich heute auch mal wieder beteiligen. Yolo und so.
„Ich muss mich auch noch bei dir entschuldigen."
„Hm?"
Fragend blickte ich Schmitti an. Das war neu.
„Dafür, dass es mir so rausgerutscht ist. Es tut mir leid. Ich dachte, Joko hätte mit dir darüber gesprochen. Im Skiurlaub sind sie so locker damit umgegangen, da dachte ich einfach, du wüsstest es."
„Falsch gedacht."
„Das hab' ich auch gemerkt. Wieso hat er dir nichts gesagt? Ich geh' mal davon aus, dass ihr mittlerweile mal darüber gesprochen habt."
„Für ihn war es angeblich keine große Sache. Hat es deswegen nicht für nötig gehalten, was zu sagen."
Schmitti schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
„Klingt nach Drama."
„Das hab' ich mir auch gedacht."
Der Platz füllte sich so langsam und die Schlange bei der Currywurst wurde länger. Jemand hatte Musik angemacht, die bei den vielen Gesprächen fast unterging. Die langen Tische und Bänke wurden besetzt und die Last nach so einer neuen Sendung schien von allen Schultern abzufallen. Der erste Meilenstein war geschafft.
„Joko sagte, es wäre vorbei", sagte ich leise, während mein Blick über die Anwesenden wanderte.
„Das hat Jakob mir Mittwochabend auch erzählt."
„Wo hat er geschlafen?"
Unmotiviert stocherte ich in den Resten herum, wollte die Antwort gar nicht wissen, aber verkneifen konnte ich es mir auch nicht.
Schmitti stieß seine Schulter sanft gegen meine.
„Keine Sorge. Im Hotel. Wie es scheint, hat keiner der beiden gelogen."
Als ob eine weitere Lüge noch irgendwas ändern würde. Finden Sie nicht auch?
„Is' mir egal."
„Jetzt bist du es, der lügt."
„Es muss mir egal sein. Es gibt ohnehin keinen Weg mehr zurück."
In dem Moment hörte ich diese markante, laute Lache, die ich unter Millionen erkennen würde. Sie wahrscheinlich auch. Vermutlich würde halb Deutschland sie erkennen. War ja auch nicht so schwer.
Über die Menge hinweg entdeckte ich ihn mit Jakob und Benni an seiner Seite. Langsam machten sie sich auf den Weg zum Essen, dabei schienen sie sehr vertieft in ihr Gespräch zu sein. Jakob gestikulierte wild mit einer Hand und diskutierte etwas ausführlich mit Benni, während Joko seine Bestellung aufgab und nur zwischendurch etwas zum Gespräch beizutragen schien.
Als ob es sich nicht vermeiden ließ und es einfach passieren musste, begegneten sich unsere Blicke.
„Glaubst du das wirklich? Dann belügst du dich nur selbst. Das mit euch wird vermutlich niemals vorbei sein. Egal, was noch passiert. Es mag gerade etwas angespannt sein, aber das wird nicht anhalten. Sogar nach der Trennung wusste jeder, dass es nur vorübergehend sein würde."
„Nicht jeder."
Mein Blick wanderte zu Jakob, der jetzt munter auf Joko einredete, obwohl der gar nicht zuzuhören schien. Wieso war mir nie aufgefallen, wie Jakob ihn anschaute? Wieso war mir nie aufgefallen, dass sich etwas zwischen den beiden verändert hatte? Konnte man so blind sein oder hatte ich es einfach nicht sehen wollen?
Als ich Joko wieder ansah, trafen sich erneut unsere Blicke. Er hatte bemerkt, wo mein Blick hingewandert war. Das erkannte ich an seinem leichten Kopfschütteln. Hin und her wanderte mein Blick und ich konnte nichts gegen die aufsteigenden Bilder machen.
Mittlerweile bemerkte auch Jakob, dass er nicht Jokos Aufmerksamkeit hatte. Er blickte mich an. Ich blickte ihn an. Sie blickten sich an. Ich blickte Joko an. Er blickte mich an. Es war ein Teufelskreis.
„Subtil seid ihr jedenfalls nicht."
„Halt doch dein Maul, Schmitti!", sagte ich und wandte den Blick von der Szene ab.
„Du willst doch nicht wirklich eure Beziehung mit dem vergleichen, was die beiden da hatten?"
„Ich vergleich' es nicht, aber es ist eben passiert. Das ändert so einiges."
„Was soll das denn ändern? Du spinnst doch."
„Ich spinn' nicht. Du verstehst es einfach nicht."
„Jakob ist doch nicht der Einzige, mit dem er mal was hatte. Warum stört es dich also?", fragte Schmitti verwirrt.
„Ich sag' doch, du verstehst es nicht."
„Dann erleuchte mich doch, oh du weiser Herr!"
„Nein, danke. Ich weiß nicht, ob du der richtige Ansprechpartner dafür bist."
Thomas und Jakob arbeiteten fast jeden Tag eng zusammen. Er war befangen. Da machte es auch keinen Sinn ihm zu erklären, was mich an dieser ganzen Joko und Jakob Sache störte. Das war unnötige Liebesmühe. Perlen vor die Säue. Sie verstehen schon, aber verstanden Sie mich denn? Warum ich diese Tür für mich endgültig geschlossen hatte?
„Das kann ja heiter werden", murmelte Schmitti neben mir und nippte an seinem Bier. So langsam schien er zumindest zu begreifen, was das für uns alle bedeutete.
Ich schob den leeren Teller nach vorn und griff ebenfalls nach meinem Bier. Ich stieß meine Flasche gegen seine. Halbherzig versuchte ich mich an einem Grinsen.
„Das hast du sehr gut erkannt. Lass uns beten, dass es sich nicht ewig hinzieht bis zur Sommerpause! Prost!"
Schmitti schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts weiter dazu.
„Klausi?"
Joko kam mit seiner einen Krücken angehumpelt, hielt in der anderen Hand einen Teller. Er stellte ihn auf den Tisch und setzte sich auf die Bank uns gegenüber. Jakob war nicht zu sehen, dafür hatte Benni sich ihm angeschlossen. Vielleicht war ich doch nicht so erwachsen, denn ich war im Begriff aufzustehen, als Schmittis Hand auf meiner Schulter landete und mich daran hinderte. Ich warf ihm einen bösen Blick zu.
„Du bleibst", kam die schlichte Ansage.
Genervt schob ich seine Hand weg und blieb sitzen. Er wusste ganz genau, dass ich vor dem gesamten Team keinen Aufstand machen wollte. Das nutzte er jetzt einfach eiskalt aus. Verräter! Den dankbaren Blick von Joko erwiderte ich mit einem weiteren bösen Blick.
„Lächle doch mal, Klausi! Wir haben heute schließlich gewonnen."
„Jippie, ich bin ganz außer mir."
„Sag das mal deinem Gesicht!"
Ich verzog besagtes Gesicht und nahm einen großen Schluck Bier. Kaum hatte ich die Flasche auf dem Tisch abgestellt, wurde sie von Joko in Beschlag genommen, der sich einfach mal einen Schluck daraus gönnte.
„Ey, sach mal! Das ist mein Bier."
„Ich weiß", sagte er und grinste mir dreist ins Gesicht.
„Hol dir dein Eigenes!"
„Aber Klausi, mein Knie."
„Is' mir doch egal. Du hast den Teller auch an den Tisch bekommen. Darfst du überhaupt Alkohol trinken?"
Ich nahm die Flasche wieder an mich und hielt sie fest. Ich ignorierte gekonnt Schmittis und Bennis amüsierte Blicke, genauso wie ich es ignorierte, als Joko sich über die Lippen leckte. Ich schluckte hart und kniff die Augen zusammen.
„Ein Bier schadet doch nicht. Sei nicht eine solche Spaßbremse."
„Dann nimm eben den Rest von meinem Bier. Reicht dann auch."
Ich schob ihm die Flasche hin. Zur Belohnung erhielt ich einen Luftkuss. Unfassbar. Was versprach er sich eigentlich von dieser Nummer hier? Warum war er nicht bei seinem Jakob geblieben?
Benni räusperte sich und unterbrach somit die seltsame Stimmung am Tisch.
„Habt ihr euch schon überlegt, was ihr mit den zwei 15 Minuten machen wollt?"
„Es sind ja noch ein paar Wochen bis zur Ausstrahlung. Eine Liste ist schon fertig, aber bis jetzt ist nichts final. Da sollten wir uns in den nächsten zwei Wochen mal ran setzen", antwortete Schmitti, während Joko und ich uns noch ein Anstarrduell lieferten.
Verdammt. Die 15-Minuten-Live. Bei dem ganzen Drama hatte ich nicht bedacht, dass Joko dafür nach Berlin kommen musste. Vielleicht ließ sich das irgendwie umgehen, obwohl mir bei seinem amüsierten Lächeln gerade klar wurde, dass er damit vermutlich rechnete.
„Wenn das Knie mitmacht, kann ich es bestimmt einrichten, in zwei Wochen nach Berlin zu kommen. Dann kann ich mir das Material mal ansehen und wir machen ein Brainstorming", sagte Joko, sah mich weiterhin dabei an.
„Das geht auch über Zoom", setzte ich dagegen.
„Brainstorming geht immer. Die erste Folge läuft am 7. Mai. Die Termine solltest du dir schon mal in den Kalender eintragen, damit du nach Berlin kommen kannst", entgegnete Schmitti ohne auf mich zu reagieren.
„Wir wissen doch noch gar nicht, was wir machen wollen", protestierte ich.
„Im Mai steht bis jetzt nichts Großes an. Sollte also kein Problem sein", sagte Joko locker und aß genüsslich von seiner Currywurst.
„Ja, sehr gut. Dann sieht man dich wenigstens mal wieder öfter in Berlin", meinte Benni gut gelaunt.
Sehen Sie mich? Können Sie meine Worte hören? Ich hatte gerade irgendwie das Gefühl, dass ich unsichtbar war. Mein Protest wurde nicht mal in Betracht gezogen. Da wurde einfach über meinen Kopf hinweg entschieden, als würde es nicht genügend technische Möglichkeiten geben, eine Reise zu verhindern. Wer waren denn hier bitte die Technik Freaks?
„Ehrlich gesagt, freue ich mich mal wieder darauf, in Berlin zu sein. Das letzte Mal ist viel zu lange her", sagte Joko, sah mich an und wollte mich zu einer Reaktion provozieren.
Ich zwang mich jedoch zu einem freundlichen Lächeln.
„Dann wollen wir mal hoffen, dass du so kurzfristig noch ein Hotel bekommst."
Joko war der Einzige am Tisch, der über meine Aussage lachen konnte.

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