Hi!
Ich hab nach dem Ende von Staffel 4 irgendwann gedacht... Was wenn das, was Erica unter Lucas' Bett gefunden hat, einfach NICHT irgendwas Ultrapeinliches ist, wie Erica impliziert, sondern was Schönes?
Hier ist ein kleiner Lumax-Oneshot, samt Erica. Lucas und Max sind zusammen mit Joyce/Hopper mein liebstes Paar in der Serie, und ich werd nicht drüber hinwegkommen was Max passiert ist, bis Staffel 5 draußen ist. FF zum Thema "Lucas und Max versuchen ein normales Leben nach Vecna zu führen" find ich immer sehr interessant.
Ich hoffe, euch gefällt's :)
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März 1986.
Flashback Staffel 4, Folge 7.
„Vorschlag. Entweder du sagst mir was hier läuft, oder ich erzähl Dustin, was ich unter deinem Bett gefunden habe."
„Bitte nicht..."
„Spuck's schon aus, Cowboy."
„Was war unter deinem Bett?!"
„Nichts!"
„War es eklig? Skala von eins bis zehn?"
„Einhundert."
Juni 1986.
Das Haus ist still.
Zu still. Verdächtig still.
Mom und Dad sind arbeiten, Erica und ihre beste Freundin Tina waren zuletzt in ihrem Zimmer und haben über My Little Pony oder Haaraccessoires gequatscht... oder über Jungs aus der Middle School gelästert... oder was auch immer es ist, das sie machen, wenn sie zusammen rumhängen. Aber mir fällt gerade auf, dass ich seit bestimmt einer halben Stunde keinen Ton mehr von ihnen gehört habe, es ist ein sehr, sehr ungutes Gefühl; ich schalte den Fernseher aus und laufe die Treppen hoch, weil ich das Schlimmste befürchte.
Ich befürchte regelmäßig das Schlimmste, seitdem Erica weiß was in der Holzkiste unter meinem Bett ist. Jetzt, da das Upside Down kein Thema mehr ist, und Max nach den Geschehnissen im Frühling endlich langsam wieder zurück ins Leben findet, ist die größte Angst in meinem Leben... der Verrat des Geheimnisses der Kiste unter meinem Bett. Durch Erica. An Tina. Wenn Tina davon erfährt, erzählt sie es zweifellos ihrer großen Schwester Hannah sobald sie nach Hause kommt... und Hannah geht an die High School.
Wenn der Inhalt der Kiste unter meinem Bett sich an der Hawkins High School herumspricht, erwarten mich noch mindestens drei Jahre Sticheleien, Gelächter und Mobbing, dem ich gerne aus dem Weg gehen würde. Mit Mikes, Dustins und Wills Kommentaren würde ich schon klarkommen, und El würde sicher kein negatives Wort darüber verlieren, aber... die Jungs im Basketballteam würden mich die Kiste niemals vergessen lassen.
Ich stehe vor Ericas Zimmertür. Völlige Stille. Ich hämmere mit der Faust gegen die Tür. „Erica?"
Dann höre ich sie. In meinem Zimmer, hinter der Tür am anderen Ende des Flurs. Eines der Mädchen kichert, das andere sagt „Schhh!", und in drei Schritten bin ich bei meiner Tür, reiße sie auf – und sie sitzen auf dem Boden neben meinem Bett, die Holzkiste zwischen sich, deren Inhalt verstreut über mehrere Quadratmeter meines Bodens. Tina hat wenigstens den Anstand, ihr Grinsen halbwegs hinter ihren Händen zu verstecken, die sie über den Mund gelegt hat – Ericas Lachen dagegen ist völlig schamlos, als sie die zwei Stricknadeln in ihrer Hand hochhebt, und sie gegeneinander bewegt als wären sie chinesische Essstäbchen.
Quer über meinen Boden verteilt ist – alles. Alles, das eigentlich in die Kiste gehört. Alles, das ich seit Monaten gut versteckt gehalten habe. Ein angefangener Schal, in dem zwei weitere Stricknadeln stecken. Zwei angefangene Mützen. Eine fast fertige Socke. Wollknäuel in sieben verschiedenen Farben. Drei dünne Bücher aus der Bibliothek: Stricken für Anfänger, Die 100 schönsten Strickmuster, und Warme Socken, warme Tage. Außerdem die April-Ausgabe der Zeitschrift Modern Grandma, der ein Extraheft mit zwanzig Seiten Strickmustern beiliegt.
Ich bin einige Sekunden völlig gelähmt von dem Schock. Erica wickelt sich den angefangenen Schal um den Hals, der mein allererster Versuch war. Er ist voller kleiner Lücken und irgendwie asymmetrisch geraten, und Tina prustet los als sie Erica darin sieht. Es kann einfach nicht wahr sein. Es ist so peinlich. Ich will, dass der Boden sich spontan öffnet und mich verschluckt. (Nicht buchstäblich, von sowas haben wir alle im Frühling mehr als genug gesehen. Aber symbolisch.)
„Erica, leg den Schal weg!" Ich gebe mir die größte Mühe, wütend zu klingen, aber natürlich nimmt sie mich nicht ernst. Sie nimmt mich nicht mehr ernst, seitdem sie drei Jahre alt war.
„Den Schal? Ich glaub, das ist eher ein Verbrechen."
„Es ist abstrakte Kunst oder so. Nicht schön, aber ungewöhnlich", sagt Tina und innerhalb von Sekunden bekommen beide fast keine Luft mehr vor Lachen. Ich verdrehe die Augen.
Ich greife nach den Stricksachen und den Büchern auf dem Boden, werfe eins nach dem anderen zurück in die Kiste während Erica sich Lachtränen aus den Augen wischt als wäre es der größte Witz aller Zeiten. Meine Ohren sind heiß vor Wut und Scham, und das einzige, das hilft, ist mir in Erinnerung zu rufen, für wen ich das alles überhaupt auf mich nehme.
Oktober 1986.
„Der Herbst riecht so gut", sagt Max und lächelt zufrieden. Sie atmet tief ein und aus. „So eine frische Luft. Das ist mir vorher nie so richtig aufgefallen."
Ich tippe ihren Handrücken zweimal kurz an damit sie weiß, dass ich näher komme. Unser kleines Ritual. Ich beuge mich zu ihr und küsse ihre Nasenspitze, und sie ist eiskalt. Wir sitzen nebeneinander im Park, schon seit zwei Stunden weil es ihr so gut gefällt, und ihre dicke flauschige Decke ist über ihren Beinen ausgebreitet, aber ihre Wange ist jetzt unter meinen Fingern genau so kalt wie ihre Nasenspitze.
„Hey, hör mal", sage ich leise. „Ich wollte dir heute was schenken."
Sie schüttelt leicht den Kopf, fängt aber an, übers ganze Gesicht zu strahlen. „Du Spinner, es ist doch gar nicht mein Geburtstag. Und bis Weihnachten sind es noch zwei Monate."
„Brauch ich einen Anlass, um der coolsten Freundin der Welt was zu schenken? Nichts Großes, nur... was, das ich selbst gemacht hab..."
„Selbst gemacht?"
„Ja, aber du darfst mich nicht auslachen."
„Klar. Ich würd dich niemals auslachen." Sie und ich wissen beide, dass sie mich in den letzten zwei Jahren wahrscheinlich schon hundertmal wegen irgendwas ausgelacht hat, und umgekehrt auch. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Ich greife nach der Tüte neben mir und sie raschelt, als ich ihren Inhalt entnehme.
„Hmm, aus Plastik? Es klingt nach Plastik", spekuliert Max. Sie sieht aufgeregt aus, fast wie ein Kind, das an Weihnachten erraten will, was in einem noch verpackten Geschenk ist. Aber ihr Geschenk ist nicht verpackt. Sie kann es nur nicht sehen.
„Nein, es macht keine Geräusche. Warte. Ich geb es dir in die Hand." Ich nehme den Schal und die Mütze aus der Tüte aus lege beides in ihre wartenden, offenen Hände. Sie tastet und tastet, sehr schnell, greift in die Wolle und streicht darüber.
„Selbst... selbst gemacht, hast du gesagt?", fragt sie. „Lucas, hast du etwa – "
„Ich hab das für dich gestrickt. – Es sind ein Schal und..."
„...und eine Mütze, oder?" Ihr Mund ist halb offen vor Staunen als sie die Form der Mütze abtastet.
„Ja, richtig!" Ich beobachte sie aufmerksam. Ihre Hände fahren immer noch über die beiden Geschenke, ihre blassen Fingerspitzen über die weiche Wolle. „Erica hat mich fertig gemacht als sie rausgefunden hat, dass ich übe", sage ich. „Sie wird mich das nie vergessen lassen. Sie hat es sogar Tina erzählt. Aber... ich glaub, die hat dann dicht gehalten. Gott sei Dank!"
Max lacht kurz. „Ja, kann ich mir vorstellen, dass das nicht jeder wissen muss. – Lucas, das ist... Oh Mann. Das ist so lieb." Sie wickelt den Schal gedankenverloren um ihre rechte Hand. „Das Teil ist so weich."
Ich grinse gegen meinen Willen. Sie freut sich darüber; der Plan ist geglückt. „Ich dachte, weil du so gerne im Park sitzt, und es dabei ist, kälter zu werden – ich dachte, jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ich hab schon vor Monaten angefangen zu üben. Es hat mich ein bisschen beruhigt während du im Koma warst. Hab niemandem davon erzählt."
Ihr Strahlen verblasst nicht. Sie zieht sich vorsichtig die Mütze auf den Kopf, aber sie sitzt zu locker, und etwas schief.
„Hier, warte, ich helf dir – " Ich rücke die Mütze zurecht. Max sieht so niedlich aus, dass ich sie auf der Stelle in den Arm nehmen will, aber stattdessen sage ich: „Also, die Mütze ist ein Beanie. Hast du ja gemerkt. Aber die Farbe ist richtig cool, es ist so ein dunkelgrün, aber nicht tannengrün, sondern irgendwie zwischen grün und blau, weißt du? Dunkeltürkis irgendwie. Nicht grün und nicht blau. Mom hat gesagt, das wird gut mit deinen Haaren aussehen. Und es stimmt. – Aber... aber jede Farbe sieht natürlich gut mit deinen Haaren aus. Und mit dir."
Sie lacht. „Okay, danke. Türkis ist ganz gut. – Und der Schal?"
„Der hat dieselbe Farbe, aber dazwischen so ein Zickzackmuster in weiß, das ich extra gelernt hab, aus, äh... einer Zeitschrift."
Sie streckt unsicher die Hand nach mir aus, die nicht den Schal hält, und ich nehme sie sofort.
Sie drückt meine Hand. „Danke, Lucas. Er fühlt sich toll an."
„Ich hab mein Taschengeld gespart, um die gute Wolle kaufen zu können, die besonders Weiche", murmele ich.
„Dann krieg ich aber kein Weihnachtsgeschenk, versprochen? Sonst hab ich ein schlechtes Gewissen."
„Kann ich dir nicht versprechen."
Sie lacht wieder, und es ist mein liebstes Geräusch auf der Welt, und das wird es auch immer sein, und ich habe es im Frühling so sehr vermisst, dass ich eine Weile dachte, ich würde mich darüber komplett verlieren. Aber sie sitzt neben mir, mit ihrer neuen Strickmütze, unter der ihre Zöpfe zum Vorschein kommen. Sie hält immer noch meine Hand. Sie hat das Gesicht zu mir gewandt, und ihre Augen sind auf mich gerichtet, ohne mich zu sehen. Ohne mich je wieder sehen zu können.
Aber sie kann mich in ihrem Kopf sehen. So wie sie hoffentlich nach meiner Beschreibung auch die Mütze und den Schal in ihrem Kopf sehen kann.
Ich wickele vorsichtig auch den Schal um sie, und als ich ihr Kinn streife, merke ich, wie kalt es ist, genau wie der Rest ihres Gesichts. Ich reibe mit den Händen über ihre Oberarme um sie aufzuwärmen.
„Möchtest du nach Hause?"
„Nein, ich will noch was hier bleiben. Es ist schon viel gemütlicher als vorher." Zufrieden zupft sie den neuen Schal an ihrem Hals zurecht.
„Okay." Ich lege ihre flauschige Decke etwas gleichmäßiger über ihre Beine und führe sie auch unter den Armlehnen ihres Rollstuhls hindurch, damit sie etwas sicherer auf Max liegt. Ich nehme die Thermoskanne und die Pappbecher aus der Tasche, die ihre Mom uns mitgegeben hat, und gieße uns beiden etwas Kakao ein, den ich ankündige, bevor ich ihr einen den Becher in ihre Hand gebe. Sie schnuppert an der dampfenden Flüssigkeit und lächelt.
Es ist ein kühler Herbsttag im Park. Sie ist glücklich. Ich bin glücklich darüber, dass sie glücklich ist. Und dass ihr warm ist. Alles ist fast ganz normal.
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Die Kiste unter Lucas' Bett [Lumax]
FanfictionWas hat Erica unter Lucas' Bett entdeckt, von dem niemand wissen darf? Was, wenn es etwas viel Netteres ist, als uns Staffel 4 Folge 7 glauben lässt? - Ein traurig-schöner, herbstlicher Lumax-Oneshot.