„Konzentriere dich."
Tildas Stimme war wie immer unfassbar sanft, gleichzeitig jedoch schneidend genug, um in mein überfordertes Bewusstsein vorzudringen.
Ihre grauen Augen glänzten erwartungsvoll, und je länger ich den Blickkontakt aufrechterhielt, desto mehr hatte ich das Gefühl, sämtliche Farbnuancen darin wahrnehmen zu können.
Hellgrau, Dunkelgrau, Silber. Ein leichter Schimmer von Hellblau?
Ich zwang mich, die Farben zu ignorieren. Es nutzte mir gerade herzlich wenig, Tildas Iriden zu analysieren.
„Woran denke ich?" Kurze Pause. „Niall?"
Ich hatte Kopfschmerzen.
Zwar bei weitem nicht so überwältigend wie bei meinen Versuchen mit der Telekinese, aber stark genug, um meine so dringend erforderliche Konzentration schwinden zu lassen.
Zudem lag mir auch noch die Auseinandersetzung mit Harry von vorhin im Magen – immer wieder tauchte sein verletzter Gesichtsausdruck vor mir auf, die Fassungslosigkeit in seinen Augen.
Und dann war da natürlich noch diese Unwissenheit, was meine Zukunft betraf, die Sinnlosigkeit, mit der ich kämpfte. Das Gefühl, auf ewig im Verborgenen vor mich hin zu vegetieren, ohne wirklich eine Möglichkeit zu haben, etwas daran zu ändern. Die Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer Leute, ohne selbst einen Einfluss darauf zu haben.
Tildas Seufzen riss mich aus meinem toxischen Gedankenstrudel.
„Junger Mann, deine Aufgabe ist, in meinen Kopf gelangen, anstatt mir den Inhalt von deinem hinzuwerfen." Sie hielt inne. „Was auch immer du für einen Zoff mit Harry am Laufen hast, ich bin sicher, ihr könnt ihn lösen."
Missmutig brach ich den Blickkontakt und damit den Versuch, ihre Gedanken zu erreichen.
„Ich kann es nicht." Meine Frustration erreichte nach und nach ein Höchstmaß. „Wieso kann ich es denn nicht? Davor habe ich ständig alles gehört und gespürt, ohne es überhaupt zu wollen. Jetzt bekomme ich ohnehin nur noch wenig mit, und sobald ich es gezielt versuche, ist es ganz vorbei. Ich dachte noch, dieser telepathische Kram wird ein Heimspiel!"
Tilda wirkte nicht sehr beeindruckt von diesem Ausbruch. Wer wusste schon, mit welchen Aggressionen sie von ihren anderen Schülern konfrontiert wurde.
„Dass dein Geist zuvor wahllos alles aufgefangen und angezapft hat, was er erreichen konnte, liegt daran, dass er sich im Kampf gegen das Medikament befand und somit hochaktiv war. Dieser Kampf ist vorbei. Jetzt liegt es an dir, deine Fähigkeiten bewusst zu aktivieren. Du kontrollierst sie, nicht umgekehrt."
Diese Erklärung war zwar interessant, für die Praxis aber irrelevant und nutzlos.
„Ich weiß aber nicht, wie." Ich war mir meines quengeligen Tonfalls nur zu bewusst, konnte ihn aber trotzdem nicht abstellen. „Was bringen mir diese Fähigkeiten, von denen ich angeblich so viele habe, wenn ich sie nicht nutzen kann? Das ist doch absurd."
Aus den Augenwinkeln erregte der viel zu bunte, viel zu gefiederte Elton John meine Aufmerksamkeit, und ich musste den verkleideten Plüschbären zur Seite schieben, bevor ich ihn womöglich aus dem Fenster warf. Das arme Vieh konnte ja nichts für meinen Frust.
„Gib mir deine Hände." Tilda streckte mir ihre eigenen über den Schreibtisch hinweg entgegen. „Los."
Zögerlich kam ich der Aufforderung nach, unsicher, was mir nun wohl wieder blühen mochte. Tildas Hände waren warm, ihr Griff fest, als sie meine Finger umfasste.
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Oblivious (Ziall)
FanficSeit er denken kann, hört Niall Stimmen in seinem Kopf. Er leidet unter Schizophrenie. Oder: Das ist zumindest, was man ihn glauben lässt. Darüber, dass seine Symptomatik von der Durchschnittsnorm abweicht, macht er sich schon längst keine Gedanke...