47 - Harry

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«Verstehe. Ich hätte wohl nicht einfach so davon ausgehen sollen, dass das gestern etwas zwischen uns geändert hat. Oder der Tatsache, dass du vielleicht auch auf Männer stehen könntest. Also sollte ich mich vielmehr bei dir entschuldigen, nicht umgekehrt. Allem Anschein nach stehst du ja wohl wirklich nicht darauf, wenn ein Kerl dir einen bläst. Entweder das oder ich bin einfach nicht gut im Schwänze lutschen», sagte ich etwas gereizter und pampiger als beabsichtigt, doch es half wohl zumindest ihn aus seiner Schockstarre zu befreien. Immerhin sah er mich nun wenigstens an, auch wenn ich mich erneut von ihm abwandte. Dieses Mal jedoch überwiegend aus Scham und Selbsthass.

Matt schüttelte heftig den Kopf, was ich im Spiegel zu meiner Linken deutlich erkennen konnte.

«Das ist es nicht», flüsterte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. Ich sah wie er ein wenig rot anlief und seine Mitte mit seinen Hände bedeckte. Vielleicht war es ihm auch einfach peinlich gewesen, keinen hochzukriegen. Peinlicher jedenfalls als es mir war, obwohl das kaum möglich sein konnte. Es kratzte ein wenig an meinem Ego, denn es war doch ganz offensichtlich meine Schuld, dass ich ihn nicht genug anturnte oder auf irgendeine Weise falsch behandelte.

«Nicht?», hakte ich deshalb unsicher nach und drehte mich nun doch wieder zu ihm um. Ich wollte wissen was los war und ich wollte ihn dabei ansehen. Gott, ich wollte meine Augen keine Sekunde mehr von ihm nehmen, niemals nie! Doch sein Kopfschütteln verursachte nur noch mehr Verwirrung bei mir, was mich seufzend die Schulter hängen ließ.

«Ich will das nicht. Nicht so», erklärte er ruhig, während er sich seine Hosen wieder anzog und danach direkt ein paar Schritte auf mich zu ging. Irgendwie erleichterte es mich ungemein, dass er mich nicht von sich stoß, sondern stattdessen meine Nähe suchte. «Vor allem nicht hier.»

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, was mich ebenfalls zum Schmunzeln brachte.

«Toilettenräume haben es uns wohl echt angetan, was?», neckte ich ihn ein wenig und erntete daraufhin ein schüchternes Nicken. Erleichtert fiel mir ein Stein vom Herzen, es war so als ob die angespannte Situation zwischen uns zumindest ein wenig gelockert war.

«Harry, wir müssen dringend miteinander reden. Ansonsten bringen mich dieses ganzen Auf und Abs noch um. Mir spukt so viel im Kopf herum, was ich loswerden muss. Denn ansonsten werde ich das Gefühl nicht los, jeden Moment zu platzen. Es tummeln sich so viele Fragen da oben drin», sagte er und klopfte sich zum Beweis mit seiner rechten Hand an den Schädel, «und wenn ich die nicht beantwortet bekomme, weiß ich nicht wie ich weitermachen soll.»

Dieses Mal war ich derjenige, der nur stumm nickte und ihm zu verstehen gab, dass ich seine Meinung teilte. Matt hatte sowas von Recht und wahrscheinlich war mir das im hintersten Stübchen meines Unterbewusstseins auch klar, dennoch hatte ich es bis dato erfolgreich verdrängt. Vermutlich war die Angst zu groß, dass es dann schneller zwischen uns vorbei war, als es angefangen hatte. Außerdem hieß reden auch, dass ich mich mit alldem genauer auseinander setzten musste. Es bedeutete eine Entscheidung treffen zu müssen und davor hatte ich mega Schiss.

Mit einem Mal kamen all die unterdrückten Gefühle in mir hoch, mein schlechtes Gewissen meldete sich im Sekundentakt und ich fühlte mich, als ob man mir die Luft zum Atmen genommen hatte. Mir schnürte die Kehle zu und meine Augen waren unnormal groß geweitet. Ich stand kurz davor in mir zusammenzubrechen, doch bevor es dazu kommen konnte, hatte mich auch schon ein großer, warmer Körper in eine Umarmung geschlossen.

«Matthew», hauchte ich verletzt und ließ mich noch im selben Moment gegen seine Brust fallen. Mein Kinn legte ich erschöpft auf seiner Schulter ab, während ich meine Arme um seinen Rücken schlang und seinen beruhigenden Duft einatmete.

«Ich bin hier und das bleibe ich auch, wenn du willst. Wenn du mich lässt. Ich bin es nämlich langsam so dermaßen satt, dass immer einer von uns beiden meint, das Weite suchen zu müssen. Wir sind doch beide erwachsen genug um das zu klären, meinst du nicht?»

Mein neuer AnfangWo Geschichten leben. Entdecke jetzt