Kapitel 47

359 18 1
                                    

Wincent

Die Nacht war der reinste Horror. Jedes Mal wenn ich eingeschlafen bin, musste Mama mich wecken, da ich die schlimmsten Träume geträumt habe. Wir haben gerade 8:00 Uhr und da ich eh nicht mehr schlafen kann, stehe ich auch und schlürfe in die Küche. Dort steht Fabi und schaut mich traurig an. Sofort steigen mir wieder die Tränen in die Augen. ,,Hey nicht weinen Wince. Es wird alles gut, hörst du", flüstert er und nimmt mich in den Arm. So viel wie in den letzten 24 Stunden, habe ich in meinem Leben nicht geweint. Ich fühle mich so leer und ausgelaugt, trotzdem muss ich für Elli stark sein und ihr zeigen das ich da bin. ,,Wo ist Mama?", frage ich leise, als ich mich an den Tisch setze. ,,Sie ist ins Hotel gefahren. Shayenne ist ja auch hier." Überrascht schaue ich hoch. Meine Schwester ist auch hier? ,,Hab sie gar nicht gesehen"; murmle ich und rühre im Kaffee herum. ,,Sie war auch die ganze Zeit im Hotel", antwortet Fabi. Nach dem ich meinen Kaffee getrunken und ein bisschen Müsli im Magen habe, schlürfe ich zurück in mein Zimmer. Dort schnappe ich mir frische Klamotten und gehe duschen. Kaum stehe ich unter dem Wasser, fließen schon die Tränen die Wange runter. Wie soll ich das bitte schaffen. Wenn ihr etwas passier, kann ich nicht damit leben. Als ich mich wieder ein wenig gefangen habe, schalte ich das Wasser aus und verlasse die Dusche. Eine weitere halbe Stunde später, sitze ich bei Fabi im Auto und werde zum Krankenhaus gefahren. ,,Melde dich wenn ich dich holen soll", sagt er noch, bevor ich aussteige. Zur Antwort bekommt er einfach nur ein Nicken von mir. Wie in Trance betrete ich das Gebäude und laufe hoch zur Intensivstation.

Nachdem ich die Schleuse hinter mir habe, betrete ich Ellis Zimmer. ,,Guten Morgen", lächelt mich Leonie an, die gerade etwas bei ihr macht. ,,Moin", sage ich leise und setze mich auf den Stuhl von gestern. ,,Gibt es etwas neues?", frage ich sie vorsichtig. Sie schaut mich entschuldigend an und schüttelt den Kopf. ,,Nein tut mir leid Wincent. Der Zustand ist unverändert." Ich nicke leicht und nehme Ellis Hand in meine. So sitze ich einfach da und warte, warte und warte. Zwischendurch kommen immer mal wieder die Schwestern rein und machen etwas an Elli. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, durch die ich erschrecke. ,,Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken", sagt Dina leise. ,,Alles gut", antworte ich und versuche zu lächeln. ,,Du kannst dann gehen Wincent. Wir sind jetzt da", sagt Michael und holt sich einen weiteren Stuhl. Mit einem entsetzten Blick schaue ich ihn an. ,,Ich gehe nicht", antworte ich und schüttle zur Untermalung meinen Kopf. ,,Wincent, wir müssen doch nicht zu dritt hier sitzen", seufzt er. ,,Ich gehe nicht. Ich bleibe, ihr könnt ja auch im Hotel bleiben. Das wollt ihr ja auch nicht", stammle ich und merke wie ich immer lauter werde. ,,Wincent", erwidert er. ,,Nein nein nein, ich bleibe", aufgebracht fahre ich mir durchs Gesicht. ,,Hey hey Wince, es ist alles gut. Beruhig dich bitte. Natürlich kannst du hier bleiben", sagt Dina leise und streichelt meinen Nacken und schaut ihren Mann mit einem durchdringenden Blick an. ,,Es ist doch so Dina." ,,Michael! Er bleibt so lange er möchte und jetzt schluss mit dem Thema", sagt  Dina streng und setzt sich neben mich.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich angefangen habe zu zittern. Dina bemerkt dies und nimmt meine Hand in ihre. ,,Shh Wince, beruhig dich bitte", flüstert sie. Kurz nach 14:00 Uhr verabschieden sich Leonie und Lina in den Feierabend und kurz darauf steht Metin schon im Zimmer. So sitzen wir einfach Stunde für Stunde da und geben uns gegenseitig den Halt, denn wir brauchen. Als Dina irgendwann aufgestanden ist, um uns etwas zu trinken zu holen, wendet sich Michale an mich. ,,Du Wincent, tut mir leid wegen vorhin. Ich habe das nicht so gemeint. ,,Alles gut, schon vergessen", lächle ich leicht. Gerade als Dina wieder da ist, kommt der behandelte Arzt ins Zimmer. ,,Leider gibt es immer noch keine Veränderung bei ihrer Tochter. Die Medikamente haben leider noch nicht so angeschlagen, wie wir das gehofft haben", erklärt er uns. Die restlichen Sätze, nehme ich gar nicht mehr wahr. Dina streichelt die ganze Zeit meinem Arm um mich zu beruhigen. Zwischendurch essen wir noch eine Kleinigkeit aber so richtig bekomme ich nichts runter. Gegen 20:00 Uhr muss ich mich gezwungenermaßen von Elli verabschieden, da die Besuchszeit zu Ende ist. Nach einem vorsichtigen Kuss auf die Stirn, verlasse ich das Zimmer.

Zurück in der WG empfangen mich schon Mama, Shay und Fabi. ,,Hey, wie gehts dir und wie geht es Elli", fragt Mama, nach dem ich meine Jacke ausgezogen habe und ins Wohnzimmer getreten bin. ,,Mir geht es so naja. Ellis Zustand ist unverändert", sage ich geknickt und setze mich zu ihnen an den Tisch. ,,Wenigstens ist es nicht schlechter geworden", versucht mich Fabi aufzumuntern. ,,Na komm, jetzt essen wir erst einmal etwas", wirft Mama ein und stellt einen Topf in die Mitte des Tisches. ,,Ich habe keinen Hunger", murmle ich und kribble an meinen Fingern herum. ,,Du musst aber etwas essen Wince. Du brauchst die Energie", erwidert sie und macht mir eine Portion Spagetti Bolognese auf meinen Teller. Widerwillig fange ich an zu essen und zu meiner Überraschung stelle ich fest, was für einen Hunger ich doch habe. Während wir essen, erzählen wir über viele verschiedene Themen, aber lassen das Thema Elli außenvor. Nach dem Abendessen setzen wir uns alle zusammen aufs Sofa und schauen uns einen Film an. Meine Gedanken sind aber die ganze Zeit bei Elli.

Plötzlich höre ich, wie ich aufschluchze. ,,Hey Schatz, komm her", flüstert Mama neben mir und nimmt mich in den Arm. Ich kuschle mich an sie und versuche mich zu beruhigen, was leider nicht allzu gut gelingt. Mama fängt an meinen Kopf zu graulen und irgendwann merke ich wie Shay meinen Rücken streichelt. Irgendwann erlaube ich es mir doch, meine Augen zu schließen. Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn irgendwann höre ich Mama flüstern. ,,Lassen wir ihn hier liegen. Jetzt schläft er wenigstens gut." Im Unterbewusstsein  nehme ich wahr, wie sie den Fernseher ausschalten und plötzlich spüre ich, wie jemand eine Decke über mich legt. Es muss wohl Shayenne sein, denn kurz darauf, spüre ich wie sie mir einen Kuss auf die Wange gibt und flüstert ,,Ich hab dich lieb Wiwi. Zusammen schaffen wir das." Ich kuschle mich tiefer in die Decke und versuche an etwas Schönes zu denken. Kurz nachdem die anderen das Licht ausgeschaltet haben, bin ich schon wieder eingeschlafen.

Müsste da nicht Musik seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt