Iphigenie und Orest [Griechische Mythologie]

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- Anmerkung -
Es handelt sich hier um die sehr freie Nacherzählung einer griechischen Sage, ich habe mir den Wikipedia-Eintrag dazu durchgelesen und das war's. Also bitte nicht wundern, wenn sich das hier sehr von Goethes Werk unterscheidet.

Ehrlich gesagt ging mein Leben gerade ziemlich den Bach herunter. Scheiß-Orakel, Scheiß-Elektra, Scheiß-Mutter, Scheiß-Furien und Scheiß-Taurer. Oh, und Scheiß-Götter. Es waren doch immer die Götter. Nur ihnen hatte ich jetzt zu verdanken, dass ich jetzt hier saß, in diesem kalten Gefängnis, und auf meine Hinrich...

Die Gefängnistür öffnete sich knarzend und ich spannte mich unwillkürlich an. War es jetzt soweit? Im Geiste ging ich durch, was ich in meinem Leben falsch gemacht hatte - oh Götter, da gab es einiges. Hätte mein Stiefvater mich doch getötet. Oder vielleicht gleich mein Vater, damals statt meiner Schwester, dann wäre mir viel erspart geblieben. Aber ich konnte ja nichts für meine Schandtaten, für gar nichts trug ich die Verantwortung, mein Schicksal wurde schließlich von den Göttern gelenkt!

Tageslicht fiel durch die Öffnung und beleuchtete die drei Personen, die eintraten: zwei Priesterinnen und eine Wache. Letzere blieb an der Tür stehen, beäugte mich jedoch misstrauisch. Beinahe hätte ich gelacht; wie sollte ich denn fliehen, wo meine Hände doch hinter meinem Rücken an die Wand gefesselt waren?

Die beiden Priesterinnen waren noch jung, die eine fast noch ein Kind. Sie wurde vermutlich noch ausgebildet, denn die andere befahl ihr: "Sieh zu und lerne, Phoebe, so etwas wirst du später auch tun." Dann richtete sie das Wort so autoritär an mich, dass sofort klar war, dass sie eine sehr wichtige Priesterin sein musste, vielleicht sogar die Hohepriesterin. An irgendjemanden erinnerte sie mich...

"Fremder im Land der Tauren, wer bist du? Woher kommst du?"
"Aber was ist das für eine Art, Reisende einzusperren? Mit welchem Recht haltet ihr mich gefangenen?", fragte ich, ohne auf sie einzugehen. Eigentlich wusste ich es längst, doch ich versuchte, Zeit zu schinden. Wozu? Das wiederum konnte ich selbst nicht so recht sagen.

"Unsere Pflicht ist es, Fremde unserer Schutzgöttin Artemis zu opfern", erwiderte sie. "Doch sprich, woher kommst du?"
"Ich bin aus Argos, in Griechenland." Erstaunt weiteten sich ihre Augen. "Argos, sagst du? Weißt du... weißt du etwas über Mykene und ihren König, Agamemnon?" Meine Geschichte schien mich immer und immer wieder einzuholen, doch ich würde nicht so einfach preisgeben, wer ich war.

"Mykene steht, doch der König selbst wurde ermordet."
"Große Götter! Die Familie des Königs, lebt sie noch? Klytaimnera, ihre Kinder Orest und Elektra?"
"Nur die Kinder."
Die Priesterin holte tief Luft, wie um sich zu beruhigen. Die Art, wie sie ihr Kopftuch zurecht zupfte, ihre Stirn runzelte, ihr ganzer Auftritt... warum kam sie mir nur so bekannt vor? "Ich danke dir. Doch wer bist du und wie kommst du hierher? Du und dein Gefährte."

"Wir sind nur auf der Durchreise", wich ich aus.
"Durchreise? Über Tauris? Ihr seid merkwürdige Gesellen!", fand sie.
"Mag sein. Aber wer bist du? Warum fragst du mich nach Mykene und der Herrscherfamilie?", stellte ich eine Gegenfrage. "Ich bin die Opfer- und Hohepriesterin der Artemis auf Tauris. Alles andere tut hier nichts zur Sache. Doch antworte endlich!" Ihre Stimme hatte wieder an Festigkeit gewonnen, sie war wieder ganz die kühle, pflichtbewusste Opferpriesterin, die das nächste Opfer vernahm: "Bevor du geopfert wirst, müssen wir wissen, ob du mit einem Auftrag göttlicher oder königlicher Herkunft betraut warst, und ob du ein Verbrechen begangen hast. Du kannst gestehen, es wird an deinem Schicksal nichts mehr ändern, nur müsstest du rituell gereinigt werden." Göttlicher Auftrag, allerdings, doch wenn ich den jetzt verriet, wäre die Opferung noch das beste, was mir passieren könnte.

Ich zögerte. "Mord...", gestand ich dann schließlich. "Aber mir wurde vom athenischen Gericht Recht gegeben!" Die Priesterin winkte ab. "Das ist gleichgültig. Bete zu einer Gottheit deiner Wahl, denn dir bleibt nur noch diese eine Nacht." Damit drehte sie sich um und schritt von dannen, diese Phoebe und der Wachmann hinterher.

Brodelnder Kessel - Kurzgeschichten aller ArtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt