Andreas schwang sich auf sein Pferd und umarmte mich ein letztes Mal herzlich. „Ich brauche dich hier.", versuchte ich es ein letztes Mal. „Ich muss Friedrich und seine Schwester finden. Sobald ich sie gefunden habe werde ich zurückkommen." „Und wenn sie nicht für den Mord verantwortlich sind und sich der echte Mörder noch irgendwo hier aufhält?" „Sei nie alleine bis ich wiederkomme. Halte dich an Keith." Er blickte mich wissend an. „Er kann dich im Falle beschützen." „Aber...", begann ich, da war Andreas aber schon an mir vorbei geritten. „Ich werde bald zurückkommen. Ich weiß wo sie sich vermutlich aufhalten.", rief mir Andreas noch zu und verschwand dann. Und ließ mich alleine.
Ich wusste nicht was ich denken oder fühlen sollte. Es war als wären meine Gefühle taub geworden. Ich wusste was ich zu tun hatte, oder eher was ich tun musste. Wer ich zu sein hatte. Mein wahres Ich hatte da keinen Platz mehr.
Keith kam auf mich zugelaufen und atmete schwer. „Das was gestern passiert ist mir so peinlich. Ich hätte nie so viel trinken sollen." In Gedanken war ich ganz wo anders. Bei Hannahs Mord. Was davor passierte schien mir auf einmal unendlich unwichtig. „Ist schon in Ordnung.", antwortete ich schnell. Er schien meine Abwesenheit zu bemerken, denn seine Verunsicherung war verflogen. „Ist alles in Ordnung?", fragte er vorsichtig. Ich hätte fast gelacht. „In Ordnung? Natürlich ist alles in Ordnung. Es ist ja nur meine Schwester ermordet worden. Mir geht's prächtig." Ich brachte kein Wort heraus. Natürlich war nichts in Ordnung. Ich wollte nicht mit irgendjemand darüber reden. Am wenigsten mit ihm. „Falls ich Euch gestern zu etwas gezwungen habe, was Ihr nicht wolltet, dann tut es mir unendlich leid.", fügte er hinzu als er meinen Blick sah. Wie konnte er ernsthaft denken, mir ginge es so schlecht wegen dem zwischen uns, wenn meine Schwester tot war? Er musste es mitbekommen haben. „Es ist nicht deswegen.", antwortete ich schnell. „Wollen Sie darüber reden?", fragte er mitfühlend. Die Wut in mir stieg. „Nein! Auf jeden Fall nicht mit dir!", schrie ich ihn an. Als ich seinen verletzten Gesichtsausdruck sah, tat mir meine eigene Wut leid. Ich war wie ein Kleinkind, wie ich meine Wut an jemanden ausließ, der absolut nichts dafür konnte. Aber wieso war er so unempfindlich? „Ich wollte nur sagen, dass ich natürlich viel getrunken habe, aber ich habe es auch so gemeint. Also ich empfinde etwas für Sie.", flüsterte er vorsichtig. Ich wusste nicht was ich in dem Moment fühlte. Jedoch etwas anderes als ich noch vor ein paar Wochen erwartet hätte zu fühlen, wenn er mir seine Zuneigung gesteht. Ich fühlte mich eingeengt. So als wollte ich unbedingt meinen Kontakt zu ihm so minimal wie nur irgendwie möglich halten.
Ich sah ihm in die Augen und antwortete kalt: „Ich aber nicht. Ich will die Nacht einfach vergessen." Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Mundwinkel bebten. Er war gekränkt.
Ich wusste nicht wieso ich das gesagt hatte. Es war nicht wahr. Natürlich fühlte ich etwas für ihn. Nur in dem Moment konnte ich nicht anders als ihn von mir zu stoßen. Ich verstand mich immer schlechter. „Okay.", antwortete er in einer kaum hörbaren Stimme. Er verschwand schnell wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich ließ mein Gesicht in meine Hände sinken und blieb für einige Minuten in dieser Position.
Ich las in einem neuen Buch, welches mir mein Vater geschenkt hatte. Es ging um Kriegsstrategien und langweilte mich zu Tode. Ich musste nur irgendwie die Zeit überbrücken. Zu lesen gab mir das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun, auch wenn ich mich nicht länger als eine Minute am Stück auf das Buch konzentrieren konnte. Immer wieder kamen mir die schrecklichen Bilder ins Gedächtnis, wie sie da lag. Hatte sie Schmerzen gehabt? War es schnell gegangen? Seit Tagen hatte ich nichts anderes im Kopf. In den Nächten konnte ich nicht mehr einschlafen, da schlechte Gedanken mich wach hielten. Den einzigen Schlaf den ich bekam waren kleine Minuten-Schläfe, die ich über die Tage verteilt schlief. Ich fühlte mich schrecklich. Meine Glieder hatten begonnen zu schmerzen. Ich konnte nicht mehr schreiben, da meine Hand nicht aufhören wollte zu zittern. Ich hatte sogar Probleme mit dem laufen. Essen runter zu zwingen, fiel mir schwer und ich tat es nur wenn jemand in der Nähe war. Immer mehr zog ich mich in mein Zimmer zurück. Ich hatte keine Energie mehr. Alles erinnerte mich an sie. Ich hatte seit ihrem Tot vor acht Tagen nicht einmal geweint. Auch dafür fehlte mir die Kraft. Stattdessen lag ich auf meinem Bett und tat Stunden über Stunden nichts als an die Decke zu starren. An mir war kaum mehr etwas Menschliches. Ich fühlte kaum mehr etwas. Alles was ich spürte war eine Mischung aus Taubheit und Kälte.
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Erbsünde
FantasyLuciana, Tarmin, Theriza und Victoria müssen, so wie jeder von sich denkt der rechte Thronfolger zu sein, um die Macht über Migorien kämpfen und überleben.