Finya machte sich auf den Weg zum Büro ihres Herren. In einem Seitengang nahm sie eine Bewegung wahr. Kurz entschlossen bog sie ab, um nachzusehen. Hinter einem der bodentiefen Vorhänge blitzten zwei kleine Schuhe hervor. „Taro." „Ich bin nicht hier." kam es hinter dem Vorhang hervor. Finya unterdrückte ein Lachen. „Komm schon raus. Dimitri sucht dich bestimmt schon, nicht wahr?" Zögerlich trat der Junge hinter dem Vorhang hervor. „Ich will das nicht, Finya. Ich habe Angst." Finya strich dem Jungen beruhigend über den Kopf. „Was willst du nicht?" fragte sie geduldig nach. „Den Bruder unseres Herren bedienen. Er macht mir Angst. Kannst DU ihn nicht bedienen und ich bediene unseren Herren?" Hoffnungsvoll blickte Taro die junge Frau, die ihm zur Freundin geworden war, an.
Finya seufzte. „Du weißt, dass das nicht in unserer Entscheidung liegt, Taro. Du hast unseren Herren schon oft genug bedient. Tu einfach, was er dir beigebracht hat, und der Abend wird gut verlaufen." Taro schniefte leicht, nickte dann aber , schien zumindest etwas beruhigt. „Und jetzt los. Lass Dimitri nicht warten." fügte sie lächelnd hinzu und setzte ihren eigenen Weg fort. Sie beeilte sich, denn sie war bereits spät dran.
Wenig später betrat Finya das Büro ihres Herren. Kurz vor dem Schreibtisch sank sie auf ein Knie - ein stillschweigendes Zugeständnis ihres Herren zumindest in manchen Situationen.
„Was hat dich aufgehalten?" Aaron legte seine Feder zur Seite und sah Finya streng an. Er gewährte ihr seit der Rückkehr viele Freiheiten, doch im Gegenzug forderte er ein hohes Maß an Gehorsamkeit. Unpünktlichkeit gehörte definitiv nicht zu den Dingen, die zu tolerieren er bereit war.
Finya sank nun auch auf das zweite Knie. „Zwei Dinge, Herr."
Aaron nickte ihr zu, fortzufahren. „Rebecca hat angefangen, sich mir zu öffnen." erklärte sie. „Diese Verzögerung kann ich akzeptieren. Was war der zweite Grund?" „Auf dem Weg zu Euch bin ich auf Taro getroffen." Sie seufzte leise, wusste aber, dass an der Wahrheit kein Weg vorbei führte. „Er hatte sich versteckt, weil er Angst vor heute Abend, Angst vor Eurem Bruder hat und fragte mich, ob wir tauschen könnten." berichtete Finya offen. „Aha. Und was hast du ihm geantwortet?"
Dass es nicht in unserer Entscheidung liegt, Herr."
Aaron nickte zufrieden und wies auf den Hocker neben seinem Schreibtisch. „Du kannst aufstehen." Er wartete, bis Finya saß. „Fürchtest du meinen Bruder ebenfalls?" hakte er dann nach. „Als ich bei Eurem Bruder war, lehrte er mich, ihn zu fürchten. Und doch kenne ich ihn kaum und kann ihn nicht einschätzen. Doch jetzt bin ich Eure Sklavin. Daher fürchte ich nicht ihn, sondern die Möglichkeit, Euch zu enttäuschen, Herr." Aaron wirkte zufrieden mit der Antwort. „Dein zu Spät kommen sei dir für heute verziehen. Dennoch wirst DU heute den Platz an seiner Seite einnehmen."
Er wandte sich dem Stapel an Dokumenten zu, die vor ihm lagen, zog einen hervor und begann, ihn zu lesen. Er seufzte, blickte dann zu seiner Sklavin. Zu lange schon hatte er dieses leidige Thema hinausgezögert, doch es war an der Zeit, sich endlich um diese Angelegenheit zu kümmern.
„Erinnerst du dich an das Gespräch, das ich mit Imperator Aegir geführt habe?"
„Das über den Angriff auf mein Dorf? Ja, Herr. Ich erinnere mich daran." Aaron entging nicht, wie sich Finya anspannte. Bis jetzt hatte er ihre Weigerung, über ihre Vergangenheit zu reden, toleriert, doch nun brauchte er Information. Informationen, die SIE ihm am Besten geben konnte.
„Was ist damals passiert?" Augenblicklich begann Finya zu zittern. Sie sank auf die Knie. „Bitte, Herr. Zwingt mich nicht, darüber zu sprechen." flehte sie ihn an. Aaron stand auf und trat hinter sie. „Ich muss es wissen." erwiderte er ruhig, aber bestimmt und legte ihr seine Hände auf die Schultern. Finya schloss die Augen, entspannte sich.
„Wer ist der Mann, von dem Aegir gesprochen hat?"
„Ich vermute, er meinte meinen Stiefvater, Herr. Er hat nach...er hatte die Führung des Dorfes übernommen." Aaron löste sich von Finya und setzte sich ihr gegenüber. „Setz dich wieder" forderte er sie auf und sah dann abwartend zu ihr. „Er...führt das Dorf mit strenger Hand, besonders..." erneut brach Finya ab. „Er konnte mich noch nie leiden." fuhr sie dann fort. Aaron seufzte. So würde er nicht weiter kommen. „Was ist in der Nacht passiert?"
Finya kämpfte mit den Tränen. „Er...hatte mich im Keller eingesperrt und..." Finya atmete tief durch. „Dann begann der Überfall. Ich konnte nur die Schreie hören. Er selbst...er hatte getrunken. Ich weiß nicht wo er hin ist, nachdem... Irgendwann war dann alles still. Es war so dunkel...." stumme Tränen rannen über Finyas Gesicht, während sie unzusammenhängend von dem Abend erzählte.
„Hat er die Tage vorher irgend etwas zu dir gesagt?" Finya nickte. „Beinahe täglich. Er wolle mich strafen. Er würde dafür sorgen, das ich den mir angemessenen Platz einnehmen würde."
Finyas Tränen waren verstummt, doch gleichzeitig schien es, als ob sie über jemand anderes reden würde, als ginge es nicht um ihr eigenes Schicksal.
Aaron atmete tief durch, drängte die Wut, die in ihm Aufstieg, zurück. „Es reicht" stoppte er seine Sklavin, die sofort in sich zusammen sackte. Erneut trat er hinter das Mädchen und legte seine Hände auf ihre Schultern.
Nicht ohne Genugtuung registrierte er, wie sie sich vertrauensvoll seiner Berührung entgegen lehnte und sich entspannte. Von Anfang an hatte er gewusst, dass das Mädchen besonders war, doch nie hätte er gedacht, dass eine Sklavin jemals so sensibel auf ihn reagieren würde. „Für heute ist es genug, Finya. Du hast mir sehr weiter geholfen."Es klopfte an der Türe. Als diese sich öffnete, saß Aaron bereits wieder hinter seinem Schreibtisch. Er blickte zu dem Sklaven, der vor ihm auf die Knie sank. „Fürst Silas ist angekommen, Herr."
Aaron nickte. „Geleite ihn hier her und bring uns eine Auswahl an Häppchen."
Kaum hatte der Sklave den Raum verlassen, wandte Aaron sich an Finya. „Wirst du es schaffen, uns zu bedienen?"
„Ja, Herr."
„Gut. Dann Knie dich zwischen die beiden Sessel." während Finya seinem Befehl nachkam, füllte er zwei Kelche mit Wein und stellte sie auf das Tischchen vor Finya.
Kurz darauf betrat auch schon Silas den Raum und grüßte seinen Bruder.
Als Aaron ihn mit einer Handbewegung einlud, Platz zu nehmen, legte sich Silas Blick auf die Sklavin am Boden. Erstaunt griff er zuerst nach Finyas Hand, um ihren Armreif zu mustern, dann hob er ihr Kinn an, um den Halsreif zu betrachten. Finya hielt für einen Moment die Luft an, wehrte sich aber nicht gegen den Griff ihres früheren Herren. Erst ein Räuspern ließ diesen inne halten. Er löste seine Hände und sah Aaron entschuldigend an. „Verzeih, Bruder. Ich vergaß. Du magst es ja nicht, wenn man dein Eigentum anfasst."
Kaum, dass er Platz genommen hatte, richtete er das Wort erneut an Aaron. „Habe ich unsere kleine Wette etwa doch gewonnen?"
Aaron zog eine Augenbraue hoch. „Was bringt dich zu dieser Annahme?"
Silas grinste. „Der Monat ist längst vorbei und hier kniet sie, mit Halsband und Armreifen. Für was bestrafst du sie?"
Aaron lächelte. Sein Blick ruhte auf seiner Sklavin, deren Haltung an Stolz gewonnen hatte. „Finya steht nicht unter Strafe. Sie trägt meine Zeichen aus freien Stücken. Sie hat sogar selbst darum gebeten, das Halsband tragen zu dürfen."
Ungläubig schüttelte Silas den Kopf.
Für einen Moment wurden sie unterbrochen, als ein Sklave eine Schüssel vor Finya abstellte. Finya lief beim Anblick der kleinen Teigbällchen das Wasser im Mund zusammen.
Kaum, dass sich die Türe geschlossen hatte, näherte sich bereits Aaron's Hand und Finya hob die Schüssel empor. Sie wartete, bis ihr Herr sich etwas genommen hatte, um dann, nach einem kurzen Zögern, die Schale seinem Bruder entgegen zu recken, der sich auch sogleich aus der Schale bediente. Dabei wanderte sein Blick anerkennend zwischen seinem Bruder und dessen Sklavin hin und her.
„Ich wünschte, meine Sklaven wären so ergeben" seufzte Silas, als er sah wie Aaron das nächste Stück seiner Sklavin zwischen die Lippen schob und diese es bereitwillig entgegen nahm. „Wie schaffst du es nur, dass sie dabei kein Zeichen von Demütigung zeigt, sondern fast schon stolz wirkt?"
„Ganz einfach. Sie weiß, dass es keine Demütigung ist."
DU LIEST GERADE
Finya 2
VampireBitte zuerst Teil 1 lesen! Finya hat ihren Platz als Sklavin an König Aaron's Seite letztendlich akzeptiert. Dennoch sieht sie sich immer wieder neuen Herausforderungen gegenüber. Wird sie Aaron weiterhin vertrauen oder wird sie doch scheitern?