Kapitel 10

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»Warum leuchtest du so schwach?«, fragte Zischß verwundert. Moment, was? Hatte sie mich das gerade wirklich gefragt? Ich verstand nicht genau, was sie damit meinte. Schließlich hatte ich weder mein Handy noch etwas anderes bei mir, das Licht ausstrahlte oder reflektierte. Oder meinte sie, ich leuchtete? Also ich, als Mensch. Ich? Einfach nur ich. Das ging aber nicht. Menschen leuchteten doch nicht, jedenfalls nicht von selbst oder irrte ich mich? Was meinte sie bloß damit?! So eine einfache Frage verwirrte mich total.

»Was meinst du?«, fragte ich noch verwunderter.

»Dass du kaum leuchtest.« Ich verstand immer noch Bahnhof. Die einfachste Lösung war, im Internet zu suchen, was sie damit meinte.

Meine Finger huschten über das Display und meine Augen über die Textzeilen. Und ich fand, wonach ich suchte. Unsere Haut hatte fluoreszierende Eigenschaften, die eigentlich nur ein Nebenprodukt waren. Tatsächlich leuchteten alle Lebewesen in so geringen Mengen, welche das menschliche Auge nicht einmal wahrnahm.

»Keine Sorge, ich leuchte gegen sechzehn Uhr ein wenig stärker«, las ich aus der Seite heraus und musste schmunzeln. Morgens war unsere Leuchtkraft am geringsten. Es war seltsam, wenn man leuchtete und es nicht einmal selbst sah, es aber trotzdem glauben sollte. Anscheinend waren Zischßs nicht vorhandene Augen tausendmal besser als meine. Auch das entnahm ich aus der Internetseite. Natürlich nicht genau das, ein bisschen zusammen puzzeln konnte ich auch.

»Was ist das für ein Ding?«, fragte Zischß nun neugierig und meinte damit mein Handy. Das blieb nicht das Einzige, was ich ihnen alles erklären musste, aber das gehörte schließlich zu unserm Deal. Ich bekam Antworten im Tausch gegen ihre Fragen, die ich beantwortete.

Als ich wieder auf die Uhr sah, musste ich mit Erschrecken feststellen, dass die Flut bald eintreten sollte. Genau genommen in sechs Minuten. Ich musste auf der Stelle zurück, sonst saß ich hier für zwölf Stunden fest, ehe die nächste Ebbe kam. Warum hatte ich mir keinen Wecker gestellt, um mich rechtzeitig daran zu erinnern?

»Ich muss los. Das Wasser kommt gleich zurück«, erklärte ich schnell und eilte schon zum Ausgang.

»Jetzt schon? Dann lasst mich mitgehen«, hörte ich Zischßs Stimme hinter mir sagen. Sie wollte mitkommen? War sie wahnsinnig?! Man würde sie sofort erkennen und was weiß ich, mit ihr machen. Das ließ ich auf gar keinen Fall zu. Sie hatte keine Ahnung, wie die Menschen drauf waren und es war besser, wenn sie es nicht herausfand.
»Ich kann weitere Informationen sammeln und mal ehrlich, wer ist besser dafür geeignet als ich?« Sie meinte es doch tatsächlich ernst, aber ich konnte nicht diskutieren. Die Zeit drängte. Ich musste los, entweder jetzt oder nie.

»Du bleibst hier«, sagte ich schnell. »Die Menschen haben vor dem Angst, was sie nicht kennen - also euch. Sie würden dich gefangen nehmen und Experimente mit dir machen. Wenn du dich als eine von ihnen ausgibst, würden sie dich nicht erkennen, aber das kannst du nicht. Deshalb bleibt ihr hier.« Mit diesen klaren Worten und einer knappen Verabschiedung drehte ich mich um und begann meinen Sprint so gut ich es in dem Watt konnte.

Ich war so leichtsinnig. Die Flut kam in ein paar Minuten, vielleicht nur noch Sekunden. Das ungute Gefühl, dass ich es nicht mehr rechtzeitig zum Strand schaffte, ließ mich nicht mehr los. Es verfolgte mich - im wahrsten Sinne des Wortes. Ich würde ertrinken, schoss es mir durch den Kopf, aber verdrängte diesen Gedanken so tief wie möglich. Doch die Tatsachen sagten etwas anderes. Der Weg war sehr weit, das Rennen erschwert und meine Energie begrenzt. Mein größter Feind waren nicht, wie ich es vermutet hätte, die Aliens, sondern die Zeit und die Flut. Alles in mir widerstrebte sich, weiter zu rennen und stattdessen zu den Außerirdischen zurückzugehen, solange ich es noch konnte. Denn wenn ich die Realität sah, wusste ich, dass ich zu spät losgelaufen war. Vermutlich würde ich es nicht mehr schaffen. Das war die bittere Wahrheit. Für einen kleinen Moment dachte ich daran, umzukehren, doch schnell ließ ich den Gedanken wieder los. Nein, ich konnte nicht mehr umdrehen. Wahrscheinlich schaffte ich es noch.

