Kapitel 8: Was wir geworden sind...

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 Frühjahr 1217
Wälder

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Stetig wie Trommelschlag hallte der trabende Hufschlag zwischen dicht beisammenstehenden Bäumen hindurch. Klauen von Nebel sickerten zwischen ihnen hindurch und verlieh dem Wald einen mysteriösen, bedrohlichen Glanz. Es war still, obwohl sich das spärliche Licht der Dämmerung langsam erhob. Jegliches Leben schien den Atem anzuhalten, als wüsste es, dass Gefahr in der Luft lag.
Die Hufe des Pferdes gruben sich immer wieder platschend in den von Regen und tauendem Schnee aufgeweichten Boden. Schlamm spritzte nach oben und färbte die weißen, langen Beine des Rosses graubraun. Sprenkel, die sich bis auf die Brust des Reittieres hinaufzogen und sogar die dunklen Lederriemen befleckten. Das Zaumzeug klirrte wann immer das Ross den Kopf ein wenig schüttelte. Der Sattel knarzte bei jeder Bewegung des Reiters, dessen Wams von den Tropfen die von den Bäumen perlten und auf ihn niederprasselten, fest an der Haut klebte. Aus den ebenfalls von Feuchtigkeit dunkel getünchten Satteltaschen erklang immer wieder ein metallisches Klirren. Ließ nur erahnen, dass sich in diesen etwas befand, was von Wert für den Reiter war.

Das aufkeimende Licht, kämpfte sich nach und nach durch die Nebelschwaden. Wischte sie mühsam beiseite und sickerte in segnenden Strahlen durch das karge Geäst. Ein Anblick, der verträumte Seelen zweifellos dazu gebracht hätte einen Moment zu verharren und andächtig den Blick streifen zu lassen. Doch nicht den Reiter. Sein Herz blieb kalt wie eine Winternacht und der Blick starr auf den ausgetretenen Pfad gerichtet, dem er folgte.

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Es war ein leises Plätschern was die Ohren erreichte und schließlich den Blick vom Pfad lenkte. Die Hände, welche die Zügel die ganze Zeit eisern umschlungen hielten, verstärkten ihren Griff noch etwas, er sie bestimmend zurückzog und sein Gewicht nach hinten verlagerte. Schnaubend, geriet sein Reittier aus dem Takt, riss wiederwillig an den Lederriemen und brachte das Gebiss in seinem Maul mit Kauenden Bewegungen zum Klappern, ehe es sich tänzelnd dem Willen seines Reiters fügte. Noch mehr Schlamm spritzte, als es die Hufe ruckartig in den Dreck grub und zum Stehen kam. Die Bewegung kam so unvermittelt, dass der stämmige Körper des Reiters aus den Sattel gehoben wurde. Für einen Moment, schien es, als würde die Gestalt in einer uneleganten Art über den Hals seines Tieres absteigen und seine durchnässten Sachen nun auch noch mit Schlamm besudeln. Doch im letzten Moment, schoss eine Hand in einer schnellen Bewegung nach vorn. Stützte sich auf dem muskulösen Hals des Rosses ab und drückte sich wieder zurück in den Sattel.
„Verfluchter Gaul!" grollte eine dunkle Stimme, scharf wie geschliffener Stahl und doch fern jeglicher Gefühle. Eine Stimme, welche seiner finsteren Gestalt nur stand, waren doch seine Kleider Schwarz wie Pech.

‚Selbst verursachtes Leid...' erhob sich eine leise, knurrende Stimme und drang an sein Ohr, ‚Ich konnte eh nicht verstehen, wieso du gerade diese Art des Reisens gewählt hast.' Zweige knirschten leise unter einer aufkommenden Brise, welche die Vermutung nahelegte, dass die Stimme vom Wind an sein Ohr getragen wurde. Doch der Reiter wusste es besser, schnaubte verbittert und ergriff die Zügel des weißen Pferdes. Sich durch eines der Gesträuche am Wegrand schiebend, folgte er dem leise plätschernden Klang. Ein schmaler Bach schlängelte sich hinter den Büschen durch das Unterholz. Klares Wasser, welches schnell an Steinen leckte und an den freigespülten Rändern zerrte. Winzige, blubbernde Schaumkronen tanzten hier und dort an der Oberfläche. Die Schneeschmelze hatte den Bach anschwellen lassen. Sorgte dafür, dass immer wieder Wellen über den Rand schwappten und nach den Ledernen Stiefeln griff. Den Blick gleiten lassend, entdeckte er etwa 50 Fuß von sich entfernt eine kleine Ausbeulung, wo das Wasser sich an morschen Ästen und darin verfangenen Laub staute. Der kleine Damm sorgte dafür, dass sich die wilden Wellen in der Kuhle glätteten und ein kleiner Tümpel entstand. Perfekt um das Ross zu tränken nachdem sie den halben Tag und fast die ganze Nacht hindurch mit nur kurzen Rasten gereist waren.
Mit schmatzenden Schritten watete er am Ufer entlang zu dem kleinen Tümpel. Klopfte auf den breiten Hals des Tieres, ehe er den Lederriemen vom Hals fischte und um seine Schultern legte. Fast sofort senkte das kräftige Tier den langen Schädel und tauchte seine Nase in das erfrischende Nass, trank mit gierigen Schlücken. Auch der dunkel gewandte Reiter sank schließlich neben dem Ross dem feuchten Boden entgegen. Kniete sich an das Ufer und spürte die Nässe und den Schlamm durch den Stoff der Beinkleider drücken. Wie Nägel stach das das eisige Wasser in seine Finger, als er die Hände in das Wasser tauchte. Seine eigene Kehle benetzte ehe er sich eine Handvoll von dem eisigen Nass ins Gesicht spritzte um seine Lebensgeister zu wecken.
Die Tropfen rannten über sein Gesicht. Sammelten sich in den dem duckten Flusen seines Bartes, ehe es wieder zurück in den Tümpel fiel und kleine Wellen warf. Seine Augen fielen auf sein Spiegelbild.
Er hatte sich verändert. Das einst kurze, glatte Haar fiel in einer ungepflegten, fast zerzausten Mähne auf seine breiten Schultern. Die rauen Stoppeln waren zu einem dichten Bart geworden, der seine scharfen Gesichtszüge beinahe vollkommen verschleierte. Noch immer hingen die Tropfen in der mattschwarzen Gesichtsbehaarung und fielen nur langsam herab, brachen das Spiegelbild immer wieder mit den kleinen, zarten Kreisen. Die Augenbrauen waren dichter, standen leicht schräg und verliehen ihm ein wildes Aussehen. Die Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst und schienen seit einer Ewigkeit kein Lächeln mehr gesehen zu haben. Die Augen, die einst sanft Haselnussbraun aus dem Antlitz hervorgeblitzt hatten, hatten ihre Unbeschwertheit und Liebe verloren. Waren dunkel geworden, fast Schwarz und ließen kein Blick auf die Seele zu. Das einzige helle in ihnen, war ein schmaler, bläulicher Kreis, der sich nahe der Iris durch das seelenlose Schwarz zog. Ein Kreis, der die Anwesenheit von jemand Anderen, etwas Anderen bewies. Das Tier was seit nunmehr 2 Jahren in seinem Inneren lebte. Lyrax, die Stimme, die in seinem Ohr erklungen war.
‚So gesprächig wie immer...' Knurrte das Biest wie auf Kommando und veranlasste den Menschen, der einst auf den Namen Markus gehört hatte, dazu das Gesicht mürrisch zu verziehen. Der helle Ring in seinen Augen leuchtete bläulich auf, streute Sprenkel in das leblose dunkel wie Sterne an einem Nachthimmel. ‚Du solltest die Chance nutzen und dich waschen...' grollte der Wolf in seinem Inneren weiter, ‚Wir stinken wie ein seit Wochen verwesender Bär.'
‚Halt endlich das Maul...'
schoss der Mann, der keinen Namen mehr hatte, frostig zurück. Markus Lykanon war Tod, auch wenn das Herz in der Brust noch schlug und seine Lungen gierig Luft in die kräftige Brust zogen. Er hatte keine Lust mit dem schwarzen Wolf in seinem Inneren zu reden. Selbst nach 2 Jahren, war es immer noch seltsam mit der Stimme in seinem inneren zu reden. Anfangs, war es so ungewohnt, dass er jedes Mal, wenn die knurrende, schwere Stimme zu ihm sprach zusammengezuckt wie ein von den Eltern gescholtenes Kind. Es kam ihm teilweise so vor, als wäre er verrückt geworden. Eine der bemitleidenswerten Seelen, die mit sich selbst sprachen und von den Leuten als verrückt und vom Teufel besessen angesehen wurden. Wäre da nicht die Narbe auf seiner Brust, die der Dolch hinterlassen hatte, hätte er vielleicht sogar angenommen, dass statt der scharfen Klinge ihn eine Keule auf dem Kopf getroffen hatte. Doch dies war nicht das Schlimmste.
Das Schlimmste war, was aus ihm geworden war.
Wann immer sich der Mond in seiner vollen Pracht über die Wipfel des Waldes erhob und sein gleißendes Licht auf seine Haut traf, erwachte das Tier unter seiner Haut. Eine Bestie, wie er sie noch nie gesehen hatte. Ein Monster, was Leid und Tod über alles brachte, was sich bewegte und atmete.
Anfangs konnte er es nicht verstehen. Wusste nicht, was mit ihm geschah sein Körper anfing zu brennen. Sein Blut in den Adern zu kochen schien, ehe der Schmerz über ihn herfiel. Es war neu, es war Fremd. Fremd wie die Stimme des Tieres in seinem Kopf, an das man ihn gebunden hatte.
Dann kam der Schmerz. Ein Schmerz, wie er ihn noch nie gespürt hatte. Es war nicht mit dem Schmerzen vergleichbar, die ihn früher begleitet hatten, als er noch der Bauer gewesen war, der sein Tagewerk auf den Feldern verrichtet hatte. Es waren keine schmerzenden Muskeln. Keine Erschöpfungsschwere. War nicht mit dem Schmerz und der Kälte vergleichbar gewesen, die er verspürt hatte, als der Dolch sich in seinen Körper gegraben hatte. Nein, er hatte es gespürt, wie sich die Muskeln unter der Haut aufbäumten und bewegten. Wie sie sich verschoben und in eine andere Position verschoben. Spürte den Druck auf seine Knochen, denen Gerüst nicht mehr zu den Strängen passten. Und er hatte Geschrien. Geschrien, dass der Wald anhand seiner Klagerufe verstummt war, als das Gerippe brach. Knochen für Knochen wurde auseinander gerissen und setzte sich neu zusammen. Er erinnerte sich verschwommen daran, wie er durch einen Tränenschleier beobachtete wie seine Hand sich verkrampfte. Die Gelenke aus ihren Pfannen sprangen und seine Nägel wuchsen. Die Hand sich zusammenzog und neuformte. Fell zu wachsen begann und er schließlich auf die Krallenbesetzte Tatze eines Tieres starrte – nicht irgendeines Tieres – eines Wolfes. Etwas was ihn in Schrecken versetzte, doch ehe er einen klaren Gedanken hatte fassen können, brachen die Nächsten Knochen und seine Schreie verstummten. Wurden von Klageliedern zu einem jaulenden Wimmern.

'Wann lernst du endlich, dass dies nun UNSERE Natur ist?" Unterbrach das genervte Grollen seine Erinnerungen. Das Biest in seinem Inneren, hatte sich schon längst damit abgefunden, dass sie nicht mehr das waren, als das sie geboren wurden. Immer zu redete es von der Aufgabe, die ihnen die Göttin auferlegt hatte. Das Geschenk, so nannte es der Wolf. Markus sah es eher als Fluch. Er lebte, obwohl er Tod sein sollte. Er wandelte auf dieser Welt und doch hatte er das verloren, was ihn zu einem Menschen geformt hatte. Das und so viel mehr.
„Wirst du jemals aufhören zu trauern?" schnaubte es erneut, „Es sind 2 Jahre vergangen. Und anstatt, dass wir unsere Aufgabe erfüllen, verstecken wir uns in den Wäldern. Wir töten Menschen und was? Suchen den Mörder deiner Frau... Wir haben wichtigeres zu tun!"
„Wir haben ein Abkommen, Wolf."
Antwortete der Mensch und hob den Blick von dem kleinen Tümpel, starrte an das gegenüberliegende Ufer.
Du hilfst mir den Mörder meiner Frau und meines Kindes zu finden. Und dann kannst du tun was auch immer du willst. Dann kannst du DEINER Aufgabe Folge leisten. Doch nicht bevor ich habe, was ich will!"
„Deine Rachegedanken vergiften dein Herz, Mensch."
Schnappte Lyrax in seinen Gedanken. Markus spürte einen Druck in seinem Kopf. Es fühlte sich an, als würden sich Nadeln in seine Kopfhaut bohren und sich in sein Schädel winden. Stöhnend, senkte er den Kopf wieder. Wusste, dass dies das Werk dieser Bestie war, die in ihm lebte und ihn verändert hatte.
Es ist UNSERE Aufgabe. WIR sind aneinander gebunden! Was ist, wenn der Mörder schon längst in die Jagdgründe zurückgekehrt ist? Was wenn wir einen Geist jagen? Ist dir das schon Mal in den flohverseuchten Sinn gekommen?"
Den Blick wieder auf die Oberfläche des Tümpels gerichtet, erblickte er ein verändertes Gesicht. Die dunklen Augen waren verschwunden. Das dunkle braun war einem schimmernden eisblau gewichen. Über die rauen, von Wetter gezeichneten Lippen ragten Fangzähne. Lyrax hatte sich in den Vordergrund gedrängt und war dabei die Kontrolle zu ergreifen.
„Pass auf, Mensch..." Markus erschrak als seine Lippen sich bewegten und die Tiefe Stimme, die er immer in seinen Gedanken hörte sprach. „Ich gab dir mein Wort, dir zu helfen deine Rache zu erlangen." Die blauen Irden blitzten gespenstisch auf der Oberfläche.
„Ich weiß, wo wir sind und wohin du willst." Die Lippen verzogen sich zu einem brausamen Lächeln.
„2 Jahre warte ich nun schon und habe es dich auf deine Art machen lassen. Meine Geduld ist aufgebraucht. Wir werden es auf meine Art machen. Das bedeutet, ob es dir gefällt oder nicht, werde ich auch damit beginnen, UNSERE Aufgabe zu erfüllen."
„Das kannst du nicht... was wenn sie es..."
Wie sollen sie uns aufhalten? Wir sind stärker, schneller... und bald ... nicht mehr allein." 

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Chronik der Lykaner - Der Sohn des MondesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt