Casablanca - Alternatives Ende

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„Rechnungen gehen an dich, Liebesbriefe an mich", sagte Tian zu Greg, als dieser mit dem Gleiter zur Landung ansetzte.

„Das könnte dir so passen", brummte Greg zurück und setzte den Vogel unsanfter auf als nötig.

Das interstellare Gewerbegesetz schrieb vor, dass jede Firma einen festen Sitz haben musste, den man als Geschäftsführer „regelmäßig" persönlich oder durch eine „qualifizierte und autorisierte" Person aufzusuchen hatte, um die Post zu bearbeiten.

Eine archaische Vorschrift, schließlich verschickte mit Ausnahme der meisten Behörden niemand mehr Briefe mit der analogen Post. Aber wer ein Gewerbe anmelden wollte, musste zumindest einen Briefkasten vorweisen, da blieben die Jungs und Mädels in den Ämtern gnadenlos – egal, ob man tatsächlich ein stationäres Büro oder eine Fabrikhalle unterhielt, vom Keller des Elternhauses aus arbeitete oder wie Greg und Tian immer unterwegs war.

Die beiden unterhielten eine kleine Lieferfirma, die vor allem davon lebte, unverarbeitetes Coca vom Mars zum Jupitermond Europa zu transportieren. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Denn auf dem Mars war der Verkauf, nicht aber Konsum und Anbau verboten, auf Europa indes durfte das Coca nicht angebaut oder konsumiert, auf Grund einer absurd-liberalen Handelsgesetzgebung aber sehr wohl gehandelt werden. Die Kunden des kleinen Transportunternehmens kauften das Coca nach eigenen Angaben als Wertanlage und Tian und Greg glaubten ihnen natürlich.

Für ihre Begriffe entsprach einmal jährlich einer ausreichenden Regelmäßigkeit. Sie rechneten der Einfachheit halber in Marsjahren, denn sie beide hätten diesen Planeten als ihre Heimat bezeichnet, wenn sie sich nicht jedes Gespräch über ihre Vergangenheit verboten hätten.

Gelangweilt schlenderten sie eine Straße entlang, die nur aus Briefkästen zu bestehen schien. Hochhäuser voller Firmenanschriften und Postfächer. Ein ganzes Viertel, nur um Gewerbesteuerbescheide zustellen zu können.

Die Gehwege und Gebäude waren so sauber, man sah ihnen an, dass sich hier niemand länger aufhielt. Kein Parkhaus, kein Kiosk, kein Imbiss, kein Supermarkt. Hier lebten vermutlich nicht einmal Ratten.

Beton und Glas – die Architektur für den Höhepunkt einer menschlichen Zivilisation, für eine Gesellschaft, die noch nicht weiß, doch vielleicht bereits in ihren Alpträumen vorausahnt, dass sie kurz vor dem Fall steht.

„Die Stadt ist schon wieder größer geworden", sagte Tian, der es nicht gewohnt war, zu Fuß zu gehen.

„Sie höhlt sich aus", erwiderte Greg, „Die Leute, die noch vor ein paar Jahren darauf gebrannt haben, im pulsierenden Zentrum zu wohnen, haben jetzt genug davon und ziehen mit ihren Kindern an den Rand, weil sie glauben, dass dort die Luft gesünder und die Aussicht schöner ist."

„Pffft", machte Tian, „Wenn es sie glücklich macht, den ganzen Tag auf eine öde Landschaft zu blicken."

„Die meisten von denen blicken mittlerweile auf die benachbarte Wohnanlage oder deren trostlosen Steingarten."

„Wie gut, dass wir die Tristesse nur vom Hören-Sagen kennen", sagte Tian. Aber sein fröhlicher Sarkasmus entlockte Greg wieder einmal nur ein Brummen.

Zurück im Frachtschiff wurde der Postsack auf dem freigeräumten Schreibtisch ausgekippt und Tian und Greg machten sich daran, Werbesendungen auszusortieren – nicht ohne eventuelle Warenproben zurückzubehalten -, Mahnungen den entsprechenden Rechnungen zuzuordnen, sowie Steuerbescheide und Anhörungsbögen abzulegen.

„He, was ist das?" rief Greg plötzlich, als ihm etwas aus einem Briefumschlag entgegen fiel. Er fing es auf, bevor es zu Boden gleiten konnte und stellte fest: „Ein Cocktailschirmchen?"

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