Ich würde...

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In diesem Buch werde ich euch erzählen, wie Stück für Stück ich mich selber verlor.

Wie Stück für Stück jeder Winkel meines Lächeln mit Tränen ersetzt wurden.

Wie Stück für Stück meine Seele sich dieser Welt entfremdete. Wie ich mich mir entfremdete.

Mich selber nicht wieder erkannte.

Anfing jeden Morgen, Probleme damit zu haben mein eigenes Gesicht wieder zu erkennen.

Und meine Kindheitsträume mit dem Wunsch verblassten, einfach aufzugeben.

Mich der Leere hinzuwerfen. Mich der Last in meiner Seele hinzugeben und mit dieser Last auf den festen Asphalt zu prallen.

Blut bedeckt dort zu liegen und die Entlassung mit jedem einzelnen Blutstropfen der meinen Körper verlässt zu spüren.

Bis meine Seele so leicht wird, dass es in den Himmel hinauffliegen kann. Und ich lächelnd vom Himmel auf den reglos dort liegenden Körper, den ich in dieser verdreckten Welt zurücklassen würde hinab blicken würde. Nur um dann mit den Flügeln den ich für meinen schweren Körper eingetauscht hatte, noch höher empor in den Himmel fliegen zu könnte. Und noch höher. Und immer höher.

Doch während meines Flug würde ich stoppen. Ein Geschrei, der in meinen Ohren dröhnen würde, würde mich in meinem Emporsteigen in die langersehnte Freiheit stoppen.

"Warum? Warum nur?"

"Sie hatte doch gar keine Probleme gehabt"

"Warum hast du uns das angetan? Hat sie denn nie an uns gedacht? Wie wir hier hinterbleiben würden."

"Warum hat sie uns den Schmerz zurückgelassen."

Die einzelnen Stimmen würden den Menschen gehören, die mich liebten. Die ich über alles liebte.

Zunächst würde ein Feuer in mir brodeln. Den ich wie immer versuchen würde zu ignorieren. Vor allem jetzt, da ab diesen Moment nichts mehr wichtig sein würde. Nichts mehr eine Relevanz hätte.

Doch dieses Feuer, gespeist aus den Erinnerungen aus meinen Leben würden mich diesmal hindern, einfach weiterzufliegen.

Ich würde mich zu Ihnen drehen und nun den ganzen Wut aus mir schreien.

HABT IHR DENN JE AN MICH GEDACHT? HABT IHR DENN JE MICH GESEHEN! ICH BIN VOR EUREN AUGEN MIT JEDEM TAG, MIT JEDER STUNDE SOGAR MIT JEDER SEKUNDE VERWELKT. DIESEN SCHMERZ DEN IHR JETZT HABT HABE ICH JAHRE IN MIR GETRAGEN NUR UM IHN EUCH NICHT ZU GEBEN. UM EUCH DAVOR ZU BEWAHREN. ABER IHR HABT IHN MIR NICHT ABGENOMMEN, HABT ES ZUGELASSEN WIE MIT JEDEN VERGANGENEM TAG DIESER TAG VON MIR ETWAS NAHM. ZUM ERSTEN MAL, ZUM ERSTEN MAL IN MEINEM LEBEN TAT ICH ETWAS FÜR MICH.

Ich würde meine Wut, ich würde meine Enttäuschung und die Angst in der ich eine Ewigkeit leben musste ausschreien. Doch es würde nicht reichen.

Ich würde immer mehr schreien. Immer mehr Ihnen Sachen vorwerfen. Sie für diese Tat beschuldigen.

Nur um dann atemlos stumm zu sein, sobald das Feuer erlischt.

Und diesmal würde sich ein Krampf in meiner Brust füllen. Denn ich würde in die weinenden Gesichter der Menschen blicken, die sich um meinem Körper versammelnd hatten.

Die mich einst geliebt hatten.

Und nun sich die Schuld für diese Tat geben würden.

"Es.. Es tut mir Leid." würde ich überwältig von den Emotionen mit einer erstickten Stimme sagen.

Es war ein unerträglicher Gedanke zu wissen, dass sie den Schmerzen, der mich aufsog nun  in sich trugen.