Jetzt hatte ich nur noch ein Ziel vor Augen. Den Strand.

Gerade war mir egal, ob mich jemand sehen würde. Es war dunkel und mitten in der Nacht. Niemand würde mich entdecken und ich bezweifelte, dass die Wachen mit Nachtsichtgeräten rumrannten. Es gab unzählige Schleichwege, die ich in- und auswendig kannte. Sollte mich einer von ihnen entdecken, könnte ich dort untertauchen oder sie in die Irre führen. Vorausgesetzt ich wäre nach dem Sprint noch in der Lage dazu und ich überlebte das.

Inständig hoffte ich, dass Zischß tat, was ich ihr befohlen hatte. Anderenfalls war das Schlimmste, was ihr passieren würde, alles zu verlieren. Ihre Freiheit, ihre Familie, einfach alles. Ich hatte mir schon oft die Frage gestellt, was die Menschen bei der Alienbegegnung tatsächlich tun würden. Es gab etliche Wege. Entweder sie schlossen Frieden und redeten mit ihnen wie mit normalen Menschen oder sie taten das Gegenteil. Wenn ich es mir nur vorstellte, was sie Zischß antun könnten und vielleicht auch würden, brachte es mein Blut in Wallung. Manche schreckten vor nichts zurück. Das Beste war, den Außerirdischen einfach aus dem Weg zu gehen. Wenigstens glaubten jetzt die meisten daran, dass die Kugelschiffe unbesetzt waren, und das sollten sie meinetwegen auch weiterhin glauben.

Und dann wurde mir wieder bewusst, dass ich niemanden erzählen konnte, wie die Aliens wirklich waren. Nämlich wie wir. Nicht vom Aussehen, aber von ihrer Art, ihrem Denken und ihrem Handeln. Nichts unterschied sie von uns Menschen. Jedenfalls nichts Offensichtliches.

Es kann mir wie eine halbe Stunde vor, als ich die Hälfte der Strecke hinter mir hatte. Jetzt war es endgültig zu spät, um umzukehren. Nun musste ich zum Strand, ich hatte keine andere Wahl.

Ich wagte nicht, einen Blick hinter mich zu werfen. Denn ich ahnte, was ich da sehen würde. Und das löste Panik in mir aus, deshalb dachte ich nicht daran, mein Tempo nur um einen Hauch zu drosseln. Im Endeffekt war es sowieso egal, wie weit ich kam, ich würde es nicht rechtzeitig schaffen. Nicht einmal, wenn ich all meine Kraft zusammennahm. Warum dachte ich das? Meine Gedanken sollten mir Mut und Kraft schenken, anstatt mich runterzumachen.

Doch vielleicht wiesen sie mir auch nur die bittere Realität auf. Durch meine Dummheit musste ich womöglich sterben. Wenn ich einfach dageblieben wäre, dann würde ich weiterleben. Aber das war ich nicht. Und jetzt musste ich die Konsequenzen dafür tragen. Sehr, sehr schwere.

Die Tränen verweilten nicht lang auf meinen Wangen. Der Wind blies sie davon. Nicht einmal weinen konnte ich. Nicht einmal der Wind ließ meine Trauer zu. Vermutlich lag es daran, dass noch nichts verloren war, wollte ich mir einreden. Aber die dunklen Gedanken waren schneller. Kaum hatte ich mich versehen, waren sie wieder zurückgekehrt.

Mein Leben war viel zu kurz. Ich hätte viel mehr tun sollen oder überhaupt tun können. Wenn ich jetzt starb, konnte ich nicht einmal sagen, dass ich ein erfülltes Leben hatte, denn das stimmte nur halb. Und wofür das ganze? Ein paar dämliche Informationen über die Außerirdischen. Nicht sie hatten mich umgebracht, sondern meine Dummheit und meine Ungeduld.

Ich war es. Ich beging Selbstmord, ohne es zu wollen. Wie peinlich und bemitleidenswert war das denn?

Alienwar - Ist das der Untergang?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt