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Wir waren genau 23 Tage unterwegs, bis ich von weitem wieder Land entdecken konnte. Ich hatte noch nie zuvor mein Zuhause verlassen, weshalb der Anblick dieses unbekannten Ortes eine Mischung aus Gefühlen hervorrief. Ich hatte Angst und gleichzeitig war ich überglücklich und konnte es nicht erwarten dieses mir völlig unbekannte Land zu betreten. Ich hatte Tränen in den Augen und eine Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Körper gelegt hatte. Die Sprache, welche man auf der Dracheninsel spricht hatte ich gelernt, doch meine Nervosität konnte auch dieses Wissen nicht nehmen. Umso näher die Insel kam, umso stärker wurden meine Gefühle. Wir legten an.

Ich wurde bereits von einigen Soldaten erwartet als ich das Land betrat. Sie verbeugten sich tief vor mir und sprachen: „Euer Vater hat uns durch Brieftauben Euren Besuch angekündigt. Uns wurde befohlen Euch zur Königin zu bringen." Mehr sagten sie nicht. Auch nicht den ganzen dreistündigen Weg, den wir auf uns nehmen mussten um zum Zentrum der Insel und auch des Palastes der Königin zu kommen. Einen langen Gang musste ich folgen bis ich schließlich in den Thronsaal kam. Das erste was mir einfiel war: „Ganz schön klein hier." Natürlich für die meisten Menschen musste der Raum riesig wirken. Die Wände waren aus schwarzen Felsen. Ein solches Gestein hatte ich noch nie gesehen. Es war pechschwarz und schimmerte wie tausend Edelsteine. Wunderschön. Der Thronsaal meines Vaters war mit Abstand größer. Stolz erfüllte mich. Erst durch ein Räuspern wandte ich mich der Königin zu. Ich hatte bereits viel über sie gelesen. Königin Leisane. Sie hatte selbst einen Drachen erwecken können. Leisane war einmal eine Prinzessin gewesen. Aus Angst vor ihr und ihrer Kraft wurde sie dann auf eine einsame Insel verbannt. Die Dracheninsel. Sie hatte eine so weiße Haut, dass sie fast durchsichtig wirkte. Ihre rabenschwarzen Haare bildeten einen starken Kontrast und ließen sie krank aussehen. Ich trat näher heran. Von Nahem konnte man ihre starken Wangenknochen und ihre giftig grünen Augen sehen. Sie sah nicht aus wie ein Mensch. Eher als wäre sie selbst eine Art Monster.

„Luciana. Willkommen auf der Dracheninsel. Es kommt nicht häufig vor, dass uns eine Adlige besucht" Ihre Stimme überraschte mich. Ich hatte eine dunkle, bösartige Stimme erwartet, die zu ihrem Aussehen gepasst hätte, doch ihre Stimme klang wie die eines kleinen Mädchens. Ich verneigte mich leicht und gab ein nervöses „Danke.", von mir. Sie schien entweder meine Nervosität nicht zu bemerken oder sie nahm sie absichtlich nicht wahr, um mich nicht in eine unangenehme Situation zu bringen. „Mein Name ist Leisane.", stellte sie sich vor und zeigte dann auf den Mann neben ihr. „Und das ist Tharut. Meine Leibgarde." Er war braungebrannt und hatte kurze Locken und starrte mich skeptisch an. Auch wenn sie behaupteten, sich zu freuen, mich als Gast zu haben, war es offensichtlich, dass sie mir misstrauten. Ich lächelte die Beiden freundlich an.

„Also was ersuchst du bei uns zu finden?", fragte mich Leisane und ihre anfängliche Höflichkeit war gewichen. „Ich würde gerne meines Bruders Beispiel folgen und ebenfalls bei Ihnen lernen." Ihre Augen kniffen sich zusammen. „Ich verstehe. Und wieso genau bist du an meinem Wissen interessiert?" Ihre Mimik verriet eine gewisse Ablehnung mir gegenüber. Im Widerspruch dagegen klang ihre Stimme noch immer weich und melodisch. Ich dachte darüber nach zu lügen oder die Wahrheit ein Stück weit zu verändern. Nein. Leisane war die Art von Person, die jegliche Lüge sofort durchblickt. Sie sich zum Feind zu machen wäre nicht die beste Idee. Stattdessen entschied ich mich die Wahrheit zu erzählen und nichts als die Wahrheit. „Ich möchte das Wissen erlangen um eines Tages selbst jene Fähigkeiten zu erlangen, von denen sich schon seit Jahrzehnten Geschichten erzählt werden. Ich möchte meine Familie im Kampf zur Seite stehen und für Frieden sorgen."

In ihren Augen blitzte Hass auf und sie sah mich abfällig an. „Du wirst sicherlich verstehen, dass wir dir nicht helfen können." Ein Gefühl von Verwunderung brach in mir aus. Ich konnte nichts dagegen tun selber auch eine Abneigung gegen sie zu entwickeln. „Ich verstehe nicht. Meinen Bruder habt Ihr doch auch gelehrt?" Ich hatte Schwierigkeiten damit mit meiner Stimme nicht jene Abneigung verraten, die ich in diesem Moment ihr gegenüber empfand. Darauf begann sie zu lächeln, was mich noch mehr verwirrte. „Das stimmt. Doch im Gegensatz zu dir hatte er keinerlei Absicht weiterhin Blut zu vergießen" Ich atmete kurz aus um mich zu beruhigen und meine Worte vorzubereiten. „Ich will mein Volk beschützen. Ich will nur verhindern, dass der Falsche zu viel Macht besitzt und die Menschen ins Unglück stürzt." „Und du maßt dir an zu wissen wer der Falsche ist? Du weißt nur was du wissen sollst mein Kind." Sie gab mir keine Möglichkeit ihr zu widersprechen da sie sofort wieder ansetzte: „Ich werde nicht zulassen, dass noch mehr Blut fließt durch meine Schuld." Ich begann sie zu respektieren. Sie war nicht wie die meisten Adligen, die ich kannte. „Ich bitte Sie. Ich will nichts als mein Volk davor zu beschützen in die falschen Hände zu fallen." „Luciana!", Ich drehte mich schnell um und erkannte ihn erst nicht. Der Mann, der vor mir stand hatte langes blondes Haar, saphirblaue Augen und war etwa zwei Köpfe größer als ich. Als er schnell auf mich zugelaufen kam erkannte ich ihn. „Joshua!", rief ich. Wir liefen uns gegenseitig in die Arme und umarmten uns innig. Es war über fünf Jahre her als wir uns zum Abschied das letzte Mal gegenüberstanden. Eine Wärme machte sich in mir breit, die meinen ganzen Körper einnahm. Sein typischer Geruch kam mir in die Nase. Eine Mischung aus Moos und Tannennadeln. Ich hatte ihn so vermisst. Uns beiden liefen die Tränen und wir standen einfach nur da und umarmten uns. Als wir uns lösten sahen wir einander von oben bis unten an. Es war so viel Zeit vergangen. Wir waren keine Fremde, doch hatten wir uns gegenseitig kennen verlernt.

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