Langsam taten Julian wirklich die Füße weh. Seit gefühlten Stunden folgte er den Schildern an der Hauptstraße Richtung Hauptbahnhof. Er hatte keine Ahnung wie lange er noch laufen musste.
Dabei hatte der Tag so gut angefangen.
Er genoss den vorletzten Tag des verlängerten Wochenendes, das er zusammen mit Freunden in Amsterdam verbrachte. Die letzten Stunden waren feuchtfröhlich gewesen und die anderen wollten noch weiter feiern.Julian dagegen war schon recht müde. Nachdem er sich übergeben musste, wollte er nur noch zurück zu ihrem Campingplatz.
Also lief er los. Ein paar Straßen weiter merkte er, dass er den Weg zum Campingplatz nicht mehr wirklich im Kopf hatte.
Er versuchte den Weg zurück zur Kneipe zu finden, verlor jedoch inmitten des Gewirrs der vielen kleinen Gassen die Orientierung.
Julian holte sein Smartphone aus der Jackentasche. Während des Konzertes auf dem sie am frühen Abend gewesen waren, hatte er es ausgestellt um Akku zu sparen.
Als er es jetzt wieder in Betrieb nehmen wollte, fiel ihm seine PIN nicht mehr ein. Das lag wohl daran, dass sein Smartphone normalerweise niemals ausgeschaltet war. Hektisch tippte er vier Nummern ein, von denen er hoffte, dass sie die richtigen waren. Nope.
Er versuchte es nochmal und nochmal und dann hatte er ein noch viel größeres Problem: Nach drei Falscheingaben verlangte sein Handy die PUK. Natürlich hatte er diese Nummer erst recht nicht im Kopf.Ein Taxi fuhr an ihm vorbei. Er wollte es schon anhalten, doch ihm fiel der Name des Campingplatzes nicht mehr ein.
Trotz der kalten Nacht brach ihm der Schweiß aus.Was mussten die Holländer auch so eine dämliche Sprache sprechen, die sich für Julian so anhörte, als würde ein Kleinkind versuchen Deutsch zu sprechen. Kein Wunde, dass er sich diesen seltsamen Namen nicht merken konnte!
Die Gegend, durch die er lief war wie ausgestorben. Nur alle paar Minuten fuhr ein Auto oder auch Mal ein Roller an ihm vorbei. Es wird sehr lange dauern, bis wieder ein Taxi auftaucht.
Er fragte sich, wieso nichts auf den Straßen los war, bis ihm einfiel, dass die Deutschen zwar den morgigen Montag Feiertag hatten, die Holländer aber arbeiten gehen mussten.Ein Polizeiwagen fuhr auf Julian zu und betätigte die Lichthupe. Doch die Polizei um Hilfe zu bitten war ihm zu peinlich und er ließ die Gelegenheit verstreichen.
Mutlos wanderte er weiter. Durch die kühle Nachtluft und die Bewegung wurde er langsam wieder nüchterner.Der Schlager "Traum von Amsterdam" geisterte durch seinen Kopf. Dabei hasste Julian Schlager. "Allein in einer fremden Stadt, allein in Amsterdam..." Verlor er jetzt komplett den Verstand?
"Can I help you?", Julian erschrak. Ein junger, arabisch aussehender Mann hielt mit seinem Fahrrad neben ihm. Oh nein, hoffentlich wollte er ihn nicht bestehlen.
Ohne Fahrrad würde Julian ihn nicht einholen können.
Der Fremde lächelte jedoch freundlich. "My Name is Farid". Julian nahm allen Mut zusammen und erklärte Farid seine Situation.
Nachdem Farid ihm die infragekommenden Campingplätze genannt hatte, wusste er wieder zu welchem er musste: Vliegenboss. Wirklich ein komplett bescheuerter Name.Farid erklärte, dass es noch eine weite Strecke sei, er jedoch bei bei ihm auf dem Gepäckträger mitfahren könne, denn er müsse auch in die Richtung. Misstrauisch fragte ihn Julian, warum er um diese Uhrzeit an einem Sonntag noch unterwegs war. Farid entgegnete, dass er auf der Heimfahrt von seiner Arbeit in einem Restaurant sei.
Schließlich stieg Julian auf den Gepäckträger, das Fahrrad schlingerte kurz und verschwand dann in der Nacht.
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Allein in Amsterdam
Short StorySituation, die einem die Abhängigkeit von Smartphones vor Augen führt