"Es tut mir Leid, dass ich es nicht mehr aushalten konnte. Es tut mir leid, dass ich euch diesen Schmerz überlassen muss. Es tut mir leid, dass ich so schwach war. Es tut mir leid dass ich nicht an eurer Seite bleiben konnte, obwohl ich es verdammt nochmal wollte. Es tut mir leid, dass ihr das erleben müsst. Es tut mir leid, dass es dazu kam. Es tut mit leid, dass ich das machte. Es tut mir leid. Es tut mir so verdammt leid, dass es nicht mehr in meiner Hand war. Es tut mir leid, dass ich jedes Mal hinfiel, nachdem ihr mich versucht habt auf die Beine zu heben. Es tut mir leid, dass ich aufgehört habe euch um Hilfe zu beten. Es tut mir leid, dass ich gedacht habe ich sei euch eine Last. Es tut mir leid, dass ich euch immer anrief. Es tut mir leid, dass ihr kein normalen Alltag mit mir haben konntet. Es tut mir leid, dass ich nicht normal sein konnte und jedes Mal ein Schritt vor dem Wahnsinn war. Es tut mir leid, dass ich euch wehtat auf die Art wie ich geworden bin. Es tut mir leid, dass sich unsere Gespräche nur noch um meinen Zustand handelte. Es tut mir leid, dass ich mich nicht um euch kümmern konnte. Es tut mir leid, dass unsere Beziehung einseitig und nur über mich und meine Problemen handelte. Es tut mir leid, dass es außerhalb meiner Kontrolle war. Es tut mir leid, dass ich das weinende Kind in mir nicht umarmen konnte. Es tut mir leid. Es tut mir einfach verdammt leid. Es tut mir leid, dass ich mich nicht so lieben konnte wie ihr mich liebt..."

Atemlos würde ich stoppen.

Ich würde immer noch mit den Flügeln im Himmel fliegen und auf die Welt hinabschauen. Nur um zu sehen, dass die Menschen die ich liebte nicht mehr weinten.

Ich würde sehen, wie sie ihr leben lachend weiter führen würden, während ich vom Himmel sie beobachten würde.

Sie würden schöne Momente erleben, an den ich nicht teilhaben konnte.

Außer dass alle paar Wochen, nachdem mein Name fiel ein paar Tränen vergossen werden würde, würde ich in vollkommene Vergessenheit geraten.

"Hey, Stopp!" würde ich verzweifelt rufen.

"Ich bin hier!!! Direkt hier!"

Doch niemand würde mich sehen. Wieder würde ich unsichtbar sein.

Außerdem könnte niemand je beweisen, dass ich auf dieser Welt gelebt hätte. Ich wäre einzig und alleine eine unangenehme Erinnerung, die jeder verdrängen würde um keinen Schmerz zu erleiden. Um die Stimmung nicht zu verderben, würde auch nach einer Weile niemand mehr meinen Namen in den Mund nehmen.

"Wie schnell konntet ihr mich vergessen?!"

Die Menschen die ich liebte, würden jegliche Sachen vermeiden, damit sie sich nicht an mich erinnern mussten.

Aber im Gegensatz zu mir würden sie weiter leben.

Und wieder würde ich am Ende allein gelassen werden.

Am Ende würde ich merken, dass sie nicht wie ich auf dem Himmeln emporsteigen würden. Sie würden dort unten in dieser verdreckten Welt bleiben und ich würde alleine emporsteigen.

Ich würde das ganze nur mir antuen. Nur ich würde davon Schaden tragen. Ich würde mit eigenen Händen meine Spur aus dieser Welt löschen. Nur weil ich nicht imstande war Hilfe zu holen. Wie davor wäre ich wieder alleine.

Und angesichts dieser Gedanken, würde ich ein Schritt nach hinten machen. Mich gegen diese Vorstellung stellen. Mich gegen den Aufprall auf dem Asphalt entscheiden und mich vom Absturz in die endlose Tiefe entfernen. 

Nur um paar Wochen später das ganze Szenario zu wiederholen.

Gedanken, die mich am Leben haltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt