15 - Fake ID?

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Oberammergau, November 2021

Wie jeden Morgen war der Griff zum Handy eines der ersten Dinge, die Gina morgens tat. Seit Peters Nachricht und Michaels kurzer Antwort waren nun fast zwei Monate vergangen.

Zwei Monate, in denen das Leben weiterging, Elisa sich mittlerweile perfekt an das Leben als Schulkind gewöhnt hatte und der unausgesprochene Verdacht von Gina bestand, Ihre Tochter könnte unterfordert sein. Nach bereits mehreren Gesprächen mit Frau Meier, der Klassenlehrerin von Elisa, verfestigte sich dieser Eindruck immer mehr. Auch wenn dies natürlich ein Grund zum Freuen war, fühlte sich Gina zwiegespalten mit dem Gedanken, ihre Tochter könnte womöglich hochbegabt sein. Sie wollte ihr die Förderung geben, die Elisa verdiente und auch immer häufiger einforderte, indem sie nach mehr Aufgaben oder schwierigeren Arbeitsblättern verlangte.

Andererseits wollte Gina ihr aber auch eine ganz normale, unbeschwerte Kindheit ermöglichen und hatte Angst, Elisa würde als "Streberin" oder "Nerd" abgestempelt werden. Eine Hochbegabung hatte nicht nur positive Seiten, das wusste sie aus ihrer eigenen Lehrertätigkeit.

Gina selbst ging es schrittweise besser mit der Trauer und dem Tod von Andreas umzugehen. Jedoch fürchtete sie schon jetzt den Todestag, der immer näher kam. Der 16.12. war mit einem übermannenden Schmerz verbunden und auch Peter, mit dem Gina nun regelmäßig in Kontakt war und der auch schon öfter als Taxi für Elisa eingesprungen war, hatte Angst davor. Beide hatten beschlossen, den 16. zusammen mit Ginas Eltern zu verbringen. Auch Ginas Schwiegereltern hatten sie gemeinsam kontaktiert, diese zogen nach Andreas Tod kilometerweit weg nach Köln, wo sie Familie und Freude hatten. Von ein auf den anderen Tag waren sie verschwunden. Ohne auf Wiedersehen zu sagen, kommentarlos und still. Und auch auf die Einladung, den Todestag gemeinsam zu verbringen und auch ihre Enkelin mal wieder zu sehen, reagierten sie nicht.

Als wäre das nicht genug, wurde Gina auch den Gedanken an Michael nicht los. Wieso meldete er sich nicht? Er hatte doch geschrieben er würde sich melden. Wahrscheinlich hatte er sie sowieso schon längst vergessen. Doch Gina musste täglich an die Begegnung oben am Berg denken.

Auch Peter wunderte sich zunehmends. Klar, Michael war noch nie der Mensch, der ständig am Handy hing, aber so zügig zurückzuschreiben und dann monatelang nichts...das war sonderbar und untypisch. Michael war natürlich ein schwer beschäftigter Mann und gefragter Musiker und hetzte oft wochenlag von Termin zu Termin, aber in den letzten Jahren hatte er sich immer mal wieder bei Peter gemeldet. Und aktuell...nichts. Peter hatte Gina angeboten, noch einmal nachzuhaken, was bei ihm los war, doch Gina hatte dies verhindert. Sie wollte nicht aufdringlich wirken.

Peter ging in seiner Rolle als Patenonkel von Elisa total auf und brachte sie auch an diesem Tag von der Schule heim, um zuhause bei Gina zu warten, bis sie selbst von ihrer Schule zuhause war. Manchmal unternahmen sie gemeinsam mit Elisa einen Ausflug, Peter aß oft bei ihnen und er brachte Elisa ein paar neue Dinge auf der Ukulele bei. Gina wehrte sich anfangs gegen diese Angebote, zu viel Sorge hatte sie davor, der neue Dorfklatsch zu werden. Doch fast jeder in Oberammergau kannte Peter und wusste von der Geschichte mit Andreas. Und er war schließlich auch Elisas Patenonkel, wie Elisa immer stolz erwähnte.

"Du Gina, ich weiß das Thema kommt nicht gut an bei dir aber ich hab gestern dem Michael mal geschrieben...mir lässt das keine Ruhe, dass er sich nicht meldet.", gestand Peter, nachdem Gina von der Arbeit kam.

Ginas gut Laune schlug abrupt um. Sie fühlte sich hintergangen. Sie hatte doch deutlich genug gesagt, dass sie das nicht wollte!
"Peter, spinnst du? Ich hab dir doch gesagt, dass ich das nicht mag! Das kommt doch jetzt total blöd rüber, so als würde ich ihm nacheifern!"

"Stopp, Gina. Du verstehst mich falsch. Ich habe ihm geschrieben, ja. Aber nicht im Zusammenang mit deinem Anliegen, sondern von Kumpel zu Kumpel. Weißt du, mich wundert sein Verhalten auch, das lässt mich nicht kalt, und deshalb hab ich ihm geschrieben und ihn gefragt, ob alles gut bei ihm ist. Kein Wort von dir."

Peter zeigte Gina sein Handy mit dem geöffneten Chatverlauf. Er sagte die Wahrheit. Kein Wort von Gina oder Elisa, nur die besorgten Worte waren zu sehen und zu lesen.
Kleinlaut murmelte Gina ein leises "sorry" in Peters Richtung, der lächelnd nickte.

Plötzlich sprang Gina der Kontaktname des Chats an. "Paddy" war darauf zu lesen.
Mit einem ernsten Stirnrunzeln schaute sie Peter in die Augen.

"Sagmal verarscht ihr mich alle? Er stellt sich als Michael vor, du fragst, ob ich nicht erkannt hätte, jetzt hast du ihn als Paddy eingespeichert...also hat er mich die ganze Zeit angelogen! Ich hätte es mir doch denken können, aber er hat mir bestätigt, dass Michael sein echter Name ist! Welches Spiel wird hier gespielt? Oder hast du nicht Michael, sondern irgendwen anders kontaktiert?!" Gina redete sich wieder einmal komplett in Rage.

Peter versuchte sie zu beruhigen. Er fühlte sich zwischen zwei Stühlen gefangen. Einerseits wollte er Ginas Vertrauen nicht missbrauchen, andererseits wollte er nicht Michaels Identität verraten, das war wenn dann schon sein eigener Job.
"Gina, keiner lügt. Er heißt Michael, sein Spitzname aber ist eben Paddy. Er lügt nicht, ich auch nicht. Aber dir das zu erklären, das wäre seine Aufgabe. Das ist seine Entscheidung."

"Ist Michael aka Paddy ein Heiliger oder was?! Mann Peter, mir geht das so auf die Nerven, echt. Mittlerweile wäre ich froh, ihn einfach nie gekannt zu haben. Schau dir Elisa an, die fragt ständig nach Bruce, will ihn wiedersehen, und ich steh dumm da und kann das 'Warum' in ihren Fragen nicht beantworten. Ist sein Geheimnis so schlimm?"

Peter schüttelte den Kopf. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt. Einerseits hatte er Paddy geschworen loyal zu sein und ihn einfach nur Michael, die Privatperson sein zu lassen, wenn er in der Region war. Andererseits lag ihm Elisas Wohlergehen am Herzen und auch Ginas.

"Gina. Warte kurz, ich versuch ihn schnell mal anzurufen, ich...ich will keinen von euch verletzten und im Moment...warte kurz, bitte."

Peter ging in den Garten und betete und hoffte, dass Paddy dran ging.
5 Minuten lang versuchte er es immer wieder, ohne Erfolg. Nur die monotone Sprechstimme der Mailbox war zu sprechen. Gerade als er wieder das Haus betreten hatte und in die Küche ging, wo Gina saß, meldete sich jemand per Anruf.

A/N: Was denkt ihr ist der Grund, dass sich Paddy schon so lange nicht meldet?
Und ja, ich weiß, das Kapitel hat noch keinen Namen. Ich hab noch keinen passenden Kapitelnamen gefunden😅

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